Daten der Bürger sind ihr persönliches Eigentum

Von Klaus-Peter Schwalm, Bürgerkomitee

Die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit den Personenakten des Ministeriums für Staatssicherheit wird logischerweise gegensätzlich beantwortet werden, je nachdem, ob jemand Opfer oder Täter ist.

Die entschiedensten Befürworter einer Vernichtung oder Versiegelung werden diejenigen sein, die als inoffizielle Mitarbeiter (IM), unbekannte Mitarbeiter (UM) oder Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) enttarnt werden könnten.

Aufklärung und Enttarnung sind wichtig

Sie werden ihre Ziele mit Argumenten zu erreichen versuchen, die nichts von ihren wahren Motiven verraten, die logisch und einleuchtend sind.

Sie fürchten den Verlust von Positionen und die Blamage. Das Spiel ist anders ausgegangen, als sie es sich träumen ließen.

Sie glaubten an die Ewigkeit, der ihnen unter dem Begriff "Quellenschutz" zugesicherten Integrität.

Sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht und wollen nun nicht zahlen.

Sie sollen nicht zahlen durch die Preisgabe ihrer Persönlichkeitsrechte, die schließlich jeder Hühnerdieb, Entblößer oder Hochstapler in Anspruch nehmen darf.

Aber aufgeklärt werden müssen die vielen kleinen und großen Untaten.

Und das geht nur mit Hilfe derer, zu deren Nachteil oder Schaden die Datensammlungen angelegt wurden.

Aufgeklärt werden müssen auch die Motive der Mittäter, und sie müssen ihre große oder kleine Schuld akzeptieren, um überhaupt begreifen zu können, dass sie ja selber Opfer geworden sind eines den Menschen von klein auf deformierenden Systems.

Es geht nicht darum, sie an den Pranger zu stellen. Es geht um Strafe, wo Strafe verdient ist, um Rüge, wo diese Form der Sühne angebracht, und vielleicht auch nur um Entschuldigung.

Es muss ihnen und uns allen bewusst werden, dass es ewige Schmach und Schande einer Partei ist, Menschen mit den Mitteln der Überredung, Täuschung und Erpressung oder unter Ausnutzung von Idealismus missbraucht zu haben.

Verheimlichen hilft bei Luftbereinigung nicht

Dies alles durch Vernichtung oder Versiegelung aus der Welt schaffen zu wollen, ist fahrlässige Konfliktanhäufung für die Zukunft.

Soziale Umweltverschmutzung lässt sich genau sowenig wie natürliche durch Verheimlichen aus der Welt schaffen.

Sogenannte Täter und Opfer müssen als ehemalige Gegenspieler gemeinsam aufarbeiten.

Nicht nur Gerichte werden beansprucht werden müssen, sondern Schiedskommissionen wie bei gleichwertigen Delikten der Ehrabschneiderei in einer zivilisierten Staatsform.

Quellenschutz wäre an dieser Stelle Perversion

Das ist man denen schuldig, die sich eben nicht manipulieren lassen wollten, die widerspenstig waren oder Widerstand leisteten.

Es ist eine zusätzliche Verhöhnung und Beleidigung derer, die unter der SED-Herrschaft physisch oder psychisch gelitten haben, dass man ihnen, die in der Vergangenheit Moral bewiesen, nun unterstellt, sie würden sich zu ungesetzlichen Handlungen und zur Störung des Bürgerfriedens hinreißen lassen, wenn sie anhand ihrer schon von der Staatssicherheit anonymisierten Akten zu Schlussfolgerungen über mögliche Spitzel in ihrem engsten Bekanntenkreise kommen könnten. Sicher kann es zu Spannungen kommen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Entspannungen kommt, ist noch größer, wenn man nämlich erfahren sollte, wer es nicht war, nämlich, dass es nicht immer die besten Freunde waren, die man zu verdächtigen hatte.

Das im ehemaligen SED-Staat sanktionierte Unrechttun fällt allemal schwerer ins Gewicht als ein vorstellbarer persönlicher Racheakt unter den Bedingungen der Rechtsstaatlichkeit.

Die Staatssicherheit schützte ihre "Quellen", um den Informationsfluss nicht zu gefährden.

Die nahtlose Übernahme der Begriffsanwendung "Daten- und Quellenschutz" zur Verhinderung der persönlichen Einsichtnahme in die personenbezogene Datenspeicherung ist eine Perversion, mit der im Nachhinein die Tätigkeit des MfS bei der flächendeckenden Überwachung legalisiert wird.

Die Daten des Bürgers sind sein persönliches Eigentum. Sie dokumentieren ein Stück seines Lebens und geben Aufschluss über an ihm vorgenommene Zersetzungsarbeiten wie der planmäßigen Organisation von gesellschaftlichen, beruflichen und auch ganz privaten Misserfolgen.

Er allein hat zu befinden, was damit geschieht. Er allein ist dazu in der Lage, für Außenstehende unscheinbare Verletzungen von Recht, Gesetz oder auch nur Anstand zu erkennen.

Geben wir ihm Genugtuung, gönnen wir ihm den kleinen Sieg über den Giganten Politbürosicherheit, indem er ein Stück gestohlenes Leben, wie es in den Akten geronnen ist, zurückbekommt.

Berliner Zeitung, Mo. 06.08.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 181

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