"Die Opposition wird sich erheben"

Rudolf Bahro, DDR-Rückkehrer, zum geplanten deutsch-deutschen Atomgeschäft / "Das liegt in der Logik der Umstände"

INTERVIEW

taz: Herr Bahro, nach einem Bericht der 'Welt’ wollen bundesdeutsche Stromkonzerne in der DDR vier große Atomkraftwerke bauen. Darüber werde angeblich bereits mit DDR-Stellen verhandelt.

Rudolf Bahro: Das liegt völlig in der Logik der Umstände. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Wirtschaft der DDR dabei mitspielt. Hans Modrow und die Seinen sind gegenwärtig einfach in der inneren Verfassung, konzeptionslos in jede Falle zu laufen, die ihnen die andere Seite aufstellt.

Bisher ist nicht ganz klar, wer denn eigentlich auf welcher Ebene mit wem über diese Atomkraftwerke verhandelt.

Das hat eine Dimension, die kann letzten Endes nur auf der Ebene Modrow und Christa Luft, der Wirtschaftsministerin, entschieden werden. Ich denke, dass die alte, neue SED-PDS und deren Aufgebot in der Regierung hauptverantwortlich dafür ist, wie mit diesem Angebot umgegangen wird.

Nun wird im Westen und sicherlich bald noch viel mehr in der DDR mit ihren desolaten Braunkohlekraftwerken die Atomenergie als hochmoderne, saubere und sichere Alternative angepriesen. Ist unter diesen Umständen in der DDR überhaupt mit Widerstand gegen diese Planungen zu rechnen?

Wie weit in der DDR-Bevölkerung schon durchgedrungen ist, was es mit der Atomenergie eigentlich auf sich hat, weiß ich natürlich nicht exakt. Aber es kann gar nicht sein, dass da von der internationalen und der westdeutschen Diskussion nichts angekommen ist. Vielleicht ist es zu optimistisch, wenn ich sage, die ganze Opposition wird sich wie eine Frau und wie ein Mann dagegen erheben. Ich bin nicht so sicher, wie bestimmte Kräfte etwa im Demokratischen Aufbruch oder in der SDP sich verhalten werden. Aber selbst diese Gruppen werden darüber mindestens gespalten sein. Die übrige Opposition, das ganze Feld vom Neuen Forum bis zu den Grünen und der Vereinigten Linken, werden sich dagegen erheben.

Ich finde, dass uns - von der DDR her gesehen - ideologisch nichts Besseres als dieses Angebot gleich jetzt passieren kann. Es steht in der DDR ohnehin eine Art Klassenkampf an, um denen, die in der DDR bisher die Richtlinien der Wirtschaftspolitik bestimmen, die Verfügungsgewalt streitig zu machen. Vorausgesetzt, sie machen den AKW-Handel wirklich, dann gibt es kein geeigneteres Thema als dieses, um sonnenklar zu machen: Diese politische Klasse spielt Agentur der kapitalistischen Weltzerstörung.

Ist überhaupt denkbar, dass da noch vor der Wahl im Mai Entscheidungen fallen?

Die Regierung will bis zum 6. Mai bereits Nägel mit Köpfen machen, das heißt ihr Konzept zur Rettung der DDR - was in Wirklichkeit nur ein Konzept zur Rettung ihrer DDR ist - realisieren. Sie sieht einfach keinen andern Weg. Ohne solche Nothelfer wie Preussag können sie sich nichts mehr vorstellen.

Können AKWs denn heute in der DDR noch so problemlos hochgezogen werden, wie das früher möglich gewesen wäre?

Die halten die Dinger für bei uns leichter durchsetzbar, nicht so viele Querelen... Ja, der Widerstand wird sich, sowohl was die Inhalte, als auch was die Form betrifft, erst artikulieren müssen. Aber dazu wäre das AKW-Projekt ein ausgezeichneter Anlass.

Ab 1. Januar haben wir voraussichtlich eine offene Grenze in beide Richtungen, ohne Zwangsumtausch. Gibt es dann den ganz praktischen Export der Anti-AKW-Bewegung der Bundesrepublik in die DDR?

Zunächst: Ich habe Gysi aufgefordert, alles zu tun, diesen Termin zu blocken, das heißt seinen Einfluss, den Einfluss des Parteivorstands bei den SED-Ministern entsprechend geltend zu machen. Die Bevölkerung der DDR wird es nicht besonders übel nehmen, wenn der Zwangsumtausch bleibt.

Unter dem Gesichtspunkt eines praktischen Exports der bundesdeutschen Anti-AKW-Bewegung in die DDR könnte die offene Grenze aber doch eine erfreuliche Entwicklung sein. Die Atomkraftwerke sollen ja auch dort gebaut werden, weil das hier in der Bundesrepublik so mühsam geworden ist.

Ich bin natürlich für diesen Ex- bzw. Import, aber das sollte der Linken hier notfalls den Tagessatz von 25 Mark wert sein. Denn was hauptsächlich ab 1. Januar über die Grenze kommt, ist der Normalzustand dieser selbstmörderischen Kultur hier.

Interview: Gerd Rosenkranz

die tageszeitung, Mt. 20.12.1989, Ausgabe 2992

[Zu diesem Zeitpunkt sollte die Volkskammerwahl am 06.05.1990 stattfinden. Sie wurde am 28.01.1990 auf den 18.03.1990 vorgezogen.]

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