Satire-Schubkästen sind leer
Gespräch mit Peter Ensikat, Kabarett-Autor, Schauspieler, Präsidiumsmitglied im Verband der Theaterschaffenden, Vorsitzender der Sektion Kabarett
DM: Kabarett in der DDR - wie Lebensfähig ist es eigentlich? Verdient das, was da so über die Bühnen kommt, den Namen Satire?
PETER ENSIKAT: Jetzt sind wir allesamt von dem Ast gefallen, an dem wir vierzig Jahre gesägt haben. Das Kabarett aber liegt schon lange am Boden. Darüber täuschen die spärlichen mutigen Versuche, es zu bewahren, nicht hin weg. Manchmal wurde es durch die gnädige Meinung geduldet, lasst die Kabarettisten doch machen, sie erreichen ja nur wenige. Was ein Irrtum ist. Allein Wolfgang Schaller und ich haben beispielsweise über hundert Programme gemacht, die insgesamt bei Tausenden angekommen sind. Die Versuche, uns von allen Seiten hineinzureden, uns vorzugeben, was wir sagen dürfen und was nicht, haben dem Kabarett die Kraft genommen. Die Ehrlichkeit blieb auf der Strecke.
DM: Mitunter gab es tapfere Ansätze, wie das "Überlebenszeit"-Programm von der Dresdner Herkuleskeule. . .
PETER ENSIKAT: Sicher, aber sie sollten verschwiegen, mundtot gemacht werden. Die Presse er hielt Rezensionsverbot. Alles, was im Kabarett brisant war, wurde wie eine geheime Verschlusssache behandelt. Selbst über die Werkstatt-Tage des Kabaretts im Mai durften die Journalisten nicht berichten, damit unsere Situation, unsere Probleme ja nicht öffentlich werden sollten.
DM: Wer hat denn Texte behindert, getilgt, Programme verboten?
PETER ENSIKAT: Da lassen sich kaum Namen nennen, so verwerflich ist die Sache. Nicht einmal zu dieser Verantwortlichkeit hat sich jemand bekannt. Das Schlimme war die Anonymität der Zensur, weil sie jegliche geistige Auseinandersetzung verhinderte. Bezirkliche Kulturfunktionäre stellten Meinungen „von oben" durch und nannten ihre persönliche Feigheit dann revolutionäre Wachsamkeit. Es gab aber auch vereinzelt couragierte Funktionäre, die es ablehnten, uns zu bevormunden und die mit der ständigen Drohung lebten, ihr Amt zu verlieren. Ihnen ist zu verdanken, dass es wenigstens noch kabarettistische Überbleibsel gibt.
DM: Mit welchen Begründungen führten die inkompetenten Anonymen ihren Feldzug gegen die Satire?
PETER ENSIKAT: Es ist regelrecht pervers. Uns wurde angetragen, den Mund zu halten, nicht, weil, was wir mitteilen wollten, erlogen wäre, sondern weil es der Wahrheit entspräche! Die Begründung hieß: Weckt bloß keine schlafenden Hunde. Die DDR sollte durchweg groß und schön gezeigt werden, und damit haben wir das Bild unsres Landes unendlich beschädigt.
Wir, die wir mit dem Kabarett verbunden sind, müssen zugestehen, zu oft nachgegeben zu haben. Statt zu beunruhigen, haben wir beschwichtigt, statt uns stark zu machen, resigniert.
Im Augenblick findet Zensur direkt nicht mehr statt, aber die anonymen Zensoren schlafen nicht. Plötzlich gestehen sie sogar ihr Recht auf Irrtum ein - anderen haben sie dies niemals zugestanden. Sie wussten immer alles, wir wussten nichts. . . Die Unterlassung von Kritik, so hat es Heiner Müller formuliert, ist Mord an der Zukunft. Wir haben so viel Zukunft gemordet.
DM: Welchen Schaden haben die Kabarettisten genommen? Sind die Verluste wettzumachen?
PETER ENSIKAT: Die Satire-Schubkästen sind leer. Da wir lange die Ventil-Funktion der Medien übernommen haben, ist die Kunstform Kabarett auf der Strecke geblieben. Wir haben kaum noch etwas parat. Im Moment müssen wir komplette Programme absetzen, weil sie einfach nicht stimmen. Weil sie nicht wachrütteln, sondern beschwichtigen, ein bisschen "ablachen" lassen.
Was die Verluste betrifft, die sind überaus hoch. Ich vermag nicht zu sagen, ob sie aufzuholen sind. Wirklich gute Kabarettisten haben wir nur noch wenige, von Textern ganz zu schweigen. Manch einer hat resigniert, hat aufgehört. Ich selbst war auch zwei Jahre nicht mehr willens, zu texten, ich hatte mich immerzu inhaltlich im Kreis gedreht, mich unentwegt wiederholt. Wie weit mich die Selbstzensur beschädigt hat, kann ich derzeit nicht sagen. Und es gibt auch auf den Bühnen der Kabaretts Opportunismus, Feigheit, Denkfaulheit.
DM: Besteht für die vorhandenen Satire-Bühnen, und es gibt ja einen Beschluss, dass jede Bezirksstadt eine entsprechende Stätte unterhält, die Überlebenschance?
PETER ENSIKAT: Da wir eine tiefgründige gesellschaftliche Bestandsaufnahme vor uns haben, halte ich es für nicht ausgeschlossen, einige Kabaretts aufzulösen. Die Potenzen, sie zu unterhalten, scheinen mir zu gering. Denn jetzt gilt es, mit jedem Programm vor dem Publikum zu bestehen und nicht mehr vor Funktionären. Damit sind neue Ansprüche gegeben. Sollte der Neuaufbruch ein wirklicher werden - und noch haben wir zwar viele Fragen, doch kaum Antworten -, wird sich manches nicht behaupten. Denn die treibende Kraft heißt nicht mehr Förderung, sondern Forderung.
DM: Ich hatte, offen gestanden, mit der Satire so meine Schwierigkeit. Mich haben Witze über eine 15jährsge Wartezeit auf ein Auto, über den Trabant, über das fehlende Toilettenpapier nicht erheitert, sondern erbost. Was da dem Publikum an Versatzstücken angeboten worden ist, war alles andere als komisch. Merkwürdig aber ist, die Leute haben sich amüsiert. . .
PETER ENSIKAT: Da wir ein anspruchsloses Kabarett geboten haben, ist das Publikum, im Gegensatz zu dem im Theater, ebenfalls anspruchslos. Es ist von uns so erzogen.
Künftig werden wir völlig andere Probleme anfassen, vielleicht auch welche mit den Zuschauern bekommen. Mehr Freiheit beispielsweise fördert das Leistungsprinzip, aber damit geht die relative soziale Gleichheit verloren. Wir sind nun einmal nicht mit gleichen Fähigkeiten, mit gleichem Vermögen geboren, das wird den Grad der Ungleichheit erhöhen. Dies nur als ein Beispiel für eine neue geistige Auseinandersetzung. Oder mit dem Blick über die Grenze gen Westen: Jetzt, wo wir endlich ehrlich mit uns umgehen, können wir den Disput mit der BRD realistisch und scharfsichtig führen. Solange wir uns öffentlich belogen, musste diese Auseinandersetzung ebenfalls verlogen klingen.
DM: Also doch ein Hoffnungsschimmer am Satirehimmel?
PETER ENSIKAT: Wir sind genauso konzeptionslos wie die meisten Bereiche. Denn Satire ist zwar einerseits tagesaktuell, andererseits bemüht sie sich um strategische Antworten. Aber noch können wir keine geben. Wichtig scheint mir, in diesen ernsten Zeiten das Lachen, das über-sich-Lachen nicht zu vergessen, im Frust die Kunst des Beginnens zu üben. Diese Fähigkeit ist zu erlernen. Wir stehen zwischen Angst und Hoffnung. Doch geschwunden ist die Erstarrung, die Lähmung. Ein zentrales Problem scheint mir die Zivilcourage zu sein. Immerzu wurde von Kampf gepredigt und jede Art von Couragiertheit verpönt.
DM: Kabarett gehört ins Fernsehen wie die Karikatur in die Zeitung. Aber Satire auf dem Bildschirm hat einfach nicht stattgefunden. Gibt es inzwischen Anforderungen aus Adlershof?
PETER ENSIKAT: Am kommenden Montag wird in Berlin im großen Rahmen Kabarett gespielt - das Metropol-Theater hat sich uns geöffnet. Kabarettisten aus Berlin, Leipzig, Dresden und anderen Städten treten auf, Schauspieler, wie beispielsweise Marianne Wünscher, wollen mittun, ebenso Karikaturisten. Das Fernsehen zeichnet die Veranstaltung auf.
Ich bin in den letzten Tagen von Journalisten aus einzelnen Sonderredaktionen angerufen worden, sie engagieren sich dafür, das Kabarett für den Bildschirm zu entdecken. Wobei ich das Gefühl habe, hier lebt persönliche Initiative auf, weniger die der großen Leitung. Doch es lässt mich hoffen, dass sich die Kabarettisten künftig vor einer breiten Öffentlichkeit artikulieren können.
Das Gespräch führte
Dagmar Ziebarth
Peter Ensikat, Jahrgang 41, geboren in Finsterwalde. Nach dem Besuch der Oberschule dort ging er an die Theaterhochschule Leipzig, Fachrichtung Schauspielausbildung. Nächste Stationen: Theater der jungen Generation Dresden, Theater der Freundschaft Berlin, freischaffend. Gut 20 Jahre schreibt er Texte für das Kabarett. Und seit langem auch Märchen-Adaptionen, die ihn zum viel gespielten Bühnenautor machen.
Der Morgen, Zentralorgan der LDPD, Fr. 10.11.1989