Rentner wollen ihre Interessen vertreten
Aufruf für einen Bund deutscher Rentner in der DDR
Es erscheint älteren Bürgern als unerlässlich, in unserem Land eine Vereinigung der Rentner zu bilden, mit deren Hilfe die Frauen und Männer ihre Angelegenheiten selbst vertreten können. So ruft eine Initiativgruppe zur Gründung einer eigenen Interessenvertretung, dem "Bund deutscher Rentner" (BDR) in der DDR, für alle ab dem 55. bzw. 60. Lebensjahr auf.
Nachfolgend der Gründungsaufruf:
Die heutige altere Generation hat
- in selbstloser Arbeit das vom Faschismus zurückgelassene, völlig zerstörte Land unter schwierigsten Bedingungen zum Leben erweckt und aus eigener Kraft wieder aufgebaut;
- Hunger, Not, Arbeits- und Obdachlosigkeit beseitigt und einen sozial ausgeglichenen, bescheidenen Wohlstand für alle geschaffen;
- ihren Kindern und Enkeln alle Möglichkeiten für eine allseitige Bildung und qualifizierte Berufsausbildung geschaffen.
Die heutige ältere Generation will ihre Erfahrungen und verbliebene Leistungsfähigkeit in die weitere Entwicklung und Erneuerung der Gesellschaft auf die vielfältigste Weise einbringen;
- aktiv Anteil am geistigen und kulturellen Leben der Zeit nehmen;
- nach ihren Möglichkeiten an der wirtschaftlichen Um- und Neugestaltung des Landes mitwirken;
- Anteil nehmen an der Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Enkelkinder.
Die heutige ältere Generation erwartet,
- dass ihre Leistungen von der jüngeren Generation geachtet und gewürdigt werden;
- dass sie entsprechend ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen in die weitere Entwicklung der Gesellschaft einbezogen wird und ihr Aufgaben in Wirtschaft, Kultur und Politik übertragen werden;
- dass ihr bei schwindender Leistungsfähigkeit ein sorgenfreier, sozial abgesicherter Lebensabend gewährleistet ist;
- dass ihr bei Krankheit und Pflegebedürfnis eine menschenwürdige Fürsorge und Pflege zuteil wird.
Der Bund deutscher Rentner wird nach seiner Gründung von allen Parteien und Vereinigungen, die sich am 18. März 1990 zur Wahl stellen, folgendes fordern:
1. Aufnahme der vorgenannten Grundsatze in geeigneter Weise in die Wahl- und Regierungsprogramme.
2. Beibehaltung aller gegenwärtig gültigen Gesetze und Verordnungen zu den Rechten von Rentnern und Vorrentnern bis zur Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes.
3. Erhöhung der Mindestrenten auf 500 Mark monatlich unverzüglich nach der Regierungsbildung im März 1990.
4. Völlig ausgleichende Erhöhung aller Renten bei Erhöhung der Kosten für das tägliche Leben, insbesondere bei Preissteigerungen für Lebensmittel, Kleidung und Mieten aller Art.
5. Unantastbarkeit der Sparkonten von Rentnern sowie deren Wohnraum.
6. Erarbeitung einer neuen, umfassenden Rentengesetzgebung bis Ende 1990 auf der Grundlage oben genannter Grundsätze bei Einbeziehung des BDR in die Erarbeitung sowie bei öffentlicher Diskussion des Gesetzentwurfes vor Verabschiedung desselben.
Alle Bürgerinnen und Bürger, die sich an der Gründung des Bundes deutscher Rentner beteiligen bzw. an dessen Arbeit mitwirken möchten, werden um Mitteilung gebeten.
Initiativgruppe BDR
postlagernd Berlin 1020
aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 35, 10.02.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.
[Zu einer Gründung eines Bundes Deutscher Rentner kam es aber nicht.]