Eine gute Tradition, die nicht verloren gehen soll

Frau Dr. Ursel Überschähr, als Leiter der Projektgruppe Ausländerintegration an der Karl-Marx-Universität Leipzig kennen Sie die derzeitige Situation ausländischer Studenten.

Ihre Integration bereitete bislang zumindest scheinbar keine besonderen Probleme. Sicherlich haben auch früher manche Bürger die Ausländer als 'Fremde' abgelehnt, aber es zeigte sich nicht offen.

Wie ist die Stimmung unter den ausländischen Studenten?

Kurz gesagt: bedrückend. Sie werden nicht selten auf der Straße angepöbelt. Viele sind verunsichert. Das hat so weit geführt, dass in den Internaten Mütter mit Kindern aus den Erdgeschosszonen ausquartiert und in höher gelegenen Etagen untergebracht wurden, um sie zu schützen. Ausländerhass und Nationalismus resultieren sicherlich aus sozialer Unsicherheit und aus Unwissenheit.

Waren diese Probleme Anlass, die Projektgruppe Anfang März zu gründen?

Durchaus. Wir möchten, dass die gute Tradition der Solidarität nicht verloren geht und dass sich Bürger anderer Staaten bei uns wohl fühlen können. An der Universität - hier studieren auch rund 1 600 junge Leute aus 83 Ländern - haben wir einen Beratungsdienst eingerichtet. Dabei geht es um Probleme beim Studium, bei der Betreuung der Kinder, aber auch darum, Ängste abzubauen. Darüber hinaus soll Forschungsarbeit zur Ausländerproblematik geleistet werden.

Es fragte CHRISTA PEHLIVANIAN

aus: Neues Deutschland, Jahrgang 45, Ausgabe 71, 24.03.1990, Sozialistische Tageszeitung. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.