Sozialabbau fängt bei den Frauen an

Frauenverband gegen Billiglohnland und weibliche Reservearmee

Die DDR starrt derzeit auf die BRD wie das Kaninchen auf die Schlange. Modrow berät unterdessen mit den Generaldirektoren über die Gründung eines "sozialistischen Unternehmerverbandes" - da fragen wir uns, wer hat diese einst staatlich-administrativ eingesetzten Betriebsleiter eigentlich ermächtigt, mit dem Volkseigentum zu verfahren wie privatkapitalistische Eigentümer?

Die Belegschaften erhoffen sich aus der BRD wirksame Kapitalspritzen für die Gesundung unserer krisengeschüttelten, störanfälligen Produktion. Aber seit wann steckt ein westlicher Unternehmer irgendwo eine Mark hinein, wenn er nicht drei Mark herausholen kann? Wir sollten aufpassen, dass wir nicht zum nahegelegenen Billiglohnland der BRD werden, zu den Lohndrückern unserer westlichen "Brüder und Schwestern". Betriebsräte mit umfassenden Vollmachten wären ein wirksames Gegengewicht zu den sich verselbständigenden Betriebsleitungen.

Frauen in den Betrieben und Institutionen: Uns droht hier eine doppelte Gefahr! Die Freisetzung von weiblichen Arbeitskräften hat schon massiv eingesetzt. Sie ist sicher notwendig, aber wir benötigen dazu dringend ein Regierungsprogramm für die und berufliche Neueingliederung, das uns sozial absichert. Wenn jede Frau damit alleingelassen wird und für sich selbst nach privaten Lösungen sucht so wird ein systematischer sozialer Abstieg unaufhaltsam. Der Unabhängige Frauenverband ist in dieser Frage Euer natürlicher Verbündeter.

Welche Lösungswege sehen wir im Kampf gegen den Sozialabbau? Wir fordern in allen politischen und wirtschaftlichen Gremien eine angemessene Vertretung Mitbestimmung der Frauen auf allen Ebenen, Frauenräte in den Betrieben und Kommunen. Wir fordern ein Staatssekretariat für Frauenfragen beim Ministerrat, und wir verlangen die Einrichtung eines staatlichen Frauenförderungsfonds.

Ina Merkel Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes der DDR

Berliner Zeitung, 45. Jahrgang, Ausgabe 296, 16.12.1989. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.