Redebeitrag der 13. autonomen Gruppe zur Demonstration "Gegen großdeutsche Träume" am 19.03.1990

Der Rummel des vergangenen Wochenendes ist vorbei; viele BerlinerInnen und Berliner sind heute depressiv. Das ist insofern verständlich als die Rache der sogenannten Provinz an der Hauptstadt keine geringe war.

Ganz offensichtlich besitzen viele Leute eine Sehnsucht, verantwortungslos zu leben. Ihnen war der fünfmonatige Zustand nicht mehr erträglich. Sie wollen wieder klare Verhältnisse, in denen jemand anderes sich einen Kopf macht, wie es weitergeht. Manchmal ist es schwer zu begreifen, warum das Einfache, das Logische, das Verständliche unterliegt. Aber das ist auf der ganzen Welt so. Wir sind nur IndianerInnen und Daniel Ortega ist auch nur der Häuptling eines Stammes. Einmal - und endlich - erfahren, dass wir nur IndianerInnen sind, muss nun auch dem/der letzten Sympathisanten beispielsweise der Vereinigten Linke klar sein, dass es keinen Sinn hat, zu überlegen, was jetzt die nächsten Schritte einer Regierung sein müssten. Es ist nur Zeitverschwendung.

Wir werden nie in dieser Situation sein. Für uns hat sich nicht viel geändert. Wir sind da, wo wir waren. Wir sind, was wir waren, nämlich Reisszwecken in Magen des Staates. Für uns ist es egal, ab sich die CDU oder die SPD die meisten Stimmen erkauft hat.

Eigentlich sogar hat dieser Wahlausgang einen großen Vorteil. Die Zerstörung der Illusionen wird schnell einsetzen, und nicht etwas weniger schnell, wie von der SPD erzeugt. Und wir vermuten mal, dass es gerade die WählerInnen der CDU als erste treffen wird. Auch die 2/3-Gesellschaft ist nur eine Illusion.

Also konzentrieren wir uns, planen wir gemeinsam Aktionen, schärfen wir die Spitzen der Reisszwecken, dass sie weiter unverdaulich sind.

aus: telegraph 6, 30.03.1990, Herausgeber: Umwelt-Bibliothek Berlin