Bonn. dpa/BZ Die rasche Vereinigung der Deutschen soll an Meinungsverschiedenheiten über die künftige Bündniszugehörigkeit Gesamtdeutschlands nicht scheitern. Darauf haben sich die Außenminister der ehemaligen vier Siegermächte und ihre beiden deutschen Amtskollegen auf dem ersten Treffen Im Rahmen der "2+4"-Gespräche am Wochenende in Bonn verständigt.

Das entscheidende Signal kam vom sowjetischen Ressortchef Schewardnadse: Er schlug auf der Konferenz eine zeitliche Entkoppelung beim inneren und äußeren Vollzug der deutschen Einigung vor.

Nach den Worten von BRD-Außenminister Genscher hat Schewardnadse mit dieser deutlichen Unterscheidung zwischen der inneren und äußeren Regelung das Recht der Deutschen auf Vereinigung noch einmal bestätigt. Sein sowjetischer Amtskollege habe damit auch den Gedanken einer Übergangsperiode für die äußeren Folgen der Einheit eingebracht, erklärte Genscher.

Er machte deutlich, die Bundesregierung strebe nach wie vor das Ziel an, eine "abschließende völkerrechtliche Regelung und die Ablösung der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten zu erreichen". Dabei wurden die künftigen Sicherheitsstrukturen in Europa, die Abrüstung und die Vertiefung und Institutionalisierung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) eine entscheidende Rolle spielen.

Schewardnadse hatte in seiner Eröffnungserklärung vor seinen fünf Amtskollegen eine NATO-Mitgliedschaft ganz Deutschlands noch einmal abgelehnt. Er fügte dann aber hinzu: "Nach unseren Vorstellungen braucht die Regelung der inneren und äußeren Aspekte der deutschen Einheit nicht unbedingt zusammenzufallen, muss nicht innerhalb ein und derselben Übergangperiode vollzogen werden."

Von westlicher Seite, die bislang auf parallele Vereinbarungen bei der inneren und äußeren Einheit gedrängt hatten, wurde dieser überraschende Vorstoß positiv aufgenommen. Alle Teilnehmer zeigten sich nach den siebenstündigen Beratungen mit den Ergebnissen des ersten Treffens sehr zufrieden. In der Abschlusserklärung war von einer "konstruktiven und vertrauensvollen Atmosphäre" mit dem Willen zur Verständigung die Rede.

Konkret vereinbart wurde der weitere Fahrplan für die Konferenz sowie die Einbeziehung Polens bei der Festschreibung der Westgrenze. Vorgesehen sind insgesamt sechs Sitzungen. Auf dem nächsten Treffen im Juni in Ostberlin soll über politisch-militärische Fragen sowie Ansätze gemeinsamer Sicherheitsstrukturen in Europa gesprochen werden. Beim dritten Treffen in Paris im Juli soll über die Grenzfrage gesprochen werden. Dazu wurde Warschaus Außenminister Skubiszewski eingeladen. Im September ist eine Sitzung in Moskau geplant. Die beiden weiteren Treffen sollen in nächsten Tagen festgelegt werden.

BRD-Kanzler Kohl bezeichnete das Treffen als "historisches Ereignis für Deutschland und Europa".

Berliner Zeitung, Nr. 105, 46. Jahrgang, Mo. 07.05.1990

Bonn. ADN/BZ Mit der ersten Außenministerrunde im Rahmen der "2+4"-Verhandlungen sind Sonnabend in Bonn nun auch die außenpolitischen Aspekte der deutschen Vereinigung auf den Weg gebracht worden.

Während sich in den Grundsatzerklärungen bereits weitgehende Übereinstimmung darüber abzeichnete, die mit der Vereinigung verbundenen sicherheitspolitischen Fragen weitestgehend im gesamteuropäischen Kontext weiterzuverhandeln, blieb die Bündniszugehörigkeit des künftigen geeinten Deutschlands erwartungsgemäß nach wie vor umstritten.

Einig war man sich nach siebenstündigen Debatten auch darin, dass, wie es US-Außenminister Baker formulierte, die vier Mächte ihre Verantwortung dann voll erfüllt haben, wenn ein vereintes und demokratisches Deutschland in völkerrechtlich allgemein anerkannten Grenzen existiert, das die Territorien der heutigen Bundesrepublik und der DDR einschließlich Berlins umfasst, "nicht mehr, aber auch nicht weniger". Als erster Redner unterstrich Genscher den Willen der Bundesregierung zum friedlichen Ausgleich und zur endgültigen Festlegung der polnischen Westgrenze. Genscher, der als Gastgeber die Sitzung leitete, betonte, die Deutschen wollten aufgrund des in der Schlussakte von Helsinki verankerten Selbstbestimmungsrechts selbst über ihre Vereinigung bestimmen. Niemand dürfe von außen in diesen Prozess eingreifen.

Nach den Worten von US-Außenminister Baker sollen die "2 + 4"-Gespräche zu einem "Pakt der Aussöhnung" führen. Er ging auf eine gesamtdeutsche NATO-Mitgliedschaft nicht direkt ein, sondern sagte lediglich, ein vereinigtes Deutschland dürfe "nicht singularisiert" werden. Sein französischer Amtskollege Dumas meinte, es sei allein Sache der Deutschen, über ihre künftige Bündniszugehörigkeit zu entscheiden. Für Paris sei die Zugehörigkeit Deutschlands zur westlichen Allianz keine Vorbedingung für die Einheit.

Der britische Außenminister Hurd sprach sich dafür aus, die deutsche Einheit "in einer ordentlichen Art und Weise und so rasch wie möglich im Rahmen eines geeinten Europas" zu vollenden. Es müsse ein "Schlussstrich unter den letzten Weltkrieg" gezogen werden.

Schewardnadse, der auf der anschließenden Pressekonferenz den kalten Krieg für beendet erklärte, warb bei seinen Amtskollegen nach einmal für Verständnis bei der sowjetischen Ablehnung einer gesamtdeutschen NATO-Mitgliedschaft. Sie sei mit sowjetischen Sicherheitsinteressen unvereinbar. Ausdrücklich sprach sich Schewardnadse für die Schaffung eines gesamteuropäischen Zentrums für die Verhinderung militärischer Konflikte mit Sitz in Deutschland aus.

DDR-Außenminister Meckel sagte in seiner Erklärung, der deutsche Einigungsprozess müsse so angelegt sein, dass er das nunmehr mögliche Zusammenwachsen Europas fördere und nicht behindere. Die neue DDR trete für eine berechenbare, von der Internationalen Staatengemeinschaft akzeptierte und geförderte Vereinigung der Deutschen ein. Nach Meckels Ansicht sollte ein vereinigtes Deutschland zunächst der NATO angehören. Deren militärische Strukturen dürften aber nicht auf das Gebiet der heutigen DDR ausgedehnt werden. Außerdem müsse die NATO ihre Strategie, ihre militärischen Aufgaben und ihr Verhältnis gegenüber ihren östlichen Nachbarn ändern.

Berliner Zeitung, Nr. 105, 46. Jahrgang, Mo. 07.05.1990

Nach siebenstündiger Beratung haben die Außenminister der beiden deutschen Staaten und der vier Siegermächte des zweiten Weltkrieges in der positiven Bewertung ihrer ersten Verhandlungsrunde beinahe wörtlich übereingestimmt. Der Auftakt der 2-plus-4-Gespräche, so betonten sie am Sonnabend auf einer Pressekonferenz vor mehreren hundert Journalisten aus aller Welt, sei ein historischer Tag für Deutschland und in der europäischen Nachkriegsentwicklung:

Mit dem Beginn der Verhandlungen sei das Ende des kalten Krieges - eingeleitet worden. Deutlich wurde auch die gemeinsame Absicht, die außenpolitischen Probleme der Vereinigung beider deutscher Staaten im gesamteuropäischen Sicherheitskonzept weiter zu behandeln.

Wie zu erwarten war, präzisierten sich zugleich die grundsätzlich unterschiedlichen Positionen in der Frage der künftigen Bündniszugehörigkeit eines vereinigten Deutschland. Eine NATO-Mitgliedschaft berühre elementare Sicherheitsinteressen der UdSSR auf gefährliche Weise und störe das Gleichgewicht, erklärte Eduard Schewardnadse. Große Resonanz fand zugleich seine Feststellung, dass "die Lösung der inneren und äußeren Aspekte der deutschen Einheit nicht unbedingt zeitlich zusammenfallen und innerhalb ein und derselben Übergangsperiode abgeschlossen werden".

USA-Außenminister James Baker unterstrich unterdessen seinerseits die Notwendigkeit, die verbliebenen Sonderrechte der vier Siegermächte über Deutschland als Ganzes aufzuheben. Einigkeit zeigten die Verhandlungspartner hinsichtlich der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Bei der Zusammenkunft der Außenminister im Juli in Paris - zuvor wird es ein solches Treffen im Juni in Berlin und dann eines im September in Moskau geben - soll die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung dieser Grenze in Anwesenheit des polnischen Außenministers behandelt werden. Diesen Vorschlag überbrachte Baker seinem Amtskollegen Krzysztof Skubiszewski am Sonntag. Skubiszewski, so Baker bei seinem Besuch in Warschau, könne natürlich auch andere Polen interessierende Fragen anschneiden.

Auch DDR-Außenminister Markus Meckel hatte den Vorschlag Warschaus unterstützt, mit beiden deutschen Staaten einen Grenzvertrag zu paraphieren und diesen durch einen gesamtdeutschen Souverän zu ratifizieren. Er nannte den Tag in Bonn einen "großen Tag für Deutschland und einen großen Tag für Europa".

Neues Deutschland, Mo. 07.05.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 105

Die Minister einigten sich auf die Tagesordnung für die 2-plus-4-Gespräche:

– Grenzfragen;

– politisch-militärische Fragen unter Berücksichtigung von Ansätzen geeigneter Sicherheitsstrukturen in Europa;

– Berlin-Probleme;

– Abschließende Völkerrechtliche Regelung und Ablösung der 4-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten.

Die Forderung nach einem eigenen Tagesordnungspunkt Friedensvertrag wird von der Sowjetunion fallengelassen.

Eine "Synchronisation des deutschen Einigungsprozesses mit der Entwicklung neuer Sicherheitsstrukturen in Europa", wie von Sowjetunion gewünscht, wurde vermieden. Es wird ein unbegrenztes Hinauszögern der deutschen Vereinigung und der massiven Einschränkung seiner Souveränität wird befürchtet.

Link zur Abschlusserklärung 2+4 Gespräche in Bonn

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