Hans-Jürgen Fischbeck

war weder bei den Pionieren noch in der FDJ. Studierte 1956-61 Physik an der HU Berlin. Dort war er Mitglied in der Evangelischen Studentengemeinde. 1966 wurde er promoviert und 1969 habilitierte er. Arbeitete am Zentralinstitut für Elektrophysik der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Auf der Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 26.02.1990 sagte er: "Die Grundlagenforschung in der DDR ist ruiniert worden in den vergangenen 40 Jahren. Ich bin auch und betrachte mich als einer der Opfer dieses Ruins".

Studienleiter an der Evangelischen Akademie Mühlheim/Ruhr der Evangelischen Kirche Rheinland seit 1992.

1968 wurde er Gemeindekirchenrat in der Bartholomäus-Kirchengemeinde in Berlin. Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg ab 1977. Er beteiligte sich an der "Initiative für Blockfreiheit in Europa" 1984. Er hatte 1987 erste Kontakte zur Initiative Frieden und Menschenrechte. Er wirkte an dem Papier "Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" mit.

Auf der ersten Ökumenischen Versammlung (ÖV) in Dresden im Februar 1988 meinte er u. a. das antikommunistische Feindbild in der BRD mit deren Radikalenerlass und KPD-Verbot korreliere mit dem in der DDR gebräuchlichen Feindbild des Klassenkampfes. Die äußere und innere Abgrenzung sei Voraussetzung, um eine sozialistische Alternative zum westlichen Konsumkapitalismus als Überlebenschance für die Welt zu erreichen. (1) Wegen seines Auftritts bei der ÖV wurde ihm von staatlicher Seite verfassungs- und staatsfeindliche Äußerungen vorgeworfen. Er lud Freya Klier zu einer Lesung ein.

Mitinitiator der Beobachtung der Stimmenauszählung der Kommunalwahl in der DDR am 7. Mai 1989. Mitunterzeichner eines offenen Briefes im Juli 1989, indem eine grundlegende Änderung der politischen Praxis verlangt wurde.

Am 13. August 1989 rief er in der Bekenntniskirche in Berlin-Treptow zur Gründung einer oppositionellen Sammlungsbewegung zur Demokratischen Erneuerung auf. Seine Ausführungen führten beim MfS zu erhöhter Aktivität. Er wurde in der Operative Personenkontrolle "Sumpf" bearbeitet. Es wurden verstärkt IMs auf ihn angesetzt. Mehrere Gespräche auf seiner Arbeitsstelle wurden mit ihm geführt.

Auf der Veranstaltung sagte er u. a.: "Erst wurden die Produktionsmittel verstaatlicht und dann die ganze Gesellschaft. Das ist das, was wir Staatssozialismus nennen. Marx und Engels haben etwas anderes gewollt. Sie wollten die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und das Absterben des Staates. Die Verstaatlichung der Gesellschaft hat denn auch zu einer völligen Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft geführt. Das ist der eigentliche Inhalt der Propagandaformel von der 'Einheit von Partei, Staat und Volk'. Sie ist nicht, wie die andere Propaganda-Formel von der 'moralisch-politischen Einheit' glauben machen will, eine Einheit des Wollens und der Überzeugung, sondern eine herrschaftlich herbeigeführte und herrschaftlich stabilisierte Einheit."

"Eine weitere wesentliche Struktur der Abgrenzung ist die institutionalisierte Geheimhaltung. Von oben nach unten wirkende Informationsfilter verbergen den eigentlichen Prozess der politischen und ökonomischen Willens- und Entscheidungsbildung. Das, was alle angeht und betrifft bleibt geheim, ist keine öffentliche Angelegenheit, keine res publica. So gesehen ist die DDR keine Republik."

"Die Partei als selbst ernannte 'Vorhut der Arbeiterklasse' weiß alles - sie ist ja das 'Hirn der Klasse' und hat, wie es in dem wohlbekannten Lied heißt 'immer recht' Sie muss das Volk daher nicht befragen, sondern belehren. Das Volk hat das uneingeschränkte Recht, dem fraglos Richtigen begeistert und dankbar zuzustimmen. Deshalb sind Wahlen keine Wahlen, sondern ein huldigendes Bekenntnis. Das ist das Grundmuster der Entmündigung der Gesellschaft durch den 'vormundschaftlichen Staat'.

Der staatstragende Grundkonsens braucht und soll nicht ermittelt werden im gesellschaftlichen Diskurs, sondern soll erzeugt werden durch ein umfassendes System ideologischer Erziehung und Schulung, die zur Einsicht in die Richtigkeit des Handelns der Partei- und Staatsführung führen soll." (2)

Mitverfasser des "Aufruf zur Einmischung in eigener Sache". Gründungsmitglied von Demokratie Jetzt. Mitglied des Sprecherrates. Hans-Jürgen Fischbeck war Abgeordneter für das Bündnis 90 in der Berliner Stadtverordnetenversammlung und im Berliner Abgeordnetenhaus.

Als er am 22.11. hörte, die SED schlägt die Bildung eines Runden Tisches vor, war seine erstes Gefühl, das ist eine Unverfrorenheit. Seine zweites Gefühl das eines gewissen Triumphs. Kleine Leute, zu denen er sich selber zählte, hätten es geschafft, Repräsentanten der Macht zur Reaktion zu bringen. Unverfroren sei es deshalb, weil die Initiative zum Runden Tisch nicht von der SED ausging.

Im Dezember 1989 unterzeichnete er den "Appell der 89".

Am 20.12.1989 traf er neben anderen oppositionellen als Vertreter von Demokratie Jetzt mit Helmut Kohl in Dresden zusammen. Er wollte mit ihm über den drei Punkteplan von Demokratie Jetzt zur deutschen Einheit sprechen. Hans-Jürgen Fischbeck meinte, der Drei Stufenplan von Demokratie Jetzt entspreche in den Grundlinien dem Kohlschen 10-Punkteplan. Über das Treffen mit Kohl sagte er, "ich hatte den Eindruck, das war mehr eine Pflichtübung. Man konnte daran nicht vorbei, aber man glaubte eben, die haben ja keine Macht, das sind keine ernsthaften Gesprächspartner." "Und dann hat aber der Kanzler und seine Berater gesehen, dass er sozusagen selbst die Macht ergreifen konnte. Es war letztlich ein Machtvakuum, in das er richtig eingetreten ist." (3)

Unterzeichnete im Januar 1997 die "Erfurter Erklärung", in dem eine neue soziale Politik gefordert wird. Im Dezember 2001 unterzeichnete er "Wir haben es satt" von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern, in der die Politik der rot-grünen Bundesregierung kritisiert wird.

Einen Offenen Brief an Sportlerinnen, Sportler, Verbände und Sponsoren zur Teilnahme an den Olympischen Spielen in China unterschrieb er im April 2008. In im heißt es: "Auch weil sich bereits zwei deutsche Diktaturen mit den Leistungen von Sportlern schmückten, ist die öffentliche Debatte zu diesem Thema notwendig und die Teilnahme an den Spielen in Peking eine Gewissensfrage."

Im Dezember 2014 unterschrieb er den Aufruf "Pegida - Nie wieda!". Er unterschrieb eine Gemeinsame Erklärung zu Chemnitz vom 05.09.2018.

Er unterschrieb einen Offenen Brief an die Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" vom 29.05.2019. Darin wird gefordert, den Beginn der Feierlichkeiten nicht auf den 9. November, wie bisher geplant, sondern auf den 9. Oktober zu datieren.

Er unterschrieb die Offene Erklärung vom 18.08.2019 "Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf", durch die AfD.

Eine Grußadresse an die Demonstranten in Belarus unterschrieb er im September 2020.

Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 unterschrieb er die Erklärung "Hisst die ukrainische Flagge überall!"

Für ihn hatte das Anliegen, dass Wohl und Wehe der Gemeinde und der Kirche Vorrang vor einem oppositionellen Anliegen, so Hans-Jürgen Fischbeck in einem Interview. (4)

Erhielt 1997 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

(1) Klein, Thomas: "Frieden und Gerechtigkeit!" Die Politisierung der Unabhängigen Friedensbewegung in Ost-Berlin während der 80er Jahre
(2) Weigt, Gerhard: "Demokratie Jetzt" Der schwierige Weg zur deutschen Einheit
(3) Film Chronik der Wende, 20.12.1989
(4) Moritz, Torsten: "Gruppen der DDR-Opposition in Ost-Berlin - gestern und heute"

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