Gewerkschaft Wissenschaft:

Arbeitswillig, kompetent und mit sozialem Gewissen

Von Dr.-Ing. GUNTER EISELT, Vorsitzender

Sieben Wochen sind seit der außerordentlichen Delegiertenkonferenz der Gewerkschaft Wissenschaft vergangen, zwei Hauptvorstandssitzungen trafen wichtige Entscheidungen, um zu einer freien, unabhängigen, finanz- und tarifautonomen Gewerkschaft zu kommen. Und dennoch steht dem Neubeginn immer wieder eine pauschale Verdammung der Gewerkschaft gegenüber. Es ist also Zeit, Antwort auf scheinbar offene Fragen zu geben.

Wieso sind wir eine freie Gewerkschaft?

Wir sind durch das Statut frei in der Formulierung unserer Aktionsprogramme, frei im Gegenübertreten zu den Ministern, mit denen wir Tarife und Sozialpakete aushandeln wollen, frei im kooperativen Zusammenwirken mit den Partnergewerkschaften der BRD, das ein Gebot der Stunde ist. Und wir sind frei, unsere innere Struktur selbst zu finden, Fachleute anzustellen.

Inwiefern sind wir unabhängig?

Abhängigkeit ist vor allem die Abhängigkeit vom Geld. Wir erklären uns für unabhängig vom alten FDGB, für den wir nach dem "Mann mit der Axt" rufen, der den Holzblock des alten Apparates zu Bauklötzen zerschlägt, aus denen sich eine funktionsfähige Dienstleistungseinrichtung für alle Einzelgewerkschaften aufbauen lässt. Und zwar nur mit Personen, die kompetent für ihre Fachaufgaben sind, Arbeitswillen und soziales Gewissen haben. Die Unabhängigkeit ist dann vollzogen, wenn die Finanz- und Vermögensaufteilung des alten FDGB den neuen Einzelgewerkschaften den Start ermöglicht hat. Unabhängigkeit bedeutet aber auch, dass wir freiwillig unter das Dach gehen, um eine gebündelte Interessenvertretung gegenüber dem Staat und anderen Mächten zu organisieren.

Was bedeutet Finanzautonomie?

Vor allem, dass jedes Mitglied für jede Mark Beitrag, die es zahlt. Rechenschaft verlangen kann und soll. Wir verpflichten uns, dieses Geld allein für die Interessenvertretung der Mitglieder zu verwenden. Das heißt zur Durchsetzung gerechter Entlohnung im umfassenden Sinne, zur sozialen Sicherstellung von Kolleginnen und Kollegen, die von Umstrukturierung und Rationalisierung betroffen sind, und natürlich auch zur Bezahlung der hauptamtlich tätigen Gewerkschaftsfunktionäre und -angestellten. Die Entlohnung legt der 45köpfige Hauptvorstand fest.

Was heißt Tarifautonomie?

Sie bedeutet, dass wir den Anspruch erheben, für alle wissenschaftlichen Mitarbeiter, Ingenieure, Techniker aller Fachrichtungen die Tarife auszuhandeln. Das ist für die Wiederherstellung einer gerechten Wertschätzung der Geistesarbeiter bitter nötig. Wir sind sicher, dass die Tarifautonomie ein unverzichtbarer Bestandteil der neuen Gesetzlichkeit sein muss. Für unsere Mitglieder aus anderen Berufsgruppen gilt, ihnen den Tarifanschluss an ihre Muttergewerkschaft zu erstreiten, so dass z. B. ein Dreher aus einer Versuchswerkstatt der TU Dresden nah dem Tarif der IG Metall bezahlt wird.

Was ist nun neu an der Gewerkschaft Wissenschaft?

Neu ist dass die gefundenen Organisationsstrukturen Gewähr dafür bieten, dass die Funktionäre kompetent handeln. Möglich wir das, weil in den Geschäftsstellen vorrangig Arbeits-, Tarif- und Sozialrechtler arbeiten werden. Neu ist der absolute Grundsatz demokratischer Entscheidungsfindung auf allen Gewerkschaftsebenen. Die Gewerkschafter einer Einrichtung bestimmen selbst die Wahlgesetzlichkeit, die Struktur und den Umfang ihrer Gewerkschaftsvertretungen. Neu ist, dass sich die Gewerkschaft Wissenschaft durch Präsenz in den Medien öffentlich artikulieren will. Und neu ist auch. dass wir es als eine vorrangige Aufgabe betrachten, uns Fachkenntnisse in der Gewerkschaftsarbeit zu verschaffen, wobei uns die Erfahrungen und Hilfen der Gewerkschafter aus dem europäischen Ausland wertvoll sind. - Insofern ist die neue Gewerkschaft Wissenschaft stark genug, um zum anerkannten Partner zu werden etwas; was wir auf dem Weg in die deutsche Einheit unbedingt brauchen.

Tribüne, Ausgabe 59, 46. Jahrgang, Fr. 23.03.1990

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