Erklärung des Runden Tisches zu Wirtschaftsfragen

Die Teilnehmer des Runden Tisches haben am Mittwoch [03.01.1990] eine Erklärung angenommen, die der Regierung als Empfehlung zugestellt wird. Sie hat folgenden Wortlaut:

I.

Die Arbeitsgruppe Wirtschaft des Zentralen Runden Tisches hat sich in ihrer Beratung am 29.12.1989 auf folgende Erklärung geeinigt und empfiehlt den Teilnehmern am Runden Tisch, diese als Arbeitsgrundlage bis zum Wahltermin am 6.5.1990 anzunehmen.

Entsprechend der ersten Erklärung des Runden Tisches vom 7.12.1989 zu seinem Selbstverständnis ist der Runde Tisch Bestandteil der öffentlichen Kontrolle über die ökologische, wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen unserem Land.

Ausgehend von dieser Verantwortung und im Interesse der Bewahrung der wirtschaftlichen Situation vor einer weiteren krisenhaften Zuspitzung verständigt sich der Runde Tisch für die Übergangszeit bis zum Wahltermin auf eine Große Koalition der Vernunft mit dem Ziel, alle die Wirtschaft im Interesse der Bürgen unseres Landes stabilisierenden Sofortmaßnahmen unter Wahrung sozialer Sicherheit und ökologischer Erfordernisse zu unterstützen sowie an Regelungen zur Ausarbeitung von Wirtschaftsreformen mitzuwirken.

Voraussetzung für diese Zusammenarbeit ist eine eindeutige und durchschaubare Offenlegung der wirtschaftlichen, ökologischen und finanziellen Situation unseres Landes entsprechend der Forderung des Runden Tisches vom 7.12.1989 und die rechtzeitige Information vor wichtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen der Regierung.

II.

Die ernste wirtschaftliche Situation erfordert kurzfristige couragierte und schnellwirkende stabilisierende und demokratisierende Maßnahmen mit sozialer Absicherung und ökologischer Verträglichkeit.

Eingedenk der genannten Forderungen und Voraussetzungen fordert der Runde Tisch sofortige Regelungen zu folgenden Maßnahmen:

1. Gewährleistung eines kontinuierlichen volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses, insbesondere

- einer stabilen Energieversorgung unter Winterbedingungen,

- eines gesicherten Transports,

- einer kontinuierlichen Produktion,

- zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und zur Sicherung der Frühjahrsbestellung,

- die Gewährleistung elementarer Dienstleistungen sowie

- der Einhaltung der international eingegangenen Wirtschaftsverträge und damit der Gewährleistung der Zahlungsfähigkeit gegenüber ausländischen Gläubigern.

2. Veränderung von Einzelhandelsverkaufspreisen mit dem Ziel des Abbaus und der Umverteilung von Subventionen, die einer Verschwendung entgegenwirkt und einen sozialen Ausgleich gewährleistet.

In diesem Zusammenhang ist schrittweise auf personengebundene Ausgleichsmaßnahmen überzugehen.

3. Weitergehende Schritte zur Sicherung der Stabilität der Währung unter den Bedingungen des visafreien Reiseverkehrs und entsprechender Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland.

4. Die Herstellung der juristischen und ökonomischen Eigenverantwortlichkeit der Wirtschaftseinheiten aller Eigentumsformen bei regulierendem Einfluss des demokratischen Staates.

Dazu gehören

5. Erarbeitung von Sozialplänen und Bildung eines Sozialfonds auf gesellschaftlicher und betrieblicher Ebene, die mindestens zum Gegenstand haben

- die Gewährleistung der Vermittlung von Arbeitskräften, ohne Diskriminierung, ihrer Umschulung und sozialen Absicherung, die im Ergebnis von Verwaltungseinschränkungen, Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen in Betrieben und Einrichtungen freigesetzt werden. Dazu sind die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten der Ämter für Arbeit wesentlich zu erweitern,

- die vorrangige Umverteilung von freiwerdenden kaufkraftwirksamen Geldmitteln zugunsten Bezieher/innen von Mindest- und Niedrigeinkommen, unter besonderer Berücksichtigung der Erhöhung des Sozialhilfesatzes und der Mindestrenten, Schaffung volkswirtschaftlich begründeter Einkommensproportionen,

- die Unterbindung aller Verletzungen der geltenden Arbeits- und Sozialgesetzgebung der DDR in allen Betrieben und Einrichtungen,

- eine einheitliche Regelung für die Zahlung des Überbrückungsgeldes bei Arbeitsplatzwechsel infolge Strukturveränderungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen.

6. Die Zuordnung der Außenwirtschaftstätigkeit auf die Kombinate und Betriebe und die Erweiterung der Handlungsspielräume bei der Verwendung von Valutaanteilen.

7. Bei der Herausbildung einer Marktwirtschaft in der DDR wird der Schaffung eines überschaubaren einheitlichen Steuersystems für die Unternehmen aller Eigentumsformen ein hoher Stellenwert beigemessen. Auf diesem Wege ist die Überzentralisierung von finanziellen Fonds einzuschränken Und eine überhöhte Umverteilung von Mitteln zu beseitigen. Die Einnahmebasis der örtlichen Haushalte ist zu erhöhen und stabil zu gestalten.

8. Durch den Staat zu gewährleistende Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Effizienz der Wirtschaft durch eine entschieden stärkere Konzentration auf strategische Aufgaben, die Wirtschaftsstruktur- und Sozialpolitik einschließlich eines neuen Energiekonzeptes als wesentlichen Bestandteil des ökologischen Umbaus der Wirtschaft.

9. Die Schaffung rechtlicher Regelungen für die Förderung privater Initiativen für das genossenschaftliche und private Handwerk sowie Gewerbe- und mittelständische Privatbetriebe der Wirtschaft.

10. Die natürlichen Ressourcen als Nationaleigentum zu sichern. Sie können nur treuhänderisch zur Nutzung überlassen werden. Grund und Boden aller Eigentumsformen darf nicht an Ausländer verkauft werden. Das Nutzungsrecht ist so zu gestalten, dass dieser Grundsatz nicht unterlaufen werden kann.

Der Runde Tisch erwartet von der Regierung, dass seine Arbeitsgruppe Wirtschaft in die Vorbereitung grundsätzlicher Arbeiten zur Reform unserer Wirtschaft einbezogen wird, über neue Vorhaben rechtzeitig informiert und über neue Vorhaben und Arbeitsergebnisse öffentlichkeitswirksam informiert wird.

Über dieses Material hinausgehend weiterführende Maßnahmen zur Wirtschaftsreform werden dem Runden Tisch nach Bearbeitung durch die Arbeitsgruppe Wirtschaft vorgelegt.

Der Runde Tisch nimmt das Angebot der Volkskammer und der Regierung zur Mitarbeit in Ausschüssen und Arbeitsgruppen zu Wirtschaftsfragen an und erwartet, dass seine Vertreter auch in international zu führende Wirtschaftsverhandlungen einbezogen werden.

aus: Neue Zeit, 46. Jahrgang, Ausgabe 4, 05.01.1990, Tageszeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands

Δ nach oben