ND-Gespräch mit dem Nestor des Naturschutzes in der DDR KURT KRETSCHMANN

Wertvolle Landschaften - bewahren oder vermarkten

Der Name Kurt Kretschmann hat Symbolwert für den Naturschutz in der DDR. Der heute 76jährige ist seit über vier Jahrzehnten auf diesem Gebiet aktiv, führte die Eule als Naturschutzzeichen ein, gründete 1954 gemeinsam mit seiner Frau die erste Lehrstätte für Naturschutz in der Welt im Müritzhof bei Waren und leitete viele Jahre den Arbeitskreis Weißstorch im Kulturbund. Unseren Lesern ist der Name durch eine Artikelserie vertraut, in der beschrieben wird, wie man einen Garten naturnah bewirtschaftet.

In den vergangenen vier Jahrzehnten wurde es den Naturschützern nicht gerade leicht gemacht?

Als wir 1954 die Lehrstätte Müritzhof gründeten, hatten wir nicht nur große finanzielle Sorgen. Da wir sehr selbständig arbeiteten, misstraute uns bald die damalige Führung. Wir hatten zum Beispiel zum großen Kranichzug Vertreter des Staatsapparates eingeladen, von denen wir uns Hilfe für den Naturschutz versprachen. So gelang es, eine Wanderausstellung in Zelten zum Thema Naturschutz zu organisieren, die auch ins Ausland ging. Aber diese Eigenmächtigkeit sah man nicht gern. Es hätte ja eine Bewegung daraus werden können. Ich hatte Ende der 50er Jahre an das ZK die völlige Reorganisation des Naturschutzes vorgeschlagen. Ich wollte aufs Ganze gehen, fuhr damals mit einem Musterkoffer nach Berlin, meldete mich bei Walter Ulbricht an, wurde natürlich nicht vorgelassen. Die Angelegenheit sei an die zuständigen Sachbearbeiter gegeben worden. Ich wartete sechs Wochen. Keine Antwort. Da fuhr ich wieder hin. Als ich in dem Zimmergewirr endlich die "Sachverständigen" gefunden hatte, stellte ich mich Ihnen vor: Ich bin Genosse Kretschmann, wie Ihr seht, habe ich weder einen langen Bart noch eine Botanisiertrommel um. Ich glaube, ein ganz normaler Mensch zu sein, wenn ich auch den Naturschutz vertrete. Die Antwort: Deine Materialien, Deine Forderungen - alles ist uns klar. Aber wir müssen Dir gestehen, dass wir vom Naturschutz nicht die blasseste Ahnung haben. Wir sind völlig überfordert und wissen nicht, was wir tun sollen.

Also keinerlei Hilfe. Im Gegenteil. Der Druck auf uns wurde größer. Schließlich mussten wir die Arbeit im Müritzhof 1960 aufgeben. Der Naturschutz wurde kurz gehalten, geduldet, aber nicht gefördert.

Nun hast du dieser Tage wieder einen Brief geschrieben, an den Parteivorstand der PDS. Wie war die Reaktion?

Die Genossen meldeten sich sofort bei mir zu einem Gespräch an, das inzwischen auch stattgefunden hat. Deine praktischen Erfahrungen, sagten sie mir, sind dringend gefragt. Ja, das ist heute eine ganz andere Sache. Wenn ich nur den Abschnitt "Für unsere Umwelt" im Wahlprogramm ansehe, da steckt ein ökologisches Konzept dahinter, dem man voll zustimmen kann. Das deckt sich mit meinen Vorstellungen, ja, es übertrifft sie noch. Da ist ein völliges Umdenken sichtbar, mit früher gar nicht vergleichbar.

Es gibt nun ein Konzept, Nationalparks zu schaffen - ein alter Traum der Naturschützer?

Wir hatten davon geträumt. Aber so kühn hätten wir ihn uns nicht ausdenken können. Wir waren ja an Bescheidenheit gewöhnt worden.

Nationalpark - das geht nicht von heute auf morgen. Was man deiner Meinung nach sofort und dringend getan werden? Sind wir für die Tourismuslawine, die auf unsere Wälder und Gewässer zukommt, gerüstet?

Überhaupt nicht. Wir haben keine Waldwacht, keine Naturwacht, in manchen Dörfern und Städten, die in besonders schönen Landschaften liegen, keine Naturschutzgruppen, die selbständig arbeiten und auch entsprechende Vollmachten haben. Es muss schnellstens etwas geschehen. Vor allem sind gesetzliche Regelungen fällig. Der Naturschutz ist personell und finanziell zu stärken.

Was stehst du besonders gefährdet?

Die vom Aussterben bedrohten Tiere, insbesondere unsere noch sehr beachtlichen Seeadler-, Fischadler- und Schreiadlerbestände - nicht zuletzt durch Fotografen und Eierräuber. Seltene Pflanzenarten wie einheimische Orchideen, Märzenbecher, Trollblumen, Leberblümchen, um einige zu nennen.

An der Ostsee laufen z. B. Segelboote die Vogelschutzinseln an, die Segler betreten die Inseln, was strengstens verboten ist. Da ist der Naturschutz, wie er bisher organisiert war, völlig ohnmächtig. Besucher aus der BRD sind schon sehr aktiv, unsere wertvollsten Landschaften zu vermarkten. Trotz unserer großen Umweltsorgen wie Luft- und Gewässerverschmutzung ist die - DDR ja noch so eine Art Naturschutzgebiet für die BRD-Bürger, da sie noch nicht so stark zersiedelt ist. Die kapitalstarken Geschäftemacher sind eine große Gefahr. Sie wollen verdienen. Da spielt die Bewahrung der Natur keine Rolle. Davor müssen wir auf der Hut sein. Und darin müssen wir uns mit den Umweltfreunden in der Bundesrepublik verbünden.

Was kann der einzelne tun?

Der Naturschutz braucht viele Helfer, die in den verschiedensten Gruppen aktiv werden können. Arbeit gibt es genug, und es ist viel nachzuholen, wir wollen erhalten, pflegen, vermehren und gestalten, und wir wollen die Menschen wieder für die heimatliche Landschaft sehend machen.

Man weiß allgemein viel zu wenig von seiner engeren Heimat. Der Drang in modernen Industriestaaten, mit dem Auto in ferne Länder zu fahren, selbst wenn das Stress und Überanstrengung auf Tausenden Kilometern bedeutet und die Umwelt belastet hat aus meiner Sicht beängstigende Ausmaße angenommen.

Das, was in einer Fußwanderung bequem zu erreichen ist sozusagen vor der Haustür liegt, bleibt der Mehrzahl unserer Bürger verborgen. Sie meinen: Das kostet nichts, das lohnt sich nicht das bietet der weit schweifenden Phantasie keinen Reiz. Wie viel Überheblichkeit und erschreckende Unkenntnis ist damit verbunden. Da fragt man: "Wann waren Sie das letzte Mal am herrlichen Waldsee, an der Quelle oder am munter plätschernden Bach und auf dem Aussichtsturm?" Und man erhält die Antwort: "Ich erinnere mich noch dunkel an einen Schulausflug, da sind wir mal dort gewesen."

Es ist eine großartige Aufgabe, Entdeckerfreuden zu wecken: Plötzlich kommt man zu der Erkenntnis "Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah!" Und merklich fast wird man selber ein Teil der Landschaft die man sich Jahr für Jahr aus eigener Kraft und auf immer neuen Pfaden erschlossen oder erobert hat.

Es fragte GÜNTER QUEISSER

Neues Deutschland, Do. 01.03.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 51

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