Am 17. Februar fand in Fürstenberg, Kreis Gransee, der Gründungskongress der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands statt. Herbert Driebe gehört zu den Mitbegründern, wurde als Mitglied in den Parteivorstand gewählt.

Politbiografie: Herbert Driebe ist Jahrgang 54, gelernter Isolierer und Lehrer für Geschichte, war in Funktionen bei der FDJ-Kreisleitung und FDJ-Bezirksleitung tätig, ab 1986 Lehrer an der Bezirksparteischule, jetzt Zöllner. Im Dezember 1989 aus der SED-PDS ausgetreten, kandidiert er als Spitzenkandidat der USPD für die Volkskammer. Herbert Driebe ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Links von der SPD

Im Gespräch mit HERBERT DRIEBE, Pressesprecher der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

"MV": Was bedeutet "unabhängig" für Ihre Partei?

Das heißt, wir sind unabhängig von jeglicher Unterstützung durch westliche Parteien.

"MV": Worin grenzt sich die USPD von der SPD ab?

Wir verstehen uns als linke Sozialdemokraten, den Traditionen der revolutionären deutschen Sozialdemokratie verpflichtet. Die SPD der DDR ist doch eine relativ rechte Partei. Sie vertritt die Positionen der Großverdiener, spricht, wie andere auch, von sozialer Marktwirtschaft, was eben kapitalistische Produktionsverhältnisse einschließt. Du sind wir am springenden Punkt: Wer vertritt wirklich die Interessen der Arbeiter und Angestellten, auch derer, die nicht die PDS wählen wollen?

Wir sagen eindeutig: Die Zeche der momentanen politischen Entwicklung, die auf eine schnelle Vereinigung zielt, werden die Bürger bezahlen müssen, durch Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, steigende Kosten, Sozialabbau. Deshalb brauchen sie starke Interessenvertretungen links von der SPD im Parlament, in der Volkskammer. Diese wäre durchaus auch durch die Vereinigung verschiedener Parteien und Bewegungen möglich. Nicht im Interesse der Bürger läge eine Vereinigung beider deutscher Staaten zu einem unrealistischen Termin. Dafür müssen konkrete politische Voraussetzungen gegeben sein.

"MV": Welche wären das?

Erstens die Neutralität eines vereinten Deutschlands. Zweitens muss wirkliches Volkseigentum geschaffen werden, über Holdinggesellschaften. Das sind Treuhandgesellschaften, in denen das Volkseigentum durch Aktien, Pfandbriefe - oder wie auch immer - in den Besitz der Werktätigen des Landes überführt wird. Dabei muss rechtlich geklärt sein, dass es nicht weiter veräußert worden darf. Drittens muss in einer künftigen Verfassung das Recht auf Arbeit gesichert sein und tatsächlich auch umgesetzt werden, z.B. durch Arbeitsbeschaffungsprogramme... Viertens sollte ein einheitlicher deutscher Staat mit Strukturen das demokratischen Sozialismus gesichert werden, der weder durch Monopol- noch durch Einparteienwirtschaft gekennzeichnet ist. Fünftens: Die Wirtschaft sollte gemischte Strukturen aufweisen, Volkseigentum, aber ebenso einen starken privaten Sektor, beide miteinander in Konkurrenz. So wäre auch die Entfaltung der Potenzen einer Leistungsgesellschaft gewährleistet. Das setzt sechstens voraus, dass die DDR Zeit hat, sich wirtschaftlich zu entwickeln, um sich als halbwegs gleichberechtigter Partner in eine Konföderation einbringen zu können.

"MV": Der Weg zu einem demokratischen Sozialismus, den auch dis PDS anstrebt, wird von anderen, voran den konservativen Parteien, als weiteres "Sozialismusexperiment" strikt abgelehnt. Sie sehen die Gefahr, dass dann noch mehr Menschen unser Land verlassen.

Aber der Kapitalismus hat keine Zukunft.

"MV": Widerspricht dem nicht die Tatsache, dass es der Kapitalismus ist, dar über die größten ökonomischen Potenzen verfügt?

Gewiss, das trifft auf die hochentwickelten westlichen Industriestaaten zu, das ökonomische Niveau innerhalb der kapitalistischen Länder ist jedoch ganz unterschiedlich ausgeprägt. Der Wohlstand der führenden Staaten beruht über weite Strecken auf dar Ausbeutung der dritten Welt. Ökologie-Fragen geht der Kapitalismus nur insoweit an, wie sie beim Erwirtschaften von Profit nicht stören...

Wir haben in unserem Land trotz vieler hemmender Faktoren wirtschaftlich viel erreicht. Und zwar trotz Reparationszahlungen, ohne einen Marshall-Plan. Das "Wirtschaftswunder" hat eigentlich bei uns stattgefunden. Unsere Entwicklung der letzten Monate zeigte auch, dass der Sozialismus demokratischer sein kann, dass eine friedliche Revolution möglich ist. Drüben wäre das nicht denkbar.

"MV": Warum haben sich die Mitglieder Ihrer doch kleinen, jungen Partei nicht der PDS angeschlossen, auch um einer weiteren Zersplitterung der Linken entgegenzuwirken?

Ich sagte schon, wir sind linke Sozialdemokraten, nicht Kommunisten. Da steckt eine Menge Theorieverständnis dahinter, unterschiedliche Positionen z. B. dazu, was wir unter demokratischem Sozialismus verstehen.

Was uns auch bewegt: Bei allem Neuen in der PDS wird sie noch Jahre brauchen, um von der Erblast des administrativen Kommandosystems loszukommen. Bei mir spielen auch persönliche Erfahrungen eine Rolle, warum eine PDS-Mitgliedschaft nicht mehr in Frage kommt.

"MV": Wahlprogramme werden in diesen Tagen vor allem noch ihren Aussagen zu sozialen Fragen beurteilt. Welche Positionen bezieht Ihre Partei?

Wir sind für die abstrichlose Sicherung aller bestehenden sozialen Errungenschaften, auch in einer leistungsorientierten Wirtschaft.

"MV": Wie sollen diese gesichert werden?

Unsere Wirtschaft ist, trotz aller Probleme, nicht so schwach, wie man uns einzureden versucht. Wir gehen davon aus, dass westliche Firmen bei uns auf jeden Fall investieren und lukrative Geschäfte machen werden. Die DDR-Wirtschaft kann so dem Weltniveau angeglichen werden. Eine gesunde Verbindung dieser Entwicklung mit dem Erhalt der Rechte der Gewerkschaften, des Volkseigentums, und einer wirklichen Interessenvertretung aller Bürger, vor allem der Arbeiter, bieten die Gewähr für den Erhalt des sozialen Netzes und den weiteren Ausbau.

Das Gespräch führte
GABI LEOPOLD

Der Sitz des Parteivorstandes der USPD befindet sich in der Geschwister-Scholl Straße 45, in Potsdam 1570.

Ein Kontaktbüro der USPD gibt es außerdem im Lehrlingswohnheim der Kommunalen Berufsschule, An der Alten Zauche 2b (Wohngebiet Schlaatz).

Es ist montags bis freitags von 16 bis 18 Uhr besetzt.

aus: Märkische Volksstimme, Nr. 58, 09.03.1990, 45. Jahrgang, Herausgeber: Verlag Märkische Stimme

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