"Einen braucht der Mensch zum Treten"
Wachsender Fremdenhass und Rassismus in der DDR
Sie wurden angerempelt und gestoßen, bedroht und als "Schweine" beschimpft - junge Türken aus Duisburg, die sich auf die Begegnung mit der DDR gefreut hatten.
Statt der erhofften Gespräche kam es zu Pöbeleien: "Was sucht ihr hier? Wir Deutsche haben selbst genug Probleme." Die Reise fand ein schnelles Ende. Viele in der Gruppe hatten "schließlich Angst, überhaupt noch auf die Straße zu gehen".
So geschehen in diesen Tagen, in einem Land, dessen Bürger eine "sanfte Revolution" durchführten - Reisefreiheit eine ihrer ersten Forderungen. Was aber ist das für ein Triumph, endlich in fremde Länder reisen zu können, wenn zugleich Fremde aus diesen Ländern Opfer von Hassausbrüchen werden? "Ausländer raus!" Auch mit diesem Sprechchor endeten die Leipziger Montagsdemos.
Das, was jene türkischen Mädchen und Jungen erlebten, ist längst Alltag in der DDR, Studenten aus Afrika und Südamerika werden überfallen und von rechtsradikalen Schlägerkommandos durch die Straßen gehetzt. Vietnamesischen Arbeiterinnen wird die Hälfte der Reistüten aus dem Einkaufswagen genommen: "Ihr kauft uns den Laden leer." In manchen Restaurants werden farbige Ausländer nicht mehr bedient. "Sie sind hier nicht erwünscht", lautet die Antwort auf den zaghaften Versuch einer Bestellung.
Unverhohlener Rassismus, Fremdenhass und nationalistischer Dünkel gehen um in diesem unserem Land. Erneut wandelt sich die Parole: "Wir sind ein Volk!" Diesmal richtet sie sich gegen alles, was anders ist. Eine pathologische Reaktion auf jahrzehntelang ertragene (und erduldete) Unterdrückung und Mangelwirtschaft, auf neue Ängste und Unsicherheiten. Feindselige Stimmungen werden geschürt. "Die nehmen uns alles weg."
Dabei sind die Lebensbedingungen für die etwa 90 000 in der DDR arbeitenden Vietnamesen und Mocambiquaner, Angolaner und Kubaner alles andere als rosig. Sie leben ghettoähnlich in getrennten Wohnblöcken, haben sich auf wenige Quadratmeter zusammenzudrängen und häufig einen Teil ihres ohnehin nicht hohen Einkommens an die Entsendeländer abzuführen. Bis zur Wende wurde dies totgeschwiegen, heute nur allzu oft nicht zur Kenntnis genommen oder einfach verdrängt. "Wir müssen selber sehen, wo wir bleiben." Wenn man alles Licht auf sich selbst richtet, bleibt für die anderen nur der Schatten.
Neu sind die Ressentiments und ablehnenden Stimmungen gegenüber Fremden nicht. Die Polen bekamen sie, von der Einheitspartei gegen den "Solidarność-Bazillus" angeheizt, schon Anfang der 80er Jahre zu spüren. Neu ist das Ausmaß und die unverhüllte Öffentlichkeit. Neu ist auch die Explosion jenes rücksichtslosen Nationalismus. "Deutschland erwache!" Das Erwachen der Sehnsucht nach einem Deutschland sollte nach dem 9. November nicht erschrecken. Erschrecken aber sollte die Art des Erwachsens, der nationale Taumel, der aggressive Marschschritt, mit dem Teile der Bevölkerung auf die deutsche Einheit zustürmen. Die hysterische Erlösungssucht schiebt dabei alles beiseite und wähnt sich "in gutem Recht". Und die Rechte der anderen?
Rücksicht auf die Rechte von Minderheiten exerzierte das alte Erziehungsregime am Beispiel der Sorben. (Wie das geschah, wird auch noch zu hinterfragen sein.) Ansonsten wurde die Welt nach festgestanzten ideologischen Mustern in Freund und Feind geteilt. Toleranz galt als bürgerlich, als zu kritisierende "Verschwommenheit". Auch da liegt eine Ursache.
Hinzu kommt das Erleben des wunderbaren Wohlstands im Westen, der protzig vorgeführten "Jetzt-kommt-Kurt"-Manier, die einem nur noch das Gefühl von minderwertigen "Habenichtsen" übrig lässt. Erniedrigung dort, sucht Ausgleich in Überhebung hier. Es ist nicht zuletzt diese Wut auf die - mitverschuldeten - eigenen Lebensumstände, die sich nach außen gegen andere entlädt. "Einen braucht der Mensch zum Treten, einen hat er immer, der ihn tritt" singt Konstantin Wecker ebenso bitter wie wahr.
Was wunder, dass sich da auch der Antisemitismus wieder zur Oberfläche durchfrisst. Auch er ist in der DDR nicht ohne Geschichte. Sie reicht von den frühen stalinistischen Kampagnen gegen das "kosmopolitische Gesindel" bis zur Nachahmung faschistischer Rituale unter Schülern - auf der Suche nach extremsten Formen der Provokation.
Das neue Parlament, das sich gerade - im Namen der Bürger dieses Landes - voll Trauer und Scham zur Mitverantwortung für die "Demütigung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Frauen, Männer und Kinder" bekannte, erlebte nur wenige Tage später den skandalösen Auftritt von DSU-Vize-Nowack. Dessen instinktloser Vergleich von Gysi mit dem Nazi-Propagandaminister Goebbels hatte alle Momente eines kaschierten Antisemitismus.
Die jüdische Gemeinde Adass Jisroel beklagt in letzter Zeit mehrere Grabschändungen auf ihrem Friedhof in Berlin. Und nicht nur das. Durch jene Straße, in der das Gemeindezentrum seinen Sitz hat, zogen kürzlich Trupps, die "Hoch leben die Reps" und "Juden raus" grölten. An einer Häuserwand in Berlin-Mitte hingen tagelang mehrere antisemitische Plakate: "Wehrt Euch gegen das internationale Judentum". Als schließlich eine junge Frau daran ging, diese schändlichen Zeugnisse mühselig abzukratzen, machten vorbeigehende Passanten ihr gerade dies zum Vorwurf. "Sie sind ja intolerant!"
Dieter K(...)
aus: Die Andere Zeitung, 16, 10. Mai 1990