Mit Issam Bou Hamze, libanesischer Aspirant an der TU Dresden, sprach unser Mitarbeiter Stephan Schön

Bis vor kurzem waren Sie noch Vorsitzender des Internationalen Studentenkomitees und kennen sich mit den Problemen ausländischer Bürger aus. Ausländerfeindlichkeit - wirklich ein Thema oder nur durch die nun offenen Medien hochgespielt?

Das ist schon ein Problem. Es war auch schon vorher eins, nur jetzt kommt es offen raus. Was vorher nur in den Köpfen war, wird jetzt gesagt, öffentlich, und leider auch handgreiflich. Es wundert mich dennoch. Jetzt haben die Bürger hier endlich das Recht zu reisen, wohin sie möchten. Auch in jene Länder, wo wir herkommen. Dort sind sie dann Ausländer. Immer mehr von ihnen werden auch dort arbeiten, als Monteur oder anderes. Daran denken nur wenige oder die, die selbst längere Zeit im Ausland waren. Mit denen komme ich auch hier am besten aus. Sie verstehen, was man als Ausländer fühlt.

In der letzten Zeit häufen sich Meldungen, wo Ausländer offen Hass oder auch Gewalt zu spüren bekamen, wie bei den Montagsdemos in Leipzig. Haben Sie angesichts solcher Erscheinungen Angst?

Früher habe ich mich sicher gefühlt. Aber heute? Jetzt abends auf die Straße zu gehen, vielleicht montags noch, da habe ich schon etwas - na Bedenken. Man muss aufpassen. Mir selbst ist zwar noch nichts passiert, aber man hört jetzt sehr viel von Freunden und wird natürlich nachdenklich.

Belastet das Ihr Verhältnis zu jenen, mit denen Sie bisher gut auskamen?

Nein.

Von wem geht diese Feindseligkeit am stärksten aus?

Es sind mehr die jungen Leute.

Was denken Sie, warum gerade die?

Ich denke deshalb, da die Mehrheit von den Ausländern, die hier leben, arbeiten oder studieren, auch jung sind. Sie haben also hier am meisten mit jungen Leuten zu tun. Auf Arbeit oder in den Diskotheken. Die Jugend ist vielleicht auch spontaner, hat mehr Temperament, handelt auch eher unüberlegt. Oft denken diese Jugendlichen nicht bis zur Wurzel.

Wo sehen Sie denn nun die Wurzeln für ausländerfeindliche Haltungen?

Da gibt es mehrere. Am wesentlichsten davon ist, glaube ich, dass Probleme jahrelang zurückgehalten wurden. Öffentlich durfte darüber nicht gesprochen werden. Zugespitzt wird jetzt die Situation natürlich noch durch rechtsradikale Kräfte von außen, die ihre Ideen hier verbreiten. Eine Rolle spielt sicher auch die Isolation, in der viele Ausländer leben. Andere meinen wiederum, sie seien bevorzugt. Sicher, die Studenten, die für Devisen hier studieren, die haben einige Vorteile. Und nicht nur sie. Auch andere ausländische Studenten haben sehr reiche Eltern. Sie bezahlen für den Komfort, das Studium. Man kann sie doch nicht dafür verantwortlich machen, dass sie harte Währung besitzen und die anderen nicht.

Es kommt doch aber darauf an, wo und wie man sie ausgibt?

Das ist die andere Seite. Natürlich bringt es Ärger, wenn Deutsche zum Beispiel vor der Disko warten und andere mit ihrer Währung reinkommen. Aber da kann man doch nicht gleich alle über einen Kamm scheren. Dieses Verallgemeinern und die Intoleranz sind auch ein Ergebnis der letzten Jahrzehnte. In den Betrieben ist die Situation noch weit schlimmer. Dabei bringen doch die, die hier arbeiten, Nutzen für das Land. Sie arbeiten hier und sind auf euren Wunsch hergekommen, weil Arbeitskräfte notwendig waren. Und die besten Arbeiten sind das auch nicht, die sie machen. Ich habe mich vor kurzem auf der Bahnfahrt mal mit Vietnamesen unterhalten. Unterhalten kann man es gar nicht nennen, mit Händen und Füßen. Sie arbeiten in einer Schuhfabrik, ungelernt, ohne ein Wort deutsch sprechen zu können, fingen sie an. Sie kennen auch bis heute nur die wichtigsten Begriffe. Ja, aber wie sollen sie denn dann mit den Deutschen ins Gespräch kommen, auch mal über ihre Probleme sprechen? Da fängt doch die Isolation schon an, da sind die ersten Barrieren.

Wo beginnt für Sie die Ausländerfeindlichkeit?

Wenn ich mich nicht mehr sicher fühle. Ich möchte nicht am Montagabend auf der Straße sein. Das ist für mich feindlich. Was verunsichert, das ist ja nicht nur die Gewalt, sondern vor allem der psychische Druck.

Ist die DDR damit in Ihren Augen ausländerfeindlich?

Nein. Das wäre genau eine solche Verallgemeinerung. Nur weil es hier und dort mit einigen Ausländern Probleme gibt, sollen alle schlecht sein? Nur, weil einige Deutsche die Ausländer raus haben wollen, soll die DDR ausländerfeindlich sein? Nein, das wäre vereinfacht und falsch.

Wie kann man diese Distanz, diese Feindseligkeit abbauen?

Mit Appellen an die Vernunft jeden falls nicht. Man muss reden. Reden mit diesen Leuten über sie und uns. Vor drei Wochen habe ich bei einem Gespräch mit einem Jugendpfarrer angeboten, mit Jugendlichen, die so denken, zu sprechen. Das hatte er nicht erwartet. Vielen Dank für das Gespräch.

Issam Bou Hamze lebt seit 1980 in der DDR. Er studierte an der TU Dresden Technische Gebäudeausrüstungen und befindet sich nun kurz vor dem Ende seiner Aspirantur. Issam ist 30 Jahre alt und war von 1988 bis 1989 Vorsitzender des Internationalen Studentenkomitees der TU.

aus: Sächsische Zeitung, Nr. 62, 14.03.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, Herausgeber: Verlag Sächsische Zeitung

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