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11. Sitzung Mo. 05.02.1990
Themen
Erklärung der Regierung zur Wirtschaft vorgetragen von Christa Luft
Zugegen sind der Minister für Leichtindustrie, der Industrieminister und Vorsitzende des Wirtschaftskomitees für die Durchführung einer Wirtschaftsreform, der Minister für Handel und Versorgung, der stellvertretender Minister für Arbeit und Löhne, der Staatssekretär im Ministerium für Finanzen und Preise, der Leiter des Amtes für Rechtsschutz und Vermögen der DDR
Aussprache und Befragung
Kernkraftwerke
Zugegen sind der Generaldirektor des KKW Greifswald, der diensthabende Ingenieur des KKW Greifswald und Sprecher der Belegschaft des KKW, der Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Schwerindustrie, der Vizepräsident des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz
Aussprache und Befragung
Wahlgesetz
Parteien- und Vereinigungsgesetz
Währung, Währungsverbund, Währungsunion
Wirtschaftsdemokratie, Betriebsverfassungsrecht, Mitbestimmung
Sicherheit
Bildung und Jugend
Gesundheitswesen
Ernennung eines Ausländerbeauftragten
Situationsbeschreibung, in der sich alle mit der Auflösung des MfS/AfNS befassten Gremien befinden
Neuzulassungen zum Runden Tisch
Nachfolgend Berichte aus der Berliner Zeitung und dem Neuen Deutschland
Wirtschaftsfragen waren gestern in Berlin bei der 11. Sitzung des Runden Tisches das beherrschende Thema.
Prof. Karl Grünheid, Leiter des Wirtschaftskomitees des Ministerrates informierte die Vertreter von Parteien und Gruppierungen darüber, dass das Produktionsniveau dieses Jahres etwa dem von 1985 gleichkommen werde. Auf bisher zugesicherte Lohnerhöhungen eingehend, sagte er, dass bei weiterer Steigerung der Einkommen die Stabilität des Binnenmarktes gefährdet sei. Probleme gebe es bei der Einhaltung von Außenwirtschaftsverträgen sowie einer ausgeglichenen Bilanz zwischen Ex- und Import.
Vizepremier Prof. Christa Luft sprach zur sozialen Komponente der Wirtschaftsreform, zu Währungsfragen, zum Verhältnis der Eigentumsformen sowie zur stärkeren Einbindung in die internationale Kooperation. Zu Vorteilen einer Währungsunion unter sofortiger Einführung der D-Mark in die DDR gehörten die schnelle Überwindung von Versorgungsengpässen, die Ausweitung der Reisemöglichkeiten sowie der ständige Druck auf Betriebe, ihre Leistungen am Weltmarkt zu messen. Nachteile seien: Keine Minderung des Produktivitäts- und Lohngefälles zwischen beiden Staaten, Schließung von Betrieben, abwertungsgefährdete Sparguthaben und die Aufhebung der währungspolitischen Souveränität der DDR. Daraus schlussfolgernd, plädierte Prof. Luft für einen Volksentscheid über die deutsche Einheit, der Währungsfragen einschließen würde. Sie könne sich eine Teilkonvertierung zum Wechselkurs 1:1 oder 1:2 vorstellen. Als Lastenausgleich wäre eine Soforthilfe seitens der BRD bis zu 15 Milliarden DM erforderlich.
Zur Reprivatisierung volkseigener Betriebe sei eine Arbeitsgruppe gebildet worden. Es gelte, das genossenschaftliche Eigentum weiter zu stärken, Staatseigentum in bestimmten Bereichen beizubehalten und volle Chancengleichheit für alle Eigentumsformen zu schaffen.
Dr. Manfred Domagk, Staatssekretär im Ministerium für Finanzen und Preise, informierte den Runden Tisch über Vorstellungen zur Preis- und Subventionspolitik. Domagk teilte mit, dass sich derzeit die Subventionen auf 58 Milliarden Mark belaufen. Die Preisänderungen bei Kinderbekleidung betreffend, seien positive Ergebnisse zu verzeichnen.
Vor Behandlung der Wirtschaftsproblematik hatte der Runde Tisch den Bericht des Dreierkomitees zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit entgegengenommen und über Probleme des Parteien- beziehungsweise Wahlgesetzes beraten.
Als Beauftragter des Dreierkomitees sprach Werner Fischer von der Initiative für Frieden und Menschenrechte. Er informierte, dass die Zusammenarbeit des Komitees mit den Regierungsbeauftragten und dem Runden Tisch sich auch in den Bezirken durchgesetzt habe. Es sei eine operative Gruppe gebildet worden, die Hinweisen auf konspirative Treffs und ähnliche Aktivitäten nachgehe. Obwohl noch nicht mit Sicherheit gesagt werden könne, dass der Apparat endgültig zerschlagen ist, sei nach Ansicht des Komitees seine Reorganisierung nicht mehr möglich. Nicht alle Mitarbeiter des einstigen Amtes seien "Verbrecher", Rechtsstaatlichkeit gelte auch für sie.
Des weiteren stimmte der Runde Tisch entgegen dem Antrag des Neuen Forum für den Wahltermin 18. März. Ferner, so wurde mehrheitlich beschlossen, verzichten die Teilnehmer des Runden Tisches bei allen öffentlichen Wahlveranstaltungen auf Gastredner aus der BRD und Westberlin.
Wenig Glauben in das Versprechen der Regierung, dass bei Übergang zu marktwirtschaftlichen Prinzipien der soziale Standard gehalten werden kann, äußerten die Vereinigten Linken in der Nachmittagsdiskussion. Die LDPD mahnte die Regierung, den Übergang zur Marktwirtschaft umgehend anzugehen. Zu langsam erfolge die Entflechtung der Kombinate.
Strukturveränderungen im Lande vollzögen sich schneller als der Ausbau des sozialen Sicherungssystems, meinte der FDGB-Vertreter. Die Gewerkschaften würden keinen Schritt in Richtung Abwertung der Sparguthaben mitgehen, betonte er.
Eine Prüfung der Umweltverträglichkeit von importierten Technologien und Produkten schlug die PDS als eine sofortige Maßnahme vor.
Emotionen kamen im Gremium auf, als von Regierungsseite das Problem der sogenannten grenzüberschreitenden Beschäftigung angesprochen wurde. Die gegenwärtige Praxis der Arbeit von DDR-Bürgern in der BRD, so Prof. Grünheid, sei unakzeptabel. Hier müssten schnellstens in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung Regelungen gefunden. werden. Von der Regierung unterbreitete Vorstellungen über Verordnungen zu Ausgleichszahlung während der Arbeitssuche sowie zur Gewährung von Vorruhestandsgeld fanden im wesentlichen die Zustimmung des Runden Tisches.
Der Runde Tisch beschloss am Abend, weiteren Parteien und Gruppierungen den Beobachterstatus einzuräumen. Neue Parteien sollen die Möglichkeit erhalten, ihr Programm in zehn Minuten darzulegen.
Berliner Zeitung, Di. 06.02.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 31
Wie geht es weiter mit der angeschlagenen Wirtschaft? Vizepremier Luft gab Auskunft / Kernkraft im Disput
Fragen, die die Bürger unseres Landes in starkem Maße bewegen, standen am Montag auf der Tagesordnung der 11. Sitzung des Runden Tisches. Wie geht es weiter mit unserer Wirtschaft? Wie können massenhafte soziale Belastungen abgewendet werden? Unter welchen Bedingungen wird sich eine Währungsunion mit der BRD realisieren? Wie lässt sich die Wirtschaft stärken, wenn weiterhin destabilisierende Tendenzen wirken? Sowohl in den Ausführungen von Vizepremier Dr. Christa Luft und weiteren Experten wurden Antworten gegeben. Viele Fragezeichen aber blieben bestehen.
Als wichtigster Punkt stand dazu die Diskussion des Regierungskonzepts auf der Tagesordnung. Prof. Dr. Karl Grünheid, Vorsitzender des Wirtschaftskomitees, informierte zunächst über die wirtschaftliche Lage. Die Regierung rechne 1990 mit einem Produktionsniveau von 4 bis 5 Prozent unter dem des Vorjahres. Insgesamt sei Lohnerhöhungen in Höhe von 4,7 Mrd. zugestimmt worden. Bei weiteren Einkommenserhöhungen sei die Stabilität des Binnenmarktes nicht mehr gewährleistet. Im Handel mit dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet werde in diesem Jahr ein Importüberschuss von drei Milliarden Valutamark eintreten. Nach jüngster Bilanz betrage die Auslandsverschuldung der DDR 18,5 Milliarden Dollar - 2,1 Mrd. Dollar weniger als ursprünglich angenommen.
Den Vorschlag zu einem Volksentscheid über die Währungsunion mit der BRD äußerte anschließend Vizepremier Prof. Dr. Christa Luft. Sie erläuterte das vorliegende Reformkonzept und forderte als Soforthilfe von der Bundesregierung einen Lastenausgleich im Umfang von 10 bis 15 Milliarden D-Mark. Staatssekretär Dr. Manfred Domagk sprach zu den Veränderungen bei Preisen und Subventionen.
Auf Anfrage wies Handelsminister Manfred Flegel auf den stark angewachsenen Abkauf von Frischfleisch, Fleisch- und Wurstwaren, Wein, Sekt und anderen Lebensmitteln durch BRD-Bürger hin. In grenznahen Kreisen betreffe das bis zu 10 Prozent dieses Sortiments.
Zum Problem der "grenzüberschreitenden Arbeit" verwies Vizeminister für Arbeit und Löhne Dr. Ingolf Noack auf die Haltung der BRD, dass bundesdeutsche Unternehmer einem DDR-Bürger Beschäftigung nicht versagen könnten. So sei ein Abfluss von Arbeitsvermögen regelrecht vorprogrammiert. Von weiteren Rednern des Runden Tisches wurde diese Haltung der BRD als unzumutbar bezeichnet.
Nach intensiver Debatte zwischen den Vertretern des Kernkraftwerkes Greifswald. des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz, des Ministeriums für Schwerindustrie mit Teilnehmern des Runden Tisches, vor allem des Neuen Forums und der Grünen Partei. einigte man sich auf den Antrag, die Entscheidung über die Stilllegung des KKW zu vertagen, bis die Gutachten unabhängiger Expertenkommissionen im April vorliegen. Die Leitung des KKW sprach sich nach vorgenommener Prüfung für einen Weiterbetrieb der Blöcke 1 bis 4 aus.
Eingangs der gestrigen Beratung hatte der Beauftragte des Dreierkomitees zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, Werner Fischer von der Initiative für Frieden und Menschenrechte, einen kurzen Zwischenbericht gegeben. Obwohl noch nicht belegt werden kann, dass der Apparat endgültig zerschlagen sei. ist eine volle Funktionsfähigkeit nicht mehr gegeben. Er vertrat die Auffassung, dass nicht alle ehemaligen MfS-Mitarbeiter seien und Rechtsstaatlichkeit auch für sie gelten müsse.
Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob Gastredner aus anderen Ländern, einschließlich der BRD, zu öffentlichen Wahlveranstaltungen zugelassen werden. Die Mehrheit stimmte schließlich dafür, derartige Wahlhilfe auszuschließen.
Unterschiedliche Standpunkte wurden auch in der Diskussion über den Wahltermin des 18. März deutlich. Die Mehrheit stimmte aber gegen einen Antrag des Neuen Forums, den Termin der Parlamentswahlen auf den 6. Mai zu verlegen.
Die Beratung dauerte bei Redaktionsschluss noch an.
Neues Deutschland, Di. 06.02.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 31
Die Benennung eines Ausländerbeauftragten wird ebenso einstimmig angenommen, wie der Antrag zwei Vertreter in den Rechtsausschuss der Volkskammer zu entsenden.
Das Neue Forum nennt das Vorziehen der Volkskammerwahl vom 06.05.1990 auf den 18.03.1990 ein wahltaktisches Manöver, mit dem die etablierten Parteien und die von BRD-Parteien im Wahlkampf unterstützten Organisationen bevorteilt werden. Die Volkskammer wird aufgefordert den vorgezogenen Wahltermin nicht zu bestätigen. Es wird die Durchführung der Kommunalwahlen vor der Volkskammerwahl gefordert.
Der Antrag des Neuen Forum die Wahl zur Volkskammer am 06.05.1990 abzuhalten wird mit Mehrheit abgelehnt.
Der Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte brachte den Antrag ein, bei allen öffentlichen Veranstaltungen soll bis zur Wahl am 18.03.1990 auf Gastredner aus der Bundesrepublik und Westberlin verzichtet werden.
Der Antrag, die am Runden Tisch vertretenen Parteien und Gruppierungen erklären, im Sinne der Chancengleichheit und eines fairen Wahlkampfes bei allen öffentlichen Veranstaltungen bis zum 18. März 1990 auf Gastredner aus der Bundesrepublik Deutschland und Westberlin zu verzichten, wird mit Mehrheit angenommen.
Die SPD fordert: "Die Betriebsräte sind berechtigt von den staatlichen Leitungen entsprechende Vorlagen zu verlangen, durch Beauftragte Einsicht in alle betrieblichen Unterlagen, einschließlich der Buchungsbelege und Vertragsunterlagen zu nehmen und die Mitglieder der staatlichen Leitung gemeinsam oder einzeln zu befragen".
In einem Antrag der PDS an die Regierung ist zu Beginn zu lesen: "Konsequente Internationalisierung, breite Öffnung der DDR-Wirtschaft in allen Formen internationaler Arbeitsteilung und Kooperation hat zur Voraussetzung, dass mit unserer Verwaltungsreform in den nächsten Wochen durch uns auch die inneren Bedingungen für die Wirtschaftshilfe durch die BRD geschaffen werden".
Und zum Schluss: "Ziel: Verwaltungsreform kommt vor Wirtschaftshilfe. Wenn die Wirtschaftsämter arbeiten, kann das Kapital kommen".
"Das Betreiben des KKW Greifswald wie alle anderen KKW ist unter Bürgerkontrolle zu stellen. Die Kontrolle sollte durch Experten und Bürgerkomitees erfolgen", fordert die PDS.
Der Vorschlag der Prioritätengruppe wird mit Mehrheit angenommen, die Deutsche Soziale Union, die Deutsche Forumpartei, die Europaunion der DDR, die Freie Demokratische Partei, den Runden Tisch der Jugend und die Unabhängige Volkspartei als Beobachter am Runden Tisch zuzulassen.
Der Antrag "Die Nelken" wird abgelehnt, da sie in der Vereinigten Linken erfasst sind.
Der Antrag der Nationalen Bürgerbewegung wird nicht angenommen, da Bürger und Bürgerkomitees durch andere Organisationen am Runden Tisch zu Wort kommen.
Dem Verband der Berufssoldaten und dem Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter wird empfohlen, sich als Gast anzumelden, wenn sie berührende Themen besprochen werden.
Es werden keinen weiteren Parteien oder Vereinigungen mehr zugelassen. Als Grund wird der nahe Termin der Volkskammerwahl genannt. Die Arbeitsfähigkeit soll durch zusätzliche Parteien und Vereinigungen nicht erschwert werden.