Einreise beantragt

Gegen die Ausgrenzung ehemaliger DDR-BügerInnen

GASTKOMMENTAR

Ein "Neues Forum West" wird es nicht geben, einverstanden. Der Name gehört den DDR-Aktivisten und den vielen, die ihre Namen gegeben haben, republikweit. Damit eine Republik entsteht, eine demokratische. Deutsch wird sie sowieso bleiben, dagegen ist leider nichts zu machen hier und dort. Aber den Geflüchteten, Abgeschobenen, Ausgereisten, Ausgebürgerten - muss man denen noch hinterherrufen, dass sie doch bei der ständigen DDR-Vertretung in Bonn die Einreise beantragen sollen, wenn sie drüben dabei sein wollen (die taz vom 13.10. zitiert auf Seite vier Stimmen und Stimmung von rund fünfzig "West"-BerlinerInnen und Ex-DDRlerInnen)?

Ist denn gar nichts begriffen worden von der Praxis und dem Prinzip der Aus- und Eingrenzung in den Jahren nach 1961? Die einen drin, die anderen draußen, wer reisen kann, bestimmen die Organe. Muss man denn immer wieder schildern, warum Leute weggehen, wie welche weg geekelt und raus gejagt werden? Wolf Biermann, Reiner Kunze, Sarah Kirsch, all die anderen, Loest, Bloch, Leonhard? Unter welchem Druck Freya Klier, Stephan Krawczyk, Ralf Hirsch, Roland Jahn hier anlangten? Und dass keiner sein Zuhause "freiwillig" oder "leichtfertig" verlässt, keiner! Auch die nicht, die jetzt über Ungarn, Prag oder Warschau kommen.

Was den einen auf die Straße treibt und in die Bürgerinitiativen, das lässt den anderen abhauen, manchmal spielen Zufälle eine Rolle, biographische Unterschiede. Sie wollen nicht mehr das, was sie ankotzt. Ändern oder weg, das liegt oft sehr nahe. Und dann kommt das vorwurfsvolle Sortieren in "Kämpfer" und "Verräter". Ganz wie der Staat und die Einheitspartei es machen, nur mit leichten Nuancen im brutalisierten "Wer-wen".

Freizügigkeit muss her, in alle Richtungen, das Ausgrenzen muss aufhören. Sofortige Wiedereinreisemöglichkeiten für alle besuchshalber, wer dann bleiben will, kann es, wer nicht, fährt wieder, kommt zurück und umgekehrt. Dieser Druck, dieses Einkesseln und Rausstellen muss aufhören. Freiwilligkeit, nicht Gewalt.

Ich habe x-mal die Einreise beantragt, andere auch. Es wird dann bald schon etwas komisch, auch unwürdig: erst Knast und Rausschmiss, Rufmord dazu, dann soll man sich im Besucherbüro anstellen. Also, dem "Neuen Forum Ost" in Klartext übermittelt: Komme jederzeit gern nach dem Prenzlauer Berg und nach Grünheide, Diskussion und kleine Lesung. Bringe zwei Freunde mit, Freya Klier und Wolf Biermann, die anderen kommen einen Tag später. Mit Sack und Pack? Nein danke, paar Bücher bringe ich mit. Lili, meine Tochter, geht hier zur Schule. Die hat keine Lust, dauernd umzuziehen. Stöhnt sowieso schon bei "DDR" und wenn das Telefon dauernd klingelt. Hört lieber Musik von "Radio 100".

Jürgen Fuchs, Schriftsteller, 1977 nach neunmonatiger Haft aus der DDR abgeschoben

die tageszeitung, Di. 17.10.89 Ausgabe 2938

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