Warum und wie leben bei uns Ausländer?

Im Gespräch mit Heinz L(...), amtierender Bereichsleiter im Amt für Arbeit und Löhne

In der Leserpost an unsere Redaktion waren in letzter Zeit auch Briefe, die Besorgnis über zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der DDR widerspiegeln. Christian S(...) aus Werdau, Günther und Esther K(...) aus Zwickau und andere Leser sehen in mangelnder Kenntnis über Gründe, warum und wie ausländische Bürger bei uns leben und arbeiten, eine Ursache für solche Haltungen gegenüber diesen Menschen. Wir sprachen darüber mit Heinz L(...), amtierender Bereichsleiter im Amt für Arbeit und Löhne beim Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt.

Wie viele ausländische Bürger leben und arbeiten zur Zeit im Bezirk Karl-Marx-Stadt?

Auf der Grundlage von Regierungsabkommen sind derzeit über 17 500 Ausländer längerfristig im Bezirk. Eine weitere Gruppe ist auf der Basis von Vereinbarungen zwischen Ministerien, Kombinaten oder Betrieben zeitweilig als Mitarbeiter ausländischer Firmen hier Tätig oder studiert an Bildungseinrichtungen. Einige ausländische Bürger haben aus persönlichen Gründen, z. B. Heirat, ihren ständigen Wohnsitz in der DDR.

Aus welchen Staaten kommen die bei uns längerfristig arbeitenden Ausländer?

Die meisten - 13 000 - sind Vietnamesen. 1 850 kommen aus Mocambique, 1 700 aus Kuba, 760 aus Polen und 250 aus Angola.

In welchen Betrieben sind sie beschäftigt?

Hauptsächlich im Bereich der Leichtindustrie. 10 200 vietnamesische Frauen und Männer arbeiten in 80 Textilbetrieben. Neben Tätigkeiten in der Textiltechnik sind weitere Einsatzgebiete u.a. Kleidungsfacharbeiter, Schuhfertiger und einige Metallberufe. Im Getränkekombinat arbeiten Mocambiquer, im Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb sind seit Oktober vorigen Jahres vietnamesische Werktätige im Einsatz.

Es sind doch aber keine Facharbeiter?

In der überwiegenden Mehrzahl nicht.

Dann erfordert die Vorbereitung ihres Einsatzes bei uns doch einen erheblichen Aufwand?

In der Tat. Nach Einführungslehrgängen geht es im ersten Jahr im Betrieb um den Befähigungsnachweis im Einsatzgebiet und um Leistungsstabilität in der Normerfüllung. Die nächsten Etappen sind teilberufliche Abschlüsse oder der Facharbeiterbrief.

Ist ein solcher Abschluss das generelle Ziel?

Nein, das ist sehr differenziert. Bei den Kubanern und Mocambiquern ist das Streben nach dem Facharbeiterbrief stark ausgeprägt, 80 Prozent erreichen ihn. Bei den Vietnamesen überwiegen Teilabschlüsse. Das hängt auch damit zusammen, dass die Vietnamesen nach der Rückkehr in die Heimat nur wenige oder gar keine Beschäftigungsmöglichkeiten in solchen Berufen hätten.

In welcher Währung werden die ausländischen Arbeitskräfte entlohnt?

In Mark der DDR und nach den gleichen Leistungskriterien wie die deutschen Kollegen.

Es gibt also keine Lohnanteile in Valuta?

Nein, für die Ausländer, die auf der Basis von Regierungsabkommen einen in der Regel vier- bis fünfjährigen Einsatz in der DDR absolvieren, gibt es das nicht. So etwas ist eventuell bei den Spezialisten, die im Auftrag ausländischer Firmen zeitweilig in der DDR tätig sind, möglich, doch die werden von ihren Auftraggebern bezahlt, nicht vom hiesigen Betrieb.

Die ausländischen Bürger wollen doch bestimmt zum Lebensunterhalt ihrer Angehörigen in der Heimat beitragen. Wie können sie das?

Zwölf Prozent des Nettoeinkommens der Vietnamesen werden an ihren Staat abgeführt, bei den Kubanern sind es sogar 60 Prozent, allerdings erhalten sie nach Rückkehr einen Teil davon wieder zurück. Polnische Bürger führen nichts an ihren Staat ab. Es dürfen Waren im Gesamtwert von 50 Prozent des Nettoverdienstes ausgeführt werden. Jeder vietnamesische Kollege z. B. darf im Jahr sechs Wertpakete und im Monat ein Geschenkpaket bis zu 100 Mark in die Heimat schicken.

Gibt es Beschränkungen bei der Ausfuhr bestimmter Konsumgüter?

Ja, ein Vietnamese darf in den fünf Jahren fünf Fahrräder, zwei Mopeds und einen Fotoapparat nach Hause schicken. Begrenzt sind außerdem die Mengen bei Zucker, Stollen, Anoraks, Fahrrad- und Mopedersatzteilen. Übrigens beträgt die Luftfrachtgebühr für ein Moped nach Vietnam 1 900 Mark.

Was sagen Sie zu den Auffassungen, die Ausländer schaffen durch Hamsterkäufe zusätzliche Versorgungsprobleme?

Ich glaub, hier ist unbeteiligt ein Unterschied zu machen zu den Ausländern, die die Möglichkeiten des Tourismus zu Spekulationsreisen nutzen wollen. Probleme hat es manchmal dort gegeben, wo eine größere Zahl Vietnamesen wohnen und der Handel sich erst spät auf den überdurchschnittlich hohen Abkauf z. B. von Reis und Geflügel einstellte. Und die körperlich kleinen Vietnamesen schufen auch einen größeren Bedarf an Jugendgrößen bei Bekleidung.

Wo und wie wohnen die ausländischen Werktätigen?

Wenn Menschen fünf Jahre lang hier arbeiten, haben sie auch Anspruch auf annehmbare Wohnbedingungen. Die in den Regierungsabkommen festgelegten Limits sind nicht hoch gesteckt, z. B. fünf Quadratmeter Wohnfläche je Person, eine Kochplatte für drei Personen, 20 Liter Kühlraum und ein zweitüriger Schrank je Person, auf 50 Werktätige ein Klubraum mit Fernseher, eine Waschmaschine und Trockenraum. In der Regel sind sie in Wohnheimen untergebracht.

Wie verbringen die ausländischen Kollegen ihre Freizeit?

Das ist wohl eines der schwierigsten Probleme. Sechs, sieben Menschen mit unterschiedlichen Neigungen in einer Wohnung - jeder von uns weiß doch aus der eigen Familie, dass da nicht immer alles unter einen Hut zu bringen ist. Die vorhandenen Klubräume können die weitgefächerten und zudem von nationalen Eigenheiten geprägten persönlichen Interessen nur in beschränkten Maße befriedigen.

Es gibt hier und da auch Klagen über hohen Alkoholverbrauch und damit verbundene Ruhestörungen durch im Wohngebiet lebende Ausländer.

Sicher kommt es bei Konzentration spezieller Menschengruppen, die doch unter etwas anderen Bedingungen leben als die einheimischen Bürger, auch zu solchen Erscheinungen. Ich selbst habe mich schon oft gefragt, wie es wäre, wenn ich monate- oder jahrelang fern der Heimat leben und mich den dortigen Sitten Gebräuchen unterordnen müsste. ... Damit will ich in keiner Weise übermäßigen Alkoholkonsum mit seinen negativen Auswirkungen entschuldigen. Ich meine, es ist im Umgang mit diesen Menschen auch Verständnis gegenüber ihren Problemen, also Sachlichkeit, sehr angebracht.

Wie können die Ausländer auch in das gesellschaftliche Leben im Wohngebiet einbezogen werden?

Da gibt es eine ganze Reihe guter Ansätze und Nachahmenswertes. Im Karl-Marx-Städter Fritz-Heckert-Wohngebiet haben z.B. Kubaner und Vietnamesen Wohngebiets- und Kinderfeste mitgestaltet. Von ihren Arbeitskollektiven werden ausländische Kollegen in Brigadeveranstaltungen einbezogen. Anklang finden auch spezielle Sportgruppen für Ausländer in BSG. In solchen Betrieben wie dem Fritz-Heckert-Werk Karl-Marx-Stadt, Vereinigte Baumwollspinnereien und Zwirnereien Flöhn, Sachsenring Zwickau, Ermafa Karl-Marx-Stadt, Volltuchwerke Crimmitschau, Feinspinnerei Venusberg u.a., die schon jahrelang mit ausländischen Kollegen arbeiten, ist das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Werktätigen besonders gut.

Stimmt es, dass es in den Ausländergruppen mehr kriminelle Delikte gibt als sonst bei uns?

Das sind Gerüchte. Die Straftaten - meist Zoll- und Devisenvergehen, aber auch Tätlichkeiten untereinander nach Alkoholgenuss, Diebstähle, Sittlichkeitsdelikte - liegen deutlich unter der Kriminalitätsrate in der DDR. Im Vorjahr wurde ein zeitweiliger Anstieg bei Zoll- und Devisenvergehen registriert.

Und es besteht keine Gefahr, dass die Ausländer ihren deutschen Kollegen die Arbeit wegnehmen?

Nein, die Ausländer machen nur zwei Prozent des Arbeitsvermögens im Bezirk aus, und die Arbeitskräftesituation ist durch die große Zahl der Ausgereisten nach wie vor angespannt. Die Ausländer sind eine wichtige Größe bei der Sicherung von Versorgungsaufgaben durch unsere Industrie.

(Das Gespräch führte Dieter L(...))

aus: freie presse, Nr. 13, 16.01.1990, 28. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt

Worum und wie leben bei uns Ausländer?

Neue Fragen zu einem Interview

Wieder im Gespräch mit Heinz L(...), amtierender Bereichsleiter im Amt für Arbeit und Löhne

Nach dem "fp"-Interview "Warum und wie leben bei uns Ausländer?" (18. Januar, Seite 5) erreichten uns weitere Meinungen und Fragen von Lesern zu dieser Problematik. Darum baten wir unseren Gesprächspartner Heinz L(...), amtierender Bereichsleiter im Amt für Arbeit und Löhne beim Rat des Bezirkes, noch einmal um ein Gespräch zu diesem Thema.

In unserem ersten Gespräch erklärten Sie, dass ausländische Werktätige, die auf der Grundlage von Regierungsabkommen, z. B. mit Vietnam, Kuba, Mocambique oder Polen, vier bis fünf Jahre bei uns arbeiten, genau wie Ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen in DDR-Währung entlohnt werden...

Das stimmt....

Aber gerade dazu melden einige Leser Zweifel an. Herr Ingolf S(...) aus Pockau schreibt: "In unserem Nachbarort Lengefeld ... arbeiten im NARVA-Leuchtenbau viele Mocambiquer. Sie werden aber mit einem Teil Valuta (Dollar) und einem Teil DDR-Mark ausgezahlt, wie es Leuchtenbauarbeiter berichten." Was sagen Sie zu dieser konkreten Angabe?

Sie ist falsch. Aber warten Sie, wir werden ganz sicher gehen.
(Heinz L(...) greift zum Telefonhörer, wählt die Nummer vom Leuchtenbau Lengefeld, es meldet sich Kollege B(...), Direktor für Personalwesen. Ich kann das Gespräch mitverfolgen.)

Sie haben gehört: Der VEB Leuchtenbau verfügt über keinerlei Valutamittel. Wenn Kollegen dieses Betriebs anderes berichten, sind sie selbst nur Gerüchten aufgesessen.

Wie kommt es dann, fragt Frau L(...) aus Planen, dass "Vietnamesen im Intershop Radiokassettenrecorder, Rechner usw." einkaufen können?

Vielleicht, hat dieser oder jener Verwandte oder Freunde in der BRD oder einem anderen Land und bekommt über sie D-Mark oder Dollar in die Hand. Über ähnliche Quellen z. B. konnten ja auch DDR-Bürger schon lange vor den offiziellen Umtauschmöglichkeiten im Intershop einkaufen.

Das Kollektiv-Nacharbeit des VEB Stickperle Falkenstein, möchte wissen: Wer bezahlt die Reisekosten für den Heimaturlaub der vietnamesischen Kollegen?

Entsprechend den Regierungsabkommen trägt der Betrieb die Kosten für die Hin- und Rückreise. Für diesen einmaligen Heimaturlaub, der nach zwei Jahren Tätigkeit in der DDR in Anspruch genommen werden kann, stehen 60 Kalendertage zur Verfügung. Dazu ist der gesetzlich festgelegte Urlaub des vorangegangenen und des laufenden Kalenderjahres zu nehmen. In den wenigen Einzelfällen, wo Ausländer betriebsbedingt nur einschichtig arbeiten, also nur 18 Tage Urlaub erhalten, müssen Sonderregelungen getroffen werden, z. B. unbezahlter Urlaub. Die 60 Kalendertage müssen generell allen Vietnamesen ermöglicht werden, weil die Hin- und Rückflüge in geschlossenen Gruppen erfolgt.

Eine weitere Frage aus Falkenstein: Werden ausländische Werktätige beim Erwerb eines Führerscheins bevorzugt?

Nein, sie haben auch hier gleiche Bedingungen wie DDR-Bürger. Wenn ein größerer Betrieb in seinem Fuhrpark eigene Möglichkeiten zur Fahrschule hat, wird das natürlich auch den ausländischen Kolleginnen und Kollegen zugute kommen.

Werden Ausländer kostenlos eingekleidet?

Nach der Richtlinie vom 19. März 1987 zur Durchführung des Regierungsabkommens DDR - Vietnam erhalten alle Vietnamesen bei ihrer Ankunft eine einmalige Beihilfe zur Beschaffung zweckmäßiger Bekleidung in Höhe von 500 Mark. Seit 31. Oktober 1988 gilt das auch für mocambiquische Werktätige. Damit soll ihnen sofort nach der Anreise eine für die hiesigen klimatischen Verhältnisse zweckmäßige Einkleidung erleichtert werden.

Frau L(...) hält es nicht für gerechtfertigt, dass ausländische Werktätige in Neubauten Unterkunft erhalten, während noch viele DDR-Bürger unter sehr schlechten Wohnbedingungen leiden und wenig Aussichten auf eine baldige Verbesserung haben...

Das ist eine sehr bedauerliche Situation, die aber nur die Misere des Wohnraumzustandes in unserem Land widerspiegelt. Und die ist doch nicht den Ausländern anzulasten, sondern eine Hinterlassenschaft des fehlgeschlagenen Wohnungsbauprogramms der vergangenen Jahre. Aber es sind nicht alle ausländischen Werktätigen in Neubauten untergebracht. Im VEB Malitex Auerbach wohnen sie z. B. in barackenartigen Unterkünften im Betriebsgelände. Ähnlich ist es im VEB Baumwollspinnerei Karl-Marx-Stadt oder in der Papierfabrik Langenbach.

(Es fragte Dieter L(...).)

aus: freie presse, Nr. 32, 07.02.1990, 28. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt

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