Die Qualität entscheidet

Christina Schenk, für den UFV im Bundestag, zu möglichen Kompromissen beim Abtreibungsrecht

taz: Bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts könnten Bündnis 90 und PDS das Zünglein an der Waage spielen. Beide Gruppe haben Entwürfe für die Straffreiheit von Abtreibungen eingebracht - ohne Fristen und Zwangsberatung. Wären Sie bereit, um die Indikationenregelung der CDU/CSU zu verhindern, Kompromisse mit SPD und FDP zu schließen?

Christina Schenk: Wenn man sich die Situation genau ansieht und nachrechnet, stellt sich heraus, dass zur Zeit keiner der vorgelegten Entwürfe Chancen auf eine Mehrheit hat. Auch der der CDU/CSU ist in dieser Form nicht mehrheitsfähig. Nicht einmal dann, wenn die Fraktion geschlossen hinter ihrem Entwurf stünde. Deshalb stellt sich die Frage nach einem Kompromiss jetzt nicht. Es sei denn, dass sich Sozialdemokraten und Liberale auf einen Kompromiss einigen. Dieser hätte eventuell Chancen auf eine Mehrheit. Aber das ist überhaupt noch nicht in Sicht. Wir reden über ungelegte Eier. Ich werde mein Verhalten jedenfalls von der Qualität dieses Kompromisses abhängig machen.

Was heißt das?

Der Kompromiss darf nicht hinter die Fristenregelung der DDR zurückfallen. Das ist für mich die Schmerzgrenze. Alles, was hier schlechter wird, Stichwort Zwangsberatung, bedarf einer wirklichen Abwägung. Das müsste ich mit den Frauen im Unabhängigen Frauenverband noch einmal absprechen.

Dabei weiß ich selbstverständlich, dass mein Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung, der auch innerhalb vom Bündnis ein Minderheitenantrag ist, keine Mehrheit bekommen wird. Aber es entspricht meinem Oppositionsverständnis, auch den außerparlamentarischen Stimmen, die schließlich keine kleine Minderheit sind, Gehör zu verschaffen. Die CDU/CSU weiß auch, dass ihr Entwurf keine Mehrheit bekommt. Sie bringt ihn ein, um eben konservative Politik in der Öffentlichkeit im Gespräch zu halten.

Wie aber werden Sie sich in den kommenden Ausschussverhandlungen verhalten? Werden Sie dort auf eine Fristenregelung hinwirken?

Nein, das werde ich nicht. Ich werde meine Standpunkte in die Diskussionen einbringen und sehen, was ich dort verändern kann. Groß ist mein Optimismus allerdings nicht. Frauen sollten deshalb in den nächsten Wochen die Gelegenheit nutzen, sich zusammenzuschließen, in die Öffentlichkeit zu gehen, Aktionen zu machen.

Davon ist bislang recht wenig zu merken.

Ich verstehe das als einen Aufruf an die Frauen. Denn es ist wirklich Druck von außen notwendig, um vielleicht doch noch die Entscheidungen im Bundestag zu beeinflussen. Ich weiß, wie viel Langmut es den Frauen abverlangt, die hier schon seit 20 Jahren für die Streichung des Paragraph 218 kämpfen. Aber nach meiner Erfahrung ändert sich an der Regierungspolitik nur dann etwas, wenn die regierenden Parteien Angst um Wählerinnenstimmen haben.

Interview: Helga Lukoschat

die tageszeitung, 21.09.1991, Ausgabe 3515

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