Anfang ohne Scheuklappen

Über Sie kursieren viele Gerüchte. Vielleicht können wir zwei auf den Grund gehen? Sie sollen jetzt schießen gelernt haben?

Sie werden wissen, dass die Minister der Regierung unter Personenschutz stehen Das heißt, ich fahre in einem Auto, das wie ein Knast ist. Ausgesucht habe ich mir das nicht. Nun habe ich aber auch Familie . . . Man hat mir gesagt Sie können die Möglichkeit bekommen - mit zwei zugedrückten Augen -, ab und zu allein mit dem eigenen Auto zu fahren, mit der Frau Pilze suchen zu gehen. Dafür müssen Sie aber eine Waffe haben. So bekam ich eine Pistole, die kleinste Walter. Sie ist mir einmal erklärt worden. Acht Schüsse gab ich aus ihr ab und hoffe, dass es dabei bleibt.

Zweitens - wollen Sie mit Ihrem Umzug in ein staatliches Haus vom Berliner zum Karolinenhofer werden?

Ich wohnte in einer 6-Zimmer-Pfarrdienstwohnung. Die musste ich verlassen, der Nachfolger will einziehen. Nun hatte ich die Möglichkeit - wir sind sechs Personen -, in eine 7 Zimmer Wohnung auf der Fischerinsel zu ziehen oder in ein Haus in Korolinenhof. Ich weiß nicht, wie Sie gewählt hätten. Kaufen will ich das Haus nicht. Es sollte Volkseigentum bleiben. Die Miete steht noch nicht genau fest. Sie soll bei 500 Mark liegen. Übrigens: wenn ich das Haus nicht genommen hätte, hätte es ein DDR-Unterhaltungskünstler für seine Tochter gekauft.

Sie sind militärischer Laie. Erleben Sie das als Mangel, oder ist das für die NVA auch die Chance eines Neubeginns ohne Scheuklappen?

Ich sehe das schon als eine Chance. Bestimmte Dinge brauche ich nicht zu machen, weil ich kein Militär bin. Ich kann ein bisschen laxer, freundlicher sein. Für meinen Eindruck habe ich damit schon etwas mehr Wärme und Nähe in diese Ministerium gebracht.

Sie versuchen aber doch recht angestrengt, das Manko an militärischem Fachwissen abzubauen.

Verantwortlich bin ich für einen ganz bestimmten Bereich der Politik in unserem Land und möchte mich nicht nur auf den Rat gediegener Fachleute verlassen, sondern mir selber ein größeres Maß an Urteilsfähigkeit bilden. Mein erster Besuch galt deshalb kürzlich den Landstreitkräften, andere werden folgen.

In den 60er Jahren haben Sie selbst den Waffendienst abgelehnt, heute sind Sie ein Fürsprecher. Können Sie sich das moralisch leisten?

Befürworter des Waffendienstes bin ich nicht. Für die Zeit, in der es noch Armeen gibt, bin ich unter den Bedingungen, wie wir sie gegenwärtig In der DDR und Europo haben, für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Ich stehe zu dem, was ich Mitte der 60er gemacht habe. Unter ähnlichen Bedingungen würde ich mich wieder genauso entscheiden. Doch die Situation war eine andere. Heute haben wir erste Abrüstungsverhandlungen, es gibt weniger Waffen in Europa als noch vor zwei oder drei Jahren. Die Kriegsgefahr - zumindest zwischen NATO und Warschauer Vertrag - ist sehr viel geringer. Als ich den Waffendienst verweigerte, bedeutete dass: kein Studium, berufliche Nachteile. Der junge Mann,. der heute vor die Frage gestellt wird, kann sich ohne jede Angst zwischen Armee- oder Zivildienst entscheiden. Damit haben wir heute schon eine Freiwilligenarme. Mir ist eine Armee lieber, in der für 12 Monate Bürger drin sind und nicht nur Berufssoldaten.

Wollen Sie die Forderung "Du sollst nicht töten" als Pazifist jetzt auf einer andern Ebene erfüllen?

Die Forderung gilt für mich noch immer.

Wie wollen Sie als Minister dieses Gebot durchsetzen helfen?

Indem ein Mensch in meinem Verantwortungsbereich möglichst nie gezwungen sein wird, zu töten.

Für Gerechtigkeit zwischen Wehr- und Zivildienst haben Sie sich ausgesprochen. Es soll aber auch Überlegungen zur Verlängerung des Zivildienstes geben  . . .

. . . eine zeitliche Hochsetzung des Zivildienstes wird es mit meinem Einverständnis nicht geben. Wir sind aber dabei zu überlegen, Bevorzugungen der Zivildienstleistenden abzubauen. Sie dürfen nicht mehr als Wehrpflichtige verdienen, sollten in keinem Fall in ihren alten Betrieben arbeiten. Zivildienst muss eine Gewissensentscheidung sein.

Es gibt auch eine kleine Schar von Totalverweigeren. Sind die Ihnen nun ein Dorn im Auge?

Noch nie ist mir ein Mensch ein Dorn im Auge gewesen, den aus Gewissensgründen handelt. Ich würde die Totalverweigerer fragen wollen, ob sie das noch aus Liebe zur Tradition oder zu einer früher gefassten Entscheidung tun; ob ihre Entscheidung unter neuen gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR immer noch dieselbe ist.


Ich selber habe dieses Amt für Abrüstung und Verteidigung nicht übernommen, weil ich unbedingt Minister werden wollte, sondern weil ich es für eine logische Fortsetzung dessen halte, was mir in den letzten 20 Jahren wichtig gewesen ist.
Rainer Eppelmann


Sie haben sich, konsequent dagegen ausgesprochen, im Warschauer Vertrag zu bleiben, andererseits wollen Sie die politische Flanke dieses Bündnisses stärken. Was ist nun richtig?

Ich habe gesagt, dass ich mir auf Dauer eine Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zum Warschauer Vertrag nicht vorstellen kann. Das wäre politisch gar nicht durchsetzbar. Doch da bin ich jetzt Fragender, der laut denkt: Wir sind am Anfang entscheidender 2+4-Gespräche. Es gibt keinen, der ein Konzept hat, zu dem die Bundesdeutschen, die Polen, die Tschechen, die Niederländer, die Amerikaner und die Sowjetunion gleichermaßen ja sagen können. Wir sind in diene bedrängende Situation gekommen, weil sich nicht einhalten lässt, was viele hofften - die deutsche Einheit mit dem europäischen Prozess zeitlich zusammenzubinden. Die Schere wird immer größer. Lösungen für die Zwischenzeit müssen gefunden werden. Mir geht es um dreierlei: den Willen der DDR-Bevölkerung noch der Einheit umzusetzen. Das muss wachsen.

Aber ich sage hier wachsen, nicht wuchern. Da bin ich an bestimmten Stellen ein Bremser, auch gegen Herrn Kohl. Zweitens muss die deutsche Einigung die europäische unterstützen, nicht behindern. Drittens wäre es für mich eine absolute Katastrophe, wenn die Sowjetunion bei diesem Europa draußen vor bleibt.

Wie muss sich die NATO verändern, damit eine Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands zur Debatte steht?

Selbst bei NATO-Hardlinern setzt sich ja die Erkenntnis durch, dass sich der Warschauer Vertrag verändert hat. Große Manöver sind abgesetzt worden. Selbst der so verschriene Kohl hat bei einem Manöver gesagt: Feierabend, hier mache ich nicht mehr mit, ich schau nicht zu, wo ein Atomschlag in Europa geübt wird. Manchmal ist er besser als sein Ruf. Verändern müssen sich in der NATO Strategien, Struktur, Bewaffnung, Mannschaftsstärke.

Wäre ein Erfolg bei den Wiener Verhandlungen ein Schritt in diese Richtung?

Das hätte durchschlagende Konsequenzen. Die vereinbarten Stärken von 195 000 Mann würden zur Veränderung der gesamten Verteidigungsstruktur in der BRD führen. Doch da bremst derzeit die Sowjetunion, weil sie von vereinbarten Höchstgrenzen zwischen NATO und Warschauer Vertrag ausgeht. Diese Grenzen sieht sie wegschwimmen. Die Ungarn geben zu verstehen, eigentlich möchten wir raus. Die Tschechen wollen stornieren. Und unsere Rolle, das weiß die Sowjetunion auch, ist nach Tagen zu zählen. Wenn sie bei den Obergrenzen bleiben will, müsste für jeden aussteigenden verbündeten Soldaten dann in der UdSSR ein neuer aufgestellt werden. Wir haben uns den politischen und militärischen Veränderungen zu stellen, nur dann hat der Warschauer Vertrag noch eine Berechtigung, eine Chance, weiter existieren.

Was ist aus den drei Obersten geworden, die in einem von JW veröffentlichen Brief an Minister Stoltenberg über den Einmarsch der Bundeswehr nachgedacht? Die Existenz dieses Briefes hatten Sie auf einer internationalen Pressekonferenz ja zunächst bestritten.

Alle drei sind aus der NVA entfernt worden. Wenn ich richtig informiert bin, gehen zwei von ihnen inzwischen zivilen gerufen nach. Einer soll - das ist noch nicht bestätigt - in Goslar leben.


Mehr als einmal gab es in den zurückliegenden Wochen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Jungen Welt und Minister Eppelmann. Über kritische Berichterstattung unserer Zeitung war Eppelmann sauer. Das eine Mal wollte er die Auslieferung unteres Blattes verhindern, das andere Mal warf er uns vor, wir hätten Stil und Richtung verloren und wollten mit der NVA einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft demontieren. Wer aufmerksam die Junge Welt liest, weiß, dass dem nicht so ist. Unsere Mitarbeiter Uwe Sattler und Bernd Verter haben deshalb den vielbeschäftigten Minister für ein Gespräch gewonnen. Rainer Eppelmann (47) ist erklärter Pazifist, verweigerte in den 60er Jahren den Dienst mit der Waffe und will heute die NVA im europäischen Rahmen schrittweise abrüsten.

Junge Welt, Nr. 121, Sonnabend/Sonntag, 26./27. Mai 1990

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