Frage an die Volkskünstler: Gemeinsam oder macht jeder seins?
Gründung einer eigenen Interessenvertretung vorgeschlagen
Wie geht es weiter mit der Volkskunst? Im Prozess der demokratischen Erneuerung gilt es auch in diesem Bereich zu prüfen, was nicht mehr in die Zeit passt und was zu bewahren ist. Reglementierung und Gängelei, zentral verordnete "Aufgebote" haben in der Vergangenheit oft einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Statt das zu tun, wonach den Gruppen selbst der Sinn stand, fühlten sich manche allzu sehr an die Leine genommen. Und mitunter blieben da Spontanes, Ursprüngliches, der Spaß an der Sache auf der Strecke. Kürzlich hat sich in Leipzig ein Komitee zur Gründung einer Föderation des künstlerischen Amateurschaffens gebildet. ND sprach mit der Beauftragten des Komitees, Gerlinde Hennig.
Ursprünglich war ja wohl beabsichtigt, einen Volkskunstverband zu gründen. Warum jetzt eine Föderation? Ist das nur ein anderer Name, und wie kam es dazu?
Den Gedanken, eine eigene Interessenvertretung der Volkskünstler zu schaffen, gibt es schon länger. Entsprechende Vorschläge wurden in der Vergangenheit immer abgelehnt. Vorsitzende und Vertreter von zentralen Arbeitsgemeinschaften haben sich im November erneut zu dieser Frage verständigt und die Gründung eines Volkskunstverbandes angeregt. In zahlreichen Gesprächen und Zuschriften zeigte sich, dass der Vorschlag Zustimmung findet Einige befürchteten allerdings, dass die Eigenständigkeit der künstlerischen Gebiete in einem Verband nicht gewährleistet sei. Um Missverständnissen vorzubeugen, sind wir von dem Begriff Volkskunstverband abgekommen. Die Föderation versteht sich als eine Dachorganisation, in der die einzelnen Genres eigenständig wirken.
Basisdemokratische Eigenverantwortung
Was ist das Anliegen der Föderation?
Interessenschutz und Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Die Föderation will sich dafür einsetzen, dass künstlerisches Amateurschaffen ohne Reglementierung, Eingriffe von' staatlichen Organen, Betrieben, Trägerorganisationen in die künstlerische Arbeit, wie das bisher der Fall war, seinen eigenen Beitrag im kulturellen Erneuerungsprozess leisten kann. Grundlage ist die basisdemokratische Eigenverantwortung der Gruppen und Einzelschaffenden. Künstlerisches Amateurschaffen ist für die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft unabdingbar. Dafür braucht es die Möglichkeit, seine Eigenschaften frei ausbilden zu können.
Eine weitere Aufgabe sieht die Föderation darin, internationale Verbindungen selbst zu vertreten, Werkstätten, Erfahrungsaustausch, nationale und internationale Begegnungen zu organisieren.
Es gibt Besorgnis und erste Anzeichen, dass Betriebe, wenn sie zur Eigenerwirtschaftung der Mittel übergehen, aus ökonomischen Gründen zuerst Ausgaben für die Volkskunst kürzen, Partnerschaften mit Zirkeln aufkündigen. Kann da die Föderation Einfluss geltend machen?
Künstlerisches Amateurschafen wird immer auf Unterstützung angewiesen sein. Wir wissen aber auch, dass ökonomisches Denken angesagt ist Die Volkskünstler sind natürlich bestrebt, einen Teil der benötigten Mittel für ihre Freizeitgestaltung selbst aufzubringen, aber dennoch brauchen sie Partnerschaften. In diesem Sinne wollen wir die Interessen der Volkskünstler gegenüber staatlichen Organen vertreten und mit gesellschaftlichen Partnern zusammenarbeiten. Wir fühlen uns mitverantwortlich, in. der Öffentlichkeit Verständnis zu fördern, welchen Wert künstlerische Betätigung für den einzelnen und die Gesellschaft hat. Weiter gibt es Überlegungen, auch Vorschläge für gesetzliche Regelungen einzubringen. Wir haben zum Beispiel mal die Möglichkeit diskutiert, ob Betriebe, Genossenschaften eine Abgabe an einen Fonds zahlen können, woraus auch das Amateurschaffen Unterstützung erhält. Das könnte eine Variante sein.
Wer kann Mitglied in der Föderation werden?
Eine Mitgliedschaft in der Föderation an sich gibt es nicht. Man kann nur Mitglied in einem künstlerischen Fachverband werden. Es ist Sache des Verbandes, entsprechend den Wünschen seiner Mitglieder und der Spezifik des Genres, über seine Satzungen selbst zu entscheiden. Die Föderation, in der gewählte Vertreter der Fachverbände zusammenarbeiten, schreibt da nichts vor. Einige, zum Beispiel Gruppen der Musikfolklore, haben noch unterschiedliche Auffassungen, ob das Mitwirken in einer Föderation sinnvoll ist. Daneben gibt es auch Bestrebungen, sich völlig unabhängig zu organisieren, so in einem Chorverband. Bei gemeinsamen Interessen schließt das eine Zusammenarbeit keineswegs aus: Gegenwärtig Bind wir dabei, ein Rahmenstatut zu erarbeiten und zur Diskussion zu stellen. Es wäre schön, wenn sich viele mit ihren Vorschlägen dazu an die Arbeitsgemeinschaften oder an das Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig wenden würden.
Gewerkschaften sollten künftig Partner bleiben
Stichwort Partnerschaft Die Arbeiterfestspiele, von den Gewerkschaften initiiert, sind für dieses Jahr abgesagt. Gibt es Vorstellungen, wie es künftig weitergehen wird?
Zentrale Treffen, Festspiele, wie immer sie auch heißen mögen, sind für Volkskünstler wichtig. Sie brauchen den kritischen Vergleich. Zunehmend abgelehnt wurden, um bei den Arbeiterfestspielen zu bleiben, die Art der Delegierung und dass die Festspiele immer mehr der repräsentativen Vorführung künstlerischer Ergebnisse dienten. Wir kennen im Moment nicht die Vorstellungen der Gewerkschaften zu dieser Frage, aber wir wünschen uns auch weiterhin eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Gewerkschaften, indem sie sich finanziell beteiligen, der Föderation ermöglichen, solche Vergleiche selbst zu gestalten. Ebenso könnten die Gewerkschaften derartige Treffen ausrichten und mit uns die Modalitäten besprechen. Grundlage sollte in jedem Fall die freie Bewerbung der Gruppen sein.
Das Gespräch führte Gudrun Schmidt
aus: Neues Deutschland, Jahrgang 45, Ausgabe 25, 30.01.1990, Sozialistische Tageszeitung. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.