Keine Alternative zur Fortsetzung der Bündnispolitik

Stellungnahme der Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne zur Frage von SPD-Listenplätzen und den Perspektiven für die anstehenden Wahlen

Zuerst kam der Protest: Nachdem bekannt wurde, dass die SPD einzelnen Angeordneten der Fraktion Bündnis 90/Grüne Listenplätze für die gesamtdeutschen Wahlen angeboten hatte, schlugen die Wogen hoch in den Bürgerbewegungen der DDR. Dann kam der Schritt nach vorne: VertreterInnen der Basis riefen zur Gründung eines Bürgerbündnisses auf, das dann mit den Grünen über Listenplätze verhandelt (Kontakt: Neues Forum Berlin-Pankow, J.-R.-Becher-Str. 9, Tel. (...)). Nun hat die Fraktion am Dienstag eine Erklärung in dieser Sache verabschiedet. Zu dem klaren Votum, am Bündnis 90/Grüne festzuhalten, mag auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Richard Schröder beigetragen haben. In der Volkskammersitzung am vergangenen Sonntag brachte er die Abgeordneten in der Fraktion gegen sich auf, als er über die Gefahren von Splittergruppen im Parlament räsonierte. Die im Folgenden dokumentierte Erklärung wurde ohne Gegenstimmen verabschiedet.

Zunehmend wird die Volkskammerfraktion "Bündnis 90/Grüne" aufgefordert,

1. an ihrer konstruktiven Oppositionspolitik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger der DDR festzuhalten,

2. einen Beitrag zu leisten, damit für die anstehenden Wahlen erneut ein Bürgerbündnis zustande kommt.

Gleichzeitig ist fast täglich irgendwo zu lesen, die Volkskammerfraktion Bündnis 90/Grüne würde mit der SPD um Listenplätze für die Bundestagswahlen feilschen. Bärbel Bohley, die sich als Sprecherin der Basis betrachtet: Dies sei "ein Verstoß gegen basisdemokratische Prinzipien". Die Abgeordneten hätten wohl vergessen, dass sie "lediglich ein Mandat ihrer Basisgruppen haben, in der Volkskammer die jeweiligen Bürgerbewegungen zu vertreten", so die beiden Abgeordneten der Berliner Stadtverordnetenversammlung Bärbel Bohley und Ingrid Köppe in einem Offenen Brief.

Wir, Abgeordnete aus dem neuen Forum, der Initiative für Frieden und Menschenrechte, der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt und der Grünen der DDR, wollen keinen unsachlichen Streit, müssen jedoch nach den verwirrenden Darstellungen in der Öffentlichkeit einige Punkte klarstellen.

Zunächst: Die Abgeordneten wurden von ihrer Basis nominiert. Das Mandat erhielten sie von ihren Wählerinnen und Wählern (pro Abgeordneten 24.852 Stimmen). Nach der Verfassung sind die Abgeordneten allein ihrem Gewissen verpflichtet und das heißt für uns: Den Interessen der Bürgerinnen und Bürger der DDR.

Die Abgeordneten der Volkskammerfraktion befürworten von Anbeginn an alle Bemühungen um ein Bündnis der DDR-Bürgerbewegungen und der Grünen der DDR. Eine solche Neuauflage des Bündnisses der Herbstkräfte sollte sowohl außerparlamentarisch als auch in den Parlamenten konstruktive Arbeit für die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger der DDR leisten.

Leider gewinnen wir den Eindruck, dass einige Aktive dieses Bündnis nicht wünschen.

Allein ein solches Bündnis ermöglicht jedoch, dass die Bürgerbewegung

1. stark genug ist, um gehört zu werden,

2. stark genug ist, um die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu überspringen, damit die Bürgerbewegungen auch in künftigen Parlamenten vertreten sind,

3. stark genug ist, um einen eigenen und auch neuen Akzent in die Politik eines vereinigten Deutschlands zu bringen,

4. dadurch Politik betreiben kann, die basisdemokratisch orientiert ist, Politik transparent macht, Selbstbestimmung und Mitbestimmung fördert, ökologische und soziale Ansprüche, unmittelbare Bürgerinteressen und Formen direkter Demokratie in die Gesellschaft trägt, wozu die Parlamentsarbeit hilfreich ist, dem Schutz von Minderheiten und dem Frieden in der Gesellschaft und zwischen den Gesellschaften dient.

Sollte kein Bürgerbündnis zustande kommen, besteht die Gefahr, dass die Bürgerbewegung im künftigen Deutschland zu einer nicht mehr wahrnehmbaren Randerscheinung verkommt.

Dies wäre ein historisch nicht wiedergutzumachender Fehler.

Mit der SPD, vertreten durch Oskar Lafontaine und Wolfgang Thierse, wurde am 17. Juli 1990 ein informelles Gespräch geführt. Wir bedauern, dass im Anschluss daran in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wurde, die Fraktion habe mit der SPD um Listenplätze verhandelt.

Das ist falsch. Das Gespräch mit den Spitzenfunktionären der SPD und die jüngsten politischen Entscheidungen der Sozialdemokraten in der DDR haben uns jedoch erneut die Notwendigkeit vor Augen geführt, die Politik der Fraktion "Bündnis 90/Grüne" fortzuführen. Auch die guten Erfahrungen der Bündnisarbeit in kommunalen Parlamenten bestärkt uns in dieser Auffassung.

Unsere Fraktion unterstützt nachdrücklich alle Bemühungen, die zu einer Fortsetzung des "Bündnis 90/Grüne" zu den Landtags- und Parlamentswahlen führen. Angesichts der Fünf-Prozent-Hürde schon zu den Landtagswahlen gibt es dazu keine Alternative.

Fraktion Bündnis 90/Grüne

aus: taz Nr. 3167 vom 26.07.1990

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