Geschichte mit Wenn und Aber
Aus aktuellem Anlass: "Der Morgen" bei Walter Janka, dem ehemaligen Leiter des Aufbau Verlages
DM: Am vergangenen Wochenende wurde Ihr autobiographischer Roman Schwierigkeiten mit der Wahrheit erstmals während einer Lesung im Deutschen Theater in Berlin dein DDR-Publikum vorgestellt. Das Buch ist im bundesdeutschen Rowohlt-Verlag erschienen. Warum dort und nicht bei uns?
WALTER JANKA: Ich bin aus dem Geschäft und weiß, was man Verlegern zumuten kann und was nicht. Deshalb habe ich es in der DDR gar nicht erst angeboten. Wenn nicht der Rowohlt-Verlag und die Öffentlichkeit, leider jenseits unserer Grenzen, dieses Buch publik gemacht hätten, würde bis heute keiner in der DDR davon reden. Mit Aufmerksamkeit habe ich zur Kenntnis genommen, dass nun der Kollege Höpcke den Aufbau Verlag mit der Herausgabe des Buches beauftragte. Und dieser Auftrag geht meiner Meinung nach nicht darauf zurück, dass die zuständigen Stellen plötzlich ein großes Interesse für die Vergangenheit eines alten Marxisten zeigten. Eher darauf, dass in unserem Volk etwas in Bewegung gekommen ist.
DM: Wann haben Sie an dem Buch gearbeitet und welche Beweggründe gab es, über Schwierigkeiten mit der Wahrheit nachzudenken?
WALTER JANKA: Es ist vor zwei Jahren entstanden. Wenn das Zentralkomitee meine Forderung nach fairer öffentlicher Rehabilitierung angenommen hätte, wäre das Manuskript bis zu meinem Tod unberührt liegengeblieben. Es umfasst insgesamt 30 Kapitel, nur drei erschienen bisher. Wer den gesamten autobiographischen Roman publiziert, wird sich zeigen. Denn eigentlich ist alles, was ich zu sagen habe, für unsere Genossen und Freunde bestimmt.
DM: Ihre Erinnerungen haben nicht nur Zeitwert, sondern sind höchst aktuell. Hat das mit dein Interesse für bisher unbewältigte DDR-Geschichte zu tun?
WALTER JANKA: Es ist zutiefst traurig, wenn junge Menschen unsere Geschichte, die sehr bitter und hart ist, mit allem Wenn und Aber, nicht kennen. Weil unsere Geschichtsliteratur für Tabu erklärt, was nicht ins bisherige DDR Bild passt. Damit muss Schluss sein, Historie muss gründlich aufgearbeitet werden. Das ist eine berechtigte Forderung. Der Jugend gilt meine ganze Hoffnung. Die Macht in ihren Händen kann die Gesellschaft verändern. Und zwar nicht rückwärts zum Kapitalismus, sondern vorwärts zu einer Ordnung, die man als menschlich, sozialistisch, als fortschrittlich und freiheitlich bezeichnen kann. Wir Alten haben die Pflicht, unsere letzten Tage dafür zu nutzen, den nachfolgenden Generationen Mut zu machen. Mut für den Kampf um Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, für Streiks, da wo sie notwendig sind. Der Sozialismus braucht demokratische Verhältnisse mit mehr Menschenrechten, als sie der Kapitalismus jemals einräumen kann. Wer von uns will einen "himmlischen Frieden" erleben - sie wissen, was ich meine. Ich schäme mich dafür, dass ausgerechnet Repräsentanten unseres Staates lächelnd denen die Hand schüttelten, die Maschinengewehre aufstellten, um Studenten wegzuschießen. Warum wurde das bejubelt?
DM: Sie haben sich über die Jahre hinweg die Zuversicht für einen wahrhaftigen Sozialismus bewahrt. Wie stellen Sie ihn sich vor?
WALTER JANKA: Niemand darf Wahrheit und Macht allein für sich in Anspruch nehmen. Wollen wir unsere Glaubwürdigkeit wiedererlangen, dürfen wir nicht nur von Reformen sprechen. Politik ist immer konkret. Alle gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass jene, die einen ideologischen Scherbenhaufen hinterließen, die die Medien missbrauchten, endlich in den Ruhestand treten. Wir brauchen ein offenes Parlament mit gleichberechtigten politischen Partnern. Ich wünsche mir keine polnischen Verhältnisse mit Lebensmittelpreisen, die ins Unermessliche steigen. Oder Zustände wie in Ungarn, wo ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt.
DM: Von einem demokratischen Sozialismus sind wir noch ein Stück entfernt. Die Tatsache, dass viele unser Land verlassen haben, unterstreicht das. Haben Sie jemals daran gedacht, der DDR den Rücken zu kehren?
WALTER JANKA: Nein. Auch meine beiden Kinder erzogen wir so, dass sie nie einen Ausreiseantrag stellen würden. Ich erlebte in der Arbeiterbewegung seit meinem 14. Lebensjahr viel Schlimmes. Meine Familie gehörte in Chemnitz zu den Begründern der Kommunistischen Partei. Mein Bruder Albert, Reichstagsabgeordneter, wurde ermordet. Ich selbst 1933 verhaftet, nach Bautzen und schließlich ins Konzentrationslager Sachsenburg gebracht. Mir wurde auf Lebenszeit die Staatsbürgerschaft entzogen. Über die Tschechoslowakei, Spanien und Frankreich gelangte ich nach Mexiko. Meine Frau Charlotte, die ich in Marseille kennenlernte, als aktive Streiterin in der Widerstandsbewegung, begleitete mich. Gemeinsam halfen wir beim Aufbau der politischen Bewegung „Freies Deutschland". Nach Kriegsende zog es uns zurück in die damalige sowjetische Besatzungszone, um unsere Kraft für eine antifaschistische Gesellschaft zu geben. Wir sind nach wie vor überzeugt von der Marxschen Lehre, dass "an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen eine Assoziation tritt, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".
DM: Es mussten Jahrzehnte vergehen, bis Sie offen über Ihre Biographie sprechen konnten. Empfinden Sie das als eine Art Rehabilitierung?
WALTER JANKA: Im Zusammenhang mit Diskussionen um die Ereignisse in Ungarn 1956 und die Entlarvung Stalins auf dem XX. Parteitag der KPdSU wurde ich 1956 verhaftet. Vier Jahre und vier Wochen war ich in Bautzen inhaftiert, habe mich aber niemals schuldig bekannt. Bis heute schlugen alle meine Versuche fehl, diesen verleumderischen Prozess aus der Welt zu schaffen. Den Vaterländischen Verdienstorden nahm ich im Mai diesen Jahres dennoch entgegen. Ich wollte nicht als unversöhnlich gelten. An liebsten allerdings würde ich über Nacht alle Orden abschaffen. Was mir für die Zukunft Hoffnung gibt: Der Drang nach Demokratisierung erfasst nicht nur Intellektuelle, sondern das ganze Volk. Wir müssen diesen Prozess vor Provokateuren schützen, ihn gewaltfrei machen.
(Das Gespräch führten
Gabriele Voigt und Ingrid Oehme)
Walter Janka
1947 Rückkehr nach Berlin bis 1948 persönlicher Mitarbeiter von Paul Merker im Zentralkomitee der SED
bis 1950 Chef der DEFA
ab 1951 erst stellvertretender Leiter, später Leiter des Aufbau Verlages
1956 bis 1960 in Bautzen inhaftiert
1960 bis 1962 arbeitslos
1962 bis 1972 Spielfilmdramaturg bei der DEFA, danach freischaffend
Der Morgen, Zentralorgan der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, Do. 02.11.1989
Anlässlich des 1. Mai 1989 erhielt Walter Janka den Vaterländischen Verdienstorden in Gold.