Programm des Arbeitslosenverbandes (ALV), seine Aufgaben und Ziele

Die Einführung der Marktwirtschaft führt unabwendbar zu Arbeitslosigkeit auch in unserem Land. Diese Entwicklung erfordert es, eine Interessenvertretung für die betroffenen Bürger aufzubauen, um den Folgen von Arbeitslosigkeit und dem Ausmaß der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken bzw. zu lindern.

Die Arbeitslosen haben eigenständige Interessen. Die konkrete Lage, die materielle und psychische Situation der Arbeitslosen unterscheidet sich in starkem Maße von anderen Gruppen.

Arbeitslose werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, werden aus einem entscheidenden Lebensbereich des Menschen - der Arbeit - ausgeschlossen. Damit sind sie zu wesentlichen Teilen aus der Gesellschaft ausgegrenzt.

Arbeitslosigkeit und ihre Folgen müssen in ihrer Komplexität ins gesellschaftliche Bewusstsein ein gebracht werden. Die Situation der Arbeitslosen erfordert, Gegenstrategien zu entwickeln.

Geschlossenes, organisiertes Handeln der Arbeitslogen ist notwendig, um Einfluss auf die Schaffung von Bedingungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zu nehmen.

Der Arbeitslosenverband tritt nicht als Bittsteller an die Gesellschaft heran, sondern klagt das Recht auf Arbeit als ein entscheidendes Menschenrecht ein. Darum gibt er sich folgende Ziele und Aufgaben:

I. Wahrnehmung der Interessenvertretung

Der Arbeitslosenverband ist ein Bündnis, das die spezifischen Interessen der Arbeitslosen gegenüber der Gesellschaft, insbesondere gegenüber den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern wie Staat, Unternehmen, Parteien und Organisationen sowie Kommunen zur Geltung bringt und vertritt.

Der Arbeitslosenverband fordert die Schaffung von rechtlichen Grundligen für die allseitige Absicherung der Arbeitslosen. Er tritt für die Anerkennung der Rechte der Arbeitslosen durch die gesellschaftlichen Verantwortungsträger, die Anerkennung des Verbandes und seine Respektierung als Vertretung der Arbeitslosen durch die gesellschaftlichen Verantwortungsträger ein. Er wendet sich gegen repressive Maßnahmen gegen Arbeitslose.

Der Arbeitslosenverband fordert von den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern Maßnahmen für die Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den Arbeitsprozess und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Der Arbeitslosenverband fordert von den Betrieben und Einrichtungen, dass sie vor der Entlassung von Werktätigen Maßnahmen zur Umschulung finanzieren und realisieren, mit dem Ziel, Möglichkeiten einer weiteren Beschäftigung im eignen Betrieb zu nutzen bzw. die Chancen der Werktätigen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Bei Zahlungsunfähigkeit des entlassenden Betriebes/Einrichtung übernimmt der Staat die Finanzierung der Umschulung.

Der Arbeitslosenverband empfiehlt, Entlassungen ohne entsprechende Sozialpläne durch Betrieb und Staat als rechtsunwirksam zu erklären.

Der Arbeitslosenverband setzt sich für eine enge Zusammenarbeit mit der staatlichen Arbeitsverwaltung ein.

Der Arbeitslosenverband strebt eine enge Zusammenarbeit mit den IG/Gewerkschaften an, ohne in den Status einer Einzelgewerkschaft zu treten. Die Verbindung von Arbeitslosenverband und Gewerkschaften dient der Entwicklung des Solidargedankens und -verhaltens zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen.

Der Arbeitslosenverband fordert von den gesellschaftlichen Verantwortungsträgern, insbesondere dem Staat und den Kommunen, die materielle, personelle und finanzielle Absicherung der juristischen, sozialen, beruflichen und psychologischen Betreuung der Arbeitslosen.

Der Arbeitslosenverband fordert die Durchsetzung des Informationsrechts. Der Arbeitslosenverband verlangt seine Einbeziehung bei der Erarbeitung neuer Rechte, die das Schicksal der Arbeitslosen tangieren, und das Recht, auf die entsprechende Gesetzbildung einzuwirken.

Der Arbeitslosenverband fordert ein gesichertes soziales Minimum an Einkommen und die Angleichung dieses Minimums bei Lohn und Preisveränderungen.

Zur Realisierung der Interessenvertretung entwickelt der Arbeitslosenverband die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen, Bürgerbewegungen, kirchlichen Einrichtungen und Parteien. Der Arbeitslosenverband strebt die Mitgliedschaft in der internationalen Organisation der Arbeitslosen an.

II. Die Arbeit im Verband

Der Arbeitslosenverband schafft für seine Mitglieder die Möglichkeit, sich zu organisieren, ihre Ansprüche an die Gesellschaft zu formulieren und in das gesellschaftlichen Leben einzubringen. Der Arbeitslosenverband entwickelt die aktive Solidarität der Arbeitslosen untereinander und darüber hinaus den Solidargedanken in der Gesellschaft.

Der Arbeitslosenverband entwickelt Formen der praktischen Lebensberatung und der Selbsthilfe seiner Mitglieder und ihrer Familien.

Der Arbeitslosenverband beteiligt sich entsprechend seinen Möglichkeiten an der juristischen, der sozialen, der kulturellen und der psychischen Betreuung der Arbeitslosen. Er strebt die Schaffung eines territorialen Netzes von kompetenten Beratungsstellen an.

Der Arbeitslosenverband schafft durch die Tätigkeit der Beratungsstellen Möglichkeiten der Kommunikation, der Kooperation und der Konfliktbewältigung.

Der Arbeitslosenverband fördert die Entwicklung von alternativen Arbeitsplatzbeschaffungsprogrammen und entwickelt in Abstimmung mit den Gewerkschaften Gegenstrategien zu den Strategien der Unternehmer und des Staates.

Der Arbeitslosenverband stellt sich die Aufgabe, die Öffentlichkeit über Arbeitslosigkeit komplex zu informieren.

Der Arbeitslosenverband prüft die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung seiner Mitglieder, soweit es die Finanzlage gestattet.

Der Arbeitslosenverband berücksichtigt in seiner Arbeit die Interessen spezieller, arbeitsloser Bevölkerungsgruppen (z. B. alleinerziehender Mütter, Menschen mit Behinderungen, älterer Bürger, arbeitsloser Jugendlicher).

Angenommen am 31. März 1990

Tribüne, Tribüne der Arbeitslosen, Mi. 30.05.1990

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