Frauen nach der Wende -
Im Spannungsfeld zwischen Gewinn und Verlust ?

Anfang April sendete das Fernsehen der DDR das erste Frauen-Magazin. Berichte über soziale Verunsicherungen bei der Narva. Entlassungen beim Modeinstitut und Ablehnungen für Abiturientlnnen. Ein Sozialmagazin. "Einstimmung" auf zu erwartende Probleme, Existenzkämpfe, "Härtefälle"? Den drohenden Sozialabbau braucht niemand mehr in der DDR vorauszusehen, er hat bereits begonnen und markiert erst den Anfang von einem Schrecken ohne Ende.

Die Betroffenen: zunehmend Frauen. Wie wird die Zukunft aussehen für sie, ihre Kinder und Großeltern; für die, an die während der Wende offenbar niemand gedacht hat. Werden sie aus einer Notsituation heraus für sich selbst eintreten wollen, sich solidarisieren, emanzipieren? Wollen sie Motor sein für die sich in der DDR artikulierende Frauenbewegung? Wird diese mit dem UFV (Unabhängiger Frauen Verband) an der Spitze ihr Schutzverband oder Sachverwalter sein können und wollen, und was wird dann mit seiner feministischen Programmatik? Betrachtet man/frau sich die Lage der zum größten Teil berufstätigen Frauen (ca. 90 %) in der DDR, so erahnt man/frau die auf sie zukommenden Probleme: Die Betreuung und Erziehung der Kinder wurde fast ausschließlich dem Staate, d.h. den Kindergärten u. -krippen überlassen. Ihr Weiterbestehen in derzeitigen Umfange und Qualität ist ungewiss. Bei ihrer Schließung droht die "Alternative": Frauen zurück in die Küche. Zu untersuchen wäre, ob dieser (Ab)gang wirklich allen Frauen unzumutbar erschiene. Spaltet sich auch nicht dort die "Frauenfrage" in die Befürworterinnen für ein selbstgewähltes Berufs- u./o. Familienleben und in die für ein familienorientiertes Dasein mit Dienstleistungsfunktion an Mann und Gesellschaft? Einerseits fordern Frauen die Aufwertung der Mutterrolle als soziale Leistung, d.h. sie kritisieren die bisherige Praxis der Doppel- bzw. Dreifachbelastung durch Beruf, Familie und Haushalt. Sie wenden sich dagegen, dass nur berufstätige Frauen von der Gesellschaft als vollwertig anerkannt wurden. Sie erleben in letzter Zeit ihre Diskriminierung, wenn ihnen als Hausfrauen oder Müttern im Babyjahr die Betreuung ihrer Kinder nur noch bis zur Mittagszeit, für Berufstätige aber ganztägig gewährt wird. Die "anderen" wollen gar nicht erst ihr Babyjahr beanspruchen, sondern schnell zurück in den Beruf. Die Situation der berufstätigen Mütter und v.a. der Alleinerziehenden wird eine besondere bei zukünftig marktwirtschaftlichen Mechanismen. Mütter mit Kindern gelten für den Arbeitgeber als potentielle Unsicherheitsfaktoren. Bedeutet das für sie in Zukunft die Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben, den Abstieg ins soziale AUS, oder das "Wiederbeleben" einer neuen Mütterlichkeit pro Familia?

Der weibliche Anteil der Bevölkerung rekrutiert sich auch aus Frauen, deren Kinder schon selbstständig sind und deren ökonomische Unabhängigkeit auf ganz andere Art und Weise gefährdet ist. Die "ältere" Generation, diejenige, die dieses Land mit aufbaute und jetzt seinen Rudimenten gegenüber steht, sieht sich einer reformbedürftigen Wirtschaft gegenüber. Es wird high tech einziehen in die Verwaltungen und Maschinenhallen und "Veraltetes" verdrängen. Hoch- und Fachschulabschlüsse ganzer Berufszweige - Ökonomie, Finanzen, Sachbearbeitung sind nicht mehr gefragt. Umschulungsprogramme können kaum angeboten werden. Mit 50 zu alt für einen Neuanfang und zu jung für die Rente? Das noch rechtskräftige Arbeitsgesetzbuch schützt niemanden mehr. Das bestehende Rechtsvakuum wird von den Betriebsleitern willkürlich ausgenutzt. Dieser Macht der Willkür von ehemals staatstragenden Kaderleitern zu sich gewendeten Unternehmern stehen Frauen besonders hilflos gegenüber.

Der auf soziale Sicherheit aufgebaute Staat hat seine Bürgerinnen nicht gelehrt, sich zu wehren. So steht frau vielerorts den ausgehändigten Kündigungen ohnmächtig gegenüber. Rechtsbeistand oder Gewerkschaft werden nur selten angerufen. Da die angebotenen Stellen nur selten der Qualifikation der Werktätigen entsprechen, sind sie oft gezwungen, als Hilfskräfte eingesetzt zu werden, und sofern sie dies ablehnen, als arbeitsscheu beschimpft zu werden.

Mit der Erfahrung, nicht gebraucht zu werden, sieht sich bereits das junge Intellektuelle Potential dieses Landes konfrontiert. Von den zukünftigen Abiturientinnen erhielten nur 2/3 eine Zulassung zum Studium. In der Mehrheit sind es Jungen. Aussichten auf einen anderen Ausbildungsplatz oder entsprechende Qualifikation gibt es kaum.

Eines ist klar - den Frauen in der DDR droht der soziale Abstieg und ihre Sorgen gehen weit über die beschriebenen Probleme hinaus. Da sind noch: Renten, Alimente, Subventionsabbau, Paragraph 218, medizinische Versorgung usw. Es stehen aber auch: Kosmetik, Karriere, Konsum.

Die zukünftige Regierung besteht zum größten Teil aus Veteranen des anderen Geschlechts und sie werden diese Entscheidungen treffen, die Gesetze beschließen und für den sozialen Standard dieser Gesellschaft verantwortlich zeichnen.

Ines Koenen (UFV)

aus: Stachel, Nr. 91, Mai 1990, Zeitung der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz

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