Auf Distanz zu Ausländern?

Bemerkungen wie "Negerflittchen" und "Für Westgeld machen die doch alles" erntete eine junge Frau, als sie Hand in Hand mit einem dunkelhäutigen Mann auf der Klement-Gottwald-Straße in Halle schlenderte. Ob sie absichtlich weghörte oder an solche Kommentare schon gewöhnt ist - diese Frage blieb unbeantwortet. Das Paar ging scheinbar unbeeindruckt weiter.

Die Episode war für mich Anlass, an der Martin-Luther-Universität, wo derzeit Gäste aus rund 60 Staaten lernen und arbeiten, näheres über die Rolle von Ausländern zu erkunden. Nach Ansicht des Direktors für internationale Beziehungen, Günther Mainzer, gilt die vor nahezu 300 Jahren gegründete Alma mater als weltoffen. Dieser Ruf wird begründet vom hohen Stand der Wissenschaften, den relativ günstigen sozialen Bedingungen und der traditionellen Gastfreundschaft der Mehrheit der Bevölkerung.

Andererseits sei unübersehbar, dass ein Teil der Einheimischen in Halle gegenüber Ausländern eine zunehmend distanzierte Haltung einnimmt. Hinweise häuften sich darüber, dass insbesondere farbige Studenten in der Öffentlichkeit diskriminiert und vereinzelt in handgreifliche Auseinandersetzungen verwickelt werden. Akteure sind nach Information der Abteilung Ausländerstudium neben angetrunkenen Jugendlichen auch Bürger im gesetzten Alter, die lautstark auf ihre deutsche Nationalität pochen. Dem sei auch Fehlverhalten von Ladenpersonal entgegengekommen, das Ausländer grundlos aus Verkaufsstellen gewiesen habe. Nicht ins Bild passe einigen Bürgern der vor einem Jahr eröffnete Klub des Internationalen Studentenkomitees in der Leitergasse, der auch von vielen Deutschen besucht wird. Vorwürfe in Eingaben, dass von ihm Störungen der Ordnung ausgingen, erwiesen sich nach Überprüfung durch die Polizei als ungerechtfertigt.

All dies ruft nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen Sorge hervor, von denen sich einige sogar mit dem Gedanken tragen, ihr Studium in Halle vorzeitig zu beenden. In einer von der Tageszeitung "Freiheit" veröffentlichten Erklärung riefen die Mitarbeiter der Martin-Luther-Universität alle Bürger zur Bewahrung der humanistischen Traditionen auf. Erinnert sei an dieser Stelle daran, dass 1734 in Halle der erste Afrikaner an einer europäischen Universität promovierte.

Ralf-Jürgen B(...), Halle

aus: Tribüne, Nr. 18, 25.01.1990, 46. Jahrgang, Zeitung der Gewerkschaften