Offen für jedes Kind, aber absolut freiwillig
Unter der "Schirmfrauenschaft" des Unabhängigen Frauenverbandes wurde in der vergangenen Woche im Sinne der UNO-Konvention für die Rechte des Kindes eine selbständige Kindervereinigung e. V. gegründet.
ND unterhielt sich darüber mit Birgit Gappa, Vorsitzende der Pionierorganisation "Ernst Thälmann".
Wer waren die Initiatoren für die Kindervereinigung?
DBD, Deutscher Regenbogen/NDPD, DSF, DFD, DTSB, FDJ, Initiative für die Rechte des Kindes Frankfurt (Oder), Kinderring Berlin, KPD, Liga der Kinderfreunde Potsdam, PDS, Pionierorganisation "Ernst Thälmann RAJV, SSB, UFV, USJV "Rosa Luxemburg", Vereinigte Linke, Die NELKEN. Wir haben uns zusammengesetzt, um gemeinsam zu überlegen, wie der Wunsch vieler Mädchen und Jungen und ihrer Eltern nach einer Organisation für Kinder in Zukunft verwirklicht werden kann, und zwar einer parteienunabhängigen Organisation humanistischen demokratischen und antifaschistischen Charakters.
Was darf sich - ausgehend von den Erfahrungen der Pionierorganisation - nicht wiederholen?
Ausgehend von vielen Gesprächen, vom Nachdenken über unsere Geschichte, womit wir noch lange nicht fertig sind, ist vor allem eins jetzt schon zu sagen: Nie wieder dürfen die Kinder im Interesse der Ideologie einer Partei vereinnahmt werden, was ja in der Vergangenheit dazu führte, dass im Grunde genommen die Pionierorganisation zu einer Kinderpartei wurde. Nicht berücksichtigt wurde die Vielfalt humanistischer Traditionen, Werte und Ideale. Ein ganzer Komplex von Rechten wurde vernachlässigt zum Beispiel das Recht der Eltern auf Entscheidung über die Erziehung ihres Kindes, das Recht der Kinder auf Selbstbestimmung und umfassende Information, verbunden mit der Pflicht, den anderen so zu akzeptieren, wie er ist. Nachzudenken ist über eine multikulturelle Erziehung.
Heißt das, die Pionierorganisation wird es bald nicht mehr geben?
Ja. Wir sind an einem Punkt, wo schon allein der strukturelle Aufbau vielfach nicht mehr existent ist. Eine Ursache ist dafür zum Beispiel, dass es demnächst infolge der Trennung von staatlicher Institution und gesellschaftlicher Organisation keine hauptamtlichen Pionierleiter mehr geben wird. Eine andere: Wir waren ideell und materiell an die FDJ gebunden, die zur Zeit selber noch auf dem Weg zur Neufindung ist. Weder sie noch andere neue Jugendverbände haben gegenwärtig die Kraft, eine Kinderorganisation zu tragen. Die Kinder wollen und brauchen aber - wir wissen das aus vielen Gesprächen und zahlreichen Zuschriften - eine eigene Vereinigung. Dieses Recht steht ihnen laut UNO-Konvention auch zu.
Eine Kindervereinigung sollte offen sein für alle Jugendverbände, die Verantwortung für die Heranwachsenden im Sinne der UNO-Konvention übernehmen wollen. Mit dem Statut der Pionierorganisation war das nicht machbar.
Viele Kinder sind aber doch Pionier, und das gern. Das hat weniger mit der Organisation, sondern vielmehr damit zu tun, dass ihnen gemeinsam vieles Spaß machte, weil sie da was erlebten, weil da ein Gruppenleiter war, mit dem sie über alles reden und vor allem was losmachen konnten.
Genau das gehört zu den Dingen, die wir erhalten wollen. Und wir bleiben so lange an der Seite der Pioniere, bis die Kindervereinigung auf eigenen Füßen steht. Sie soll offen sein für jeden, jedoch absolut freiwillig. Sie muss die Interessen der Kinder, ihre Bedürfnisse beachten, mit ihnen durchsetzen, ausgestalten und auch gegenüber anderen vertreten.
Zum Beispiel das Bedürfnis, in den Ferien gemeinsam etwas zu unternehmen, im Ferienlager oder auch in einem Freizeitzentrum?
Unbedingt. Es ist ja kein Geheimnis, dass da schon jetzt vieles verlorengeht. Und wir werden die Arbeit der neuen Regierung daran messen, wie kinderfreundlich ihre Entscheidungen und Gesetzesvorschläge sein werden, wie schnell sie sich für die Ratifizierung der UNO-Konvention und die Schaffung der dafür notwendigen Bedingungen einsetzt.
Wer kann in der Kindervereinigung e. V. mitmachen, und was wird aus den Pionieren?
Jedes Kind ab 6 Jahre, jeder Erwachsene, jeder Jugendliche kann sich unabhängig von der Staatsbürgerschaft, der Nationalität, der sozialen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung einschreiben, wenn er die Satzung anerkennt. Wir möchten alle Pioniere, ihre Eltern und Freunde bitten, sich der neuen Kindervereinigung anzuschließen. Die Kinder allein werden bestimmen, was aus dem Bisherigen bewahrt werden soll. Und wer zum Beispiel gerne weiter Pionier heißen möchte, kann das. Ob und welche Namen die Gruppe tragen soll, welche Symbole sie hat, wie sich die Gruppe finanzieren will usw. - all das selbst zu entscheiden, ist ein wichtiger Aspekt der Autonomie der Gruppen.
Freilich braucht die Kindervereinigung viele ehrenamtliche Helfer - Eltern, Jugendliche, Pädagogen, ehemalige Pionierleiter Männer und Frauen, die gern mit Kindern etwas unternehmen und ihre Interessen unterstützen wollen.
Wo können sie sich melden?
In den Häusern der Jugend in den Bezirken oder in unserer Geschäftsstelle in Berlin 1086, Unter den Linden 36-38.
Für das Gespräch dankt KARIN DÖRRE
aus: Neues Deutschland, 22.03.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 69. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.