BA Exklusivinterview mit Finanzminister Dr. Walter Romberg

Es kann nicht sein, dass die Sparer draufzahlen

DDR-Politiker fordert: Darüber muss weiter verhandelt werden / Zuschläge für Löhne und Gehälter auch bei 1:1-Umtausch unumgänglich / Wie soll es mit den Subventionen weitergehen? / Überlegungen zu den künftigen Mieten

BA: Das Bonner Verhandlungsangebot zur Währungsunion bewegt die Gemüter in Ost und West. Es ist von den DDR-Bürgern mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen worden. Sollen jetzt die Sparer draufzahlen, und was wird mit dem Ausgleich für wegfallende Preissubventionen?

Dr. Romberg: Ihre Frage ist berechtigt, ob die Sparer jetzt draufzahlen sollen. Darüber muss verhandelt werden, und ich bin überzeugt, an diesem Punkt gibt es auch Spielräume.

Die Rentner, die oft in einem langen Arbeitsleben ihre Ersparnisse gesammelt haben und vielleicht nicht mehr lange Zeit haben, diese Ersparnisse zu nutzen, sollten doch anders behandelt werden als Menschen, die im Arbeitsleben stehen. Die haben jetzt die Möglichkeit, harte Währung durch eigene Leistung zu verdienen.

Und man kann sich vorstellen, dass auch eine Umbewertung im Verhältnis 1:1 für Beträge über 4 000 Mark möglich ist, wenn sie längerfristig angelegt und erst zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden.

BA: Und die Ausgleichzahlungen?

Dr. Romberg: Wir wissen noch nicht, wie wir mit Subventionen umgehen können. Sicher ist, dass Löhne und Gehälter im Verhältnis 1:1 bei den jetzigen Einkommen nicht aus reichen werden. Auf jeden Fall sind Zuschläge notwendig.

Wir müssen die Subventionen neu verteilen. Wie viel wir zu verteilen haben, hängt von dem Finanzausgleich ab, der zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR aus gehandelt wird.

Schutzmaßnahmen für Industriebereiche?

BA: Im Gegensatz zum Wirtschaftsminister fordern Sie bei der Währungsunion Schutzmaßnahmen für bestimmte Industriebereiche. An welche denken Sie besonders, und wie kann das geschehen?

Dr. Romberg: Ich sehe verschiedene Möglichkeiten. Man dann der Industrie zur Sanierung zinsgünstige Kredite und eventuell auch dem Mandel besondere Unterstützung geben. Es besteht auch die Vorstellung, dass in einer Übergangsphase Subventionen gezahlt werden, deren zweckgebundener Einsatz klar abrechenbar und kontrollierbar sein muss.

BA: Ein Wort zur wirtschaftlichen Situation.

Dr. Romberg: Wir sind im Augenblick noch einmal dabei, eine Bewertung der Kombinate bezüglich ihrer Arbeitsproduktivität, Rentabilität und Marktfähigkeit unter Bedingungen des EG-Marktes vorzunehmen. Es gibt offensichtlich einen Teil von Betrieben, etwa 30 Prozent, die ohne allzu große Unterstützung relativ schnell in der Lage sein werden, sich dem Wettbewerb, der auf uns zukommt, zu stellen und sich dabei auch durchzusetzen. Ich denke beispielsweise an einen Teil des Maschinenbaus.

Für andere Bereiche, hier muss man etwa von annähernd 50 Prozent ausgehen, müssen wir mit beträchtlichem Aufwand und über eine längere Zeit unterstützende Anpassungsformen finden. Dies betrifft zu einem Teil zum Beispiel die Landwirtschaft und auch die Leichtindustrie.

Und schließlich gibt es Industriezweige, in denen eine Sanierung weder wirtschaftlich noch sozial und politisch vertretbar ist. Dazu gehört ein Teil unserer sehr veralteten Chemieindustrie.

BA: 14 Tage üben Sie Ihr Amt aus - was haben Sie vorgefunden?

Dr. Romberg: Vorgefunden habe ich vor allem eine Reihe von sehr unterstützungsbereiten Mitarbeitern, die zu einem großen Teil durch ihre langjährige Tätigkeit in diesem Ministerium über reiche Erfahrungen verfügen.

Was die Lage betritt, die mich erwartete, kann ich nur soviel sagen; Ich muss sie weiter analysieren, wobei in Rechnung in stellen ist, dass sie sich ständig verändert und die Probleme zunehmen.

BA: Zum Beispiel?

Dr. Romberg: Es gibt zunehmend Betriebe und Kombinate, die ihre Abführungen an die zentralen Fonds, an den Staatshaushalt nicht in der gesetzlich festgelegten Höhe vornehmen. Auf der anderen Seite haben wir es mit einem starken Zustrom von Waren aus der Bundesrepublik zu tun, woraus sich Preisprobleme ergeben und nicht nur die.

Ich verstehe sehr gut, dass ein Käufer,wenn er zwischen verschiedenen Waren auswählen kann, danach greift, was seinen Vorstellungen und Wünschen am nächsten kommt. Doch sich ausschließlich für westliche Erzeugnisse zu entscheiden, darüber bitte ich sehr herzlich auch ihre Leser einmal nachzudenken, das schwächt die eigenen Betriebe und gefährdet Arbeitsplätze.

BA: Wie stabil sind unsere Staatsfinanzen, und woraus werden sie derzeit vor allem gespeist?

Dr. Romberg: Natürlich haben wir im Augenblick keinen festen Staatshaushalt, aber aufgrund der Voranschläge feste Rahmenbedingungen.

Generell werden diese Fonds gegenwärtig wie auch in den früheren Jahren von den Kombinaten, VEB und der Landwirtschaft gespeist, das heißt, sie werden erwirtschaftet. Und wir stehen nicht, wie ich schon mehr fach gesagt habe, etwa am Rande des Staatsbankrotts, was zuweilen behauptet wird. Unsere Handlungsfähigkeit ist gegeben.

BA: Der Vorschlag zum 90er Haushalt geht davon aus, dass alle sozialen Versorgungs- und Betreuungsleistungen des Staates gegenüber der Bevölkerung finanziell abgesichert werden. Womit lässt sich das belegen?

Dr. Romberg: Wir sind gegenwärtig dabei, jenen Betriebsleitungen, die offensichtlich auf Sozialleistungen in Betrieben verzichten wollen, klar machen, dass die dafür benötigten Subventionen nach wie vor vom Staat bezahlt werden Das betrifft u. a. betriebliche Kinderkrippen und -gärten sowie Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens.

"Zweite Lohntüte" nicht mehr aktuell

BA: Wie auch immer: Sparsame Haushaltführung ist angesagt, was wird also mit den Subventionen, der früher oft zitierten "zweiten Lohntüte"?

Dr. Romberg: Meine Vorstellung ist, dass wir die Subventionen schrittweise abbauen. Und das sicher in unterschiedlichen Bereichen. Ich denke, dass es etwa auf dem Gebiet der Energie nicht kurzfristig sondern mittelfristig geschieht, bei der Stützung von Lebensmittelpreisen dagegen relativ schnell. Subventionen, die bislang sehr intensiv für das Verkehrswesen eingesetzt wurden, müssen ebenfalls Schritt um Schritt reduziert werden.

Das gleiche gilt natürlich auch im Prinzip für das Wohnungswesen, für die Mieten, aber hier sind die Vorstellungen noch nicht ausgereift. Es gibt zum Teil die Überlegung, dass einkommensgebundene Mietzuschläge gezahlt, bzw. Mietablässe gewährt werden. Das heißt also, dass die Wohnungsmieten in gewissem Maße abhängig sein werden von dem Einkommen, das man bezieht.

BA: Müssen wir schon in diesem Jahr mit höheren Mieten rechnen?

Dr. Romberg: Die Frage ist noch nicht entschieden. Doch wir müssen natürlich zügig, zwar nicht auf kostendeckende Mieten, wohl aber auf eine angemessenere Form der Mietpreise zugehen.

BA: Also nicht alles auf einmal, ist dieser Eindruck richtig?

Dr. Romberg: Absolut richtig. Wenn wir in die Währungsunion, Wirtschaftgemeinschaft und Sozialunion hineingehen, müssen wir genügend Garantien für die Menschen haben. Es liegt doch im Interesse einer wirtschaftlichen und damit sozialen und schließlich politischen Stabilität, dass die Verhältnisse nicht abrupt um gekippt werden. Der vor uns stehende außerordentlich komplizierte Prozess ist sozial abzufedern. Und eines dieser Mittel dafür stellt die Fortführung von Subventionen dar, wenn auch mit schrittweiser Reduzierung.

BA: Soll das bis Jahresende abgeschlossen werden?

Dr. Romberg: Das denke ich nicht.

BA: Man kann davon ausgehen, dass es neue Steuergesetze geben wird. Welche?

Dr. Romberg: Die neue Steuergesetzgebung, die mit der sozialen Marktwirtschaft einzuführen ist, wird sich weitreichend von der gegenwärtigen unterscheiden. Mit dem Tag der Währungsunion werden z. B. Verbrauchs-, Mehrwert- und Umsatzsteuern zu Grundlagen unseres Steuersystems werden, das dann schrittweise ausgestaltet wird. Wichtig ist, dass die Einführung der neuen Steuergesetzgebung für die Bevölkerung klar und übersichtlich geschieht. Für die Menschen in unserem Land beginnt damit ja ein neuer Umgang mit dem Geld Steuerberater sind gefragt und vor allem Öffentlichkeitsarbeit zu Steuerproblemen.

BA: Trügt der Eindruck oder haben Steuersünder derzeit bei uns gute Zeiten?

Dr. Romberg: Das ist wirklich ein Problem, wenn man an die Gewerbesteuer denkt. Es gibt eine Menge fliegender Händler, nicht nur ins der DDR. Hier wird in der Tat gegenwärtig zu großzügig verfahren. Es sind jedoch bereits Überlegungen im Gange, wie man zu einer stärkeren Steuerdisziplin kommen kann.

BA: Eine begrenzte Aufnahme von Krediten, so hört man, ist nicht zu umgehen. Wofür sollen sie eingesetzt werden?

Dr. Romberg: Vor allem dafür, um den Staatshaushalt auszugleichen.

Steuergelder an Städte und Gemeinden

BA: Größere Rechte für die Kommunen, heißt das auch mehr Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden aus Betrieben?

Dr. Romberg: Vieles von dem was künftig im Ort, etwa für das Gesundheitswesen, der Sport oder der Kultur getan wird, soll mit aus den Steuerzahlungen der Betriebe finanziert werden.

BA: Es gehört zu den Kriterien der sozialen Marktwirtschaft, dass sich die Preise nach Angebot und Nachfrage einpendeln. Hat Ihr Ministerium künftig überhaupt noch Einfluss auf Preise?

Dr. Romberg: Natürlich entfällt generell ihre zentrale Festsetzung, die sich in der Vergangenheit wettbewerbs- und leistungshemmend erwiesen hat. Dennoch wird es auf bestimmten Gebieten weiter Preis- und Höchstpreisfestsetzungen geben.

BA: Auf welchen Gebieten?

Dr. Romberg: Zum Beispiel im Verkehrswesen. Überall dort, wo Subventionen ins Spiel kommen. Übrigens, werden auch in anderen Ländern mit Marktwirtschaft staatliche Subventionen gezahlt, wie etwa in der Bundesrepublik in der Werftindustrie oder in der Landwirtschaft.

BA: Denkt die Regierung daran, Geld zu drucken?

Dr. Romberg: Nein.

BA: Wer ist in Ihrer Familie "Finanzminister"?

Dr. Romberg: Meine Frau.

BA: Geht der promovierte Mathematiker Walter Romberg gern mit Geld um?

Dr. Romberg: Ich eigentlich kein besonderes Verhältnis zu Geld.

Das Gespräch führte Bodo Rehboldt

Berliner Allgemeine, Nr. 72, Fr. 27.04.1990

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