Statt Souveränität ausländisches Kapital

Wer wegen Krankheit fehlt, kann seinen Arbeitsplatz verlieren

Die Volkskammer hat am 12. Januar bei nur zwei Stimmenthaltungen eine Änderung der Verfassung beschlossen, so dass, ausländisches Kapital nun in der DDR Produktionsmittel besitzen darf. Die gleiche Volkskammer, die sich bei Abstimmungen zum Oktober 1989 einig war, ist sich jetzt schon wieder einig. Sie verschenkt ein zweites Mal ihre Souveränität. Ausländisches Kapital wird künftig bestimmen, an welcher Stelle investiert, modernisiert und rationalisiert wird. Ausländisches Kapital wird festlegen, welche Betriebsteile unrentabel sind, wo Arbeitsplätze gestrichen werden.

Vieles wird sich ändern: Beschäftigt die nicht im Schichtsystem und am Wochenende arbeiten wollen, werden ebenso Schwierigkeiten bekommen wie Eltern, deren Kinder zu oft krank sind, wie Arbeiter und Angestellte, die älter ab 50 Jahre sind oder mehr als zwei Wochen im Jahr wegen Krankheit fehlen. Und das wird nur der Anfang sein!

Indem die Volkskammer so genannte Joint ventures ermöglicht hat stehen andere Formen der Kooperation, die uns mehr Rechte gesichert hätten, gar nicht mehr zur Debatte. Die Konzernherren und Firmenchefs nutzen selbstverständlich jene Arten der Zusammenarbeit, die ihnen größtmöglichen Einfluss und Profit garantieren. Betriebs- und Kombinatsdirektoren der DDR machen mit ihnen gemeinsame Sache und verlangen die Änderung des Arbeitsrechts, unter anderem mehr Möglichkeiten zur Bestrafung und Disziplinierung. Sie sehen sich schon als Wirtschaftsbosse, sie werden jedoch höchstens Filialleiter sein.

Betrogen aber sind wieder die Werktätigen, oder hatten beispielsweise die Leitungen der volkseigenen Kombinate ROBOTRON und IFA vor Abschluss ihrer neuen Verträge das Einverständnis der Belegschaften eingeholt?

Warum lügen Journalisten, wenn sie von Joint ventures reden und uns suggerieren, es handele sich nur um Möglichkeiten der Investition (Aktuelle Kamera 12. 1. 90)? Joint ventures bedeuten anteiligen Besitz!

Selbst das Fallen der 40 %-Klausel ist längst beschlossene Sache, denn schon heißt es: "In Ausnahmefällen kann der ausländische Anteil über 49 % betragen." In diesem Zusammenhang sind wir uns übrigens sicher, dass den westdeutschen Konzernen eine Wiedervereinigung innerhalb der nächsten Jahre gar nicht so recht ist, sie haben mehr davon, wenn sie uns vorher noch eine Weile zu Billiglöhnen arbeiten lassen. Dagegen gibt es nur eine Chance, die wir aber jetzt und sofort nutzen müssen: Das staatliche Eigentum muss gesellschaftliches werden. Also, wählen wir Räte, bilden wir Genossenschaften, verwalten wir die Betriebe selbst. Dann können allein wir entscheiden, ob und wie wir mit dem Kapital zusammenarbeiten.

Herr Modrow hat wiederholt angekündigt, dass es keinen sozialen Abstieg der Menschen in der DDR geben wird. Aber die Erhöhung der Preise für Kinderbekleidung bedeutet dabei eine Stufe.

Wir fordern die sofortige gesetzliche Verankerung der scala mobile, das heißt die automatische Anpassung der Löhne und Gehälter, des Kindergeldes und der Renten an die Inflationsrate!

13. Autonome Gruppe in der Initiative Vereinigte Linke

P. S. Ein bemerkenswerter Satz der, letzten Woche stammt von Frau Ministerin Nickel: Für die Bevölkerung erfolgen den nächsten Tagen keine weiteren Preiserhöhungen"

Vielen Dank, Frau Nickel!

(BZ 21./22.01.1990)
aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin