Fünf Wochen nach ihrer Gründung hat die KPD 1 000 eingeschriebene Mitglieder und noch rund 18 000 Briefe mit Anfragen Interessierter auf dem Tisch. Zeitungen bis hin nach Indien, Sri Lanka und Australien informierten schon über die neue Partei - in den DDR-Medien fühlt sie sich weitgehend ausgegrenzt. Junge Welt sprach mit Klaus S(...) (36), Vorsitzender der KPD, und Thomas W(...) (27), Pressesprecher der Zentrale der KPD, um das Schweigen zu brechen.

Seid ihr die verkappte neue SED?

T. W.: Völliger Quatsch, ich war nie drin. Wenn wir etwas nicht wollen, so sind das zentralistische Strukturen, "angeordnetes Parteileben". Und nur mal als Beispiel: Von unseren Berliner Mitgliedern war die Hälfte nie parteipolitisch organisiert. Übrigens sind unter diesen 50 Prozent überwiegend junge Frauen.

Ihr glaubt nicht an eine erneuerte PDS?

K: S.: Das ganz praktische Problem ist dank der Plattformen doch, wen wähle ich wo. Die PDS-Stimme hier mag einer kommunistischen Plattform zugute kommen, aber anderswo wähle ich mit der gleichen Stimme vielleicht einen Sozialdemokraten, wo die PDS doch jetzt Bernstein wieder aus dem Mumienkeller geholt hat. Auch wenn Gysi gute Konzepte hat, bei "Deutschland - einig Vaterland" und seiner Wirtschaftspolitik, die sich kaum von anderen marktwirtschaftlichen Ideen unterscheidet, machen wir nicht mit.

Sagt bloß, es gibt sie doch: die Partei gegen Marktwirtschaft?

T. W.: Unsere Idee, auf den Punkt gebracht, lautet: starkes gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln ohne Benachteiligung anderer Eigentumsformen bei staatlicher Rahmenplanung. Ohne Planung zieht doch die totale Wirtschaftsanarchie ein. Ist es nicht erschreckend, wie schnell die Vokabel "Arbeitslosigkeit" sich bei uns eingebürgert hat? Meine Mutter ist jetzt mit 55 Jahren arbeitslos. Sie findet nichts. Einen Vorruhestand müsste der Betrieb mitfinanzieren. Was, wenn der aber nun pleite ist? Die Regelungen klingen gut, hängen aber völlig in der Luft.

K. S.: Wir stehen für Vollbeschäftigung, nicht durch künstliche Planstellenbeschaffung wie bisher, sondern durch Arbeitszeitverkürzung hin zur 35-Stunden-Woche. Dazu ist natürlich eine höhere Produktivität nötig. Wir wollen deshalb über die Schaffung von genossenschaftlichem Eigentum auch in Großbetrieben stärkeres Besitzergefühl bei den Arbeitern schaffen. Wobei heute in der DDR jedoch genug zu tun ist.

T. W.: Das "Recht auf Arbeit" ist uns aber zu theoretisch. Wir fordern das "Recht auf einen eigenen, der Qualifizierung entsprechenden Arbeitsplatz" - konkret einklagbar.

Wo wir gerade bei gefährdeten Grundrechten sind, wie seht ihr die Rechte der Jugend?

K. S.: Neben den über 55jährigen bilden Jugendliche zwischen 16 (unser Statut lässt das zu) bis 30 das Gros unserer Mitglieder. Logisch also: Wir wollen ein Jugendgesetz. Aber kein parteipolitisch eingeengtes "FDJ-Gesetz" mehr, sondern eine das auch autonomen Gruppen und Modellen Förderung zusichert.

T. W.: Zum Beispiel Wohnkommunen, wie sie mit den 68ern entstanden. Bisher galt als versorgt, wer mit 25 ein Zimmer bei den Eltern hatte. Das funktioniert nicht ich hab's selbst durch. Oder mal kriegte eine 1-Raum-Neubau Buchte. Aber lies doch mal bei Makarenko, wie sich soziale Strukturen entwickeln, wie man Gesellschaft verstehen lernt: in Kommunen. Doch die galten ja als "Zellen des Aufruhrs". Wir wollen, dass sechs, acht, zehn Jugendliche auch große Wohnungen ausbauen können. Dafür muss es - bei den Handwerkerpreisen heutzutage - Kreditmöglichkeiten bei Banken, KWV, Betrieben geben.

K. S.: Ein anderer Irrsinn ist der Jugendklub-Abbau. Das Gegenteil muss passieren, dort muss heute praktische Politik gemacht werden, dort müssen zum Beispiel Psychologen, Soziologen hin.

Oder die Idee der Jugendforscherkollektive. Natürlich dürfen sie nicht befohlen werden. Doch wenn Jugendliche an anspruchsvollen Aufgaben arbeiten wollen, muss der Chef verpflichtet sein, sie zu fördern.

Habt ihr die jungen Parlamentskandidaten, die das auch durchfechten?

K. S.: Zum einen meinen wir, dass der Volkskammerausschuss für Jugendfragen die außerparlamentarischen Interessenvertreter, etwa den Runden Tisch der Jugend, paritätisch in die Arbeit einbeziehen sollte. Zum anderen, ist knapp die Hälfte unserer Kandidaten nicht älter als 30 Jahre.

T: W.: Aber Quoten für Jugend oder Frauen gibt's bei uns nicht. Genauso wenig wie für Behinderte, an die einige Parteien jetzt plötzlich Listenplätze verschenken. Almosenunfug! Behinderte müssen unabhängig vom Wahlergebnis im Parlament sein. Überhaupt: Behindertengerechtes Bauen in Innenstädten ist auch ein Thema, das wir aufs Tapet bringen wollen. Bisher wurden diese Menschen doch abgeschoben nach Marzahn, Hohenschönhausen oder ganz "genial" konzentriert im Erfurter Ried. Ich sag' immer: Man müsste Städteplaner in einen Rollstuhl setzen und fünfmal durch ihren Rayon jagen. Dann spüren sie, wo Ausgrenzung im Alltag anfängt.

Welche Chancen rechnet ihr euch für den 18. März [Volkskammerwahl] aus?

K. S.: Für rund 30 000 Stimmen gibt es einen Volkskammersitz. Das wär ein guter Anfang.

(Das Gespräch führte
Ralph Stolle)

aus: Junge Welt, Nr. 60 B, 12.03.1990, 44. Jahrgang, Linke Sozialistische Jugendzeitung

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