Vor dem Gründungskongress Marxistische Jugendvereinigung "Junge Linke"

Neues vom Umgang mit einem Alten

Über das ganze Land verstreute linke Jugendgruppen einigten sich im Dezember auf die Gründung einer Marxistischen Jugendvereinigung 'Junge Linke' (MJV). Mit Katharina T(...) (17, Schülerin) und Axel S(...) (24, Student) von der Koordinierungsgruppe zur Vorbereitung des Gründungskongresses sprach Junge Welt.

Das Spektrum von Jugendorganisationen wird langsam unübersichtlich, und je mehr davon für sich 'wursteln', desto weniger scheinen Jugendinteressen wirklich vertreten zu sein . . .

Axel: Die geplante Gründung des MJV ist keine weitere Aufsplitterung, sie soll linke Jugendliche zusammenbringen. Wir stehen dazu mit etwa 40 Jugendgruppen in der Republik in Kontakt. Ein wichtiger Anstoß ist für uns Linke dabei die rechte Gefahr.

Ihr seid ein Stück Konkursmasse der alten FDJ?

Katharina: Ja, die ersten Gruppen von uns haben sich zusammengefunden, weil die FDJ seit der Wende konzeptionslos war und für uns so nicht mehr funktionierte. Die Leipziger Jungen linken und wir Berliner haben gemeinsam zum Zusammenschluss aufgerufen.

Was passierte noch diesem Aufruf?

Axel: Zu unserem ersten Treffen am 17. Dezember kamen Vertreter von 42 linken Jugendgruppen in die Berliner Carl-von-Ossietzky-Oberschule. Dabei einigten sich 25 marxistisch orientierte Jugendgruppen auf die Gründung des MJV.

Katharina: Die anderen können sich nicht mit Marx identifizieren, sind aber alle für ein linkes Aktionsbündnis. Wir brauchen das zum Beispiel für Antifa-Vorhaben. So entstand also neben dem Plan zur Gründung des MJV gleich noch ein breiteres Bündnis, der linke Jugendring (Kontaktadresse: Rosa-Luxemburg-Straße 14, Berlin 1020; Telefon: (...)).

Marxens Lehre sei tot, wir hatten unseren Teil Schuld daran - man hört das jetzt ziemlich oft . . .

Axel: Das sehen wir anders. Trotz der Erfahrungen in FDJ und Schule. Der Marxismus ist nicht so schlecht, wie er in der Vergangenheit bei uns praktiziert wurde. Wir verstehen darunter eine Weltanschauung, die die Geschichte der menschlichen Gesellschaft als gesetzmäßigen Prozess begreift, in dem wir uns die materialistische Dialektik als Methode zur Erkenntnis entstandener und neu entstehender gesellschaftlicher Erscheinungen aneignen und sie anwenden. Mit Marx sehen wir das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung in einer Gesellschaft, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".

Glaubt ihr, dass ihr mit solchen Sätzen um Zulauf für euren MJV werben könnt?

Katharina: Wir reden nicht immer so "geschwollen" miteinander, aber einer Wissenschaft muss man auch begrifflich gerecht werden.

Axel: Es gibt keine einfachen Lösungen für unsere schwierigen Probleme. Schon deshalb ist für uns der wissenschaftliche Weg der richtige. Zuspruch wollen wir nicht durch kernige Sprüche erschwindeln. Wir hoffen, dass unsere Ziele von möglichst vielen anderen Jugendlichen unseres Landes als die eigenen erkannt werden.

Weiche Ziele sind das?

Axel: Wir setzen uns für einen demokratisch erneuerten Sozialismus in einer souveränen DDR ein, sind gegen die "Wiedervereinigungspläne" von Kohl & Co. Faschismus, Rassismus und Antisemitismus wollen wir bekämpfen - dazu arbeiten wir auch mit anderen nationalen und internationalen progressiven Organisationen zusammen.

Wie soll diese Zusammenarbeit aussehen?

Axel: Gemeinsame Demos und Flugblattaktionen gegen rechts beispielsweise, bei der Antifa-Demo in Treptow waren wir am Mittwoch [03.01.1990] dabei. Wir haben auch Kontakt zu den Jungsozialisten in Westberlin.

Für uns besonders wichtig: Wir haben endlich Sitz und Stimme am Runden Tisch der Jugend.

Wie sind eure ersten Eindrücke von der Arbeit dieses Runden Tisches der Jugend?

Katharina: Es muss dort endlich um Sachfragen gehen - das ewige Hick-Hack um die Verfahrensweise hält davon bisher ab.

Axel: Gerade in der gegenwärtigen Situation, da Jugendrechte in Gefahr sind, brauchen wir so schnell wie möglich ein Gremium, das Jugendinteressen gegenüber dem Staat wirksam Vertritt. Das müsste zunächst der Runde Tisch der Jugend sein.

Wie steht ihr zur Frage von parlamentarischen Jugendvertretungen?

Axel: Wir halten sie für notwendig - auf allen Ebenen.

Katharina: Es ist nicht damit zu rechnen, dass Parteien Jugendinteressen konsequent vertreten werden - wir müssen uns selber kümmern! Damit könnten wir auch verhindern, dass wir jungen Leute für Parteipolitik vereinnahmt werden. Ein reines Parteien-Parlament würde leider auch entstehende und entstandene demokratische Bewegungen ausgrenzen.

Axel: Ich finde es scheinheilig, dass sich Vertreter von parteinahestehenden Jugendverbänden gegen parlamentarische Jugendvertretungen stark machen.

Wie würdet ihr euch eine funktionierende parlamentarische Jugendvertretung vorstellen?

Axel: Einige Stichworte: Jugendfraktionen in allen Volksvertretungen, ruhende Parteimitgliedschaft bei Mandatsträgem, Verbot des Fraktionszwanges, Einführung der Zweitstimme, die die Konkurrenz um Stimmen zwischen Parteien und Organisationen ausschließt (Erststimme für Parteien und Regierungsfähigkeit. Zweitstimme für Vereinigungen sichert Interessenvertretung bestimmter Bevölkerungsgruppen).

Wer kann bei euch Mitglied werden?

Katharina: Man sollte schon 13 bis 30 Jahre jung sein und Programm und Statut anerkennen. Die wollen wir auf unserem Gründungskongress am 3. und 4. Februar beschließen und nach Möglichkeit Interessenten dann auch zuschicken. Unsere Kontaktadresse: MJV "Junge Linke", Johannes-R.-Becher-Straße 33, Berlin, 1100 (Telefon: (...)). Den Raum hat uns übrigens die FDJ zur Verfügung gestellt.

Schickt ihr zum von der FDJ initiierten Gründungskongress für einen sozialistischen Jugendverband vom 26. bis 28. Januar Vertreter?

Axel: Ja, das wollen wir.

(Das Gespräch führte
Andreas Kurtz)

aus: Junge Welt, Nr. 4 B, 05.01.1990, 44. Jahrgang, Organ des Zentralrats der FDJ

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