DDR 1989/90 Brandenburger Tor


DDR-Ministerpräsident Hans Modrow gab nach seinen Beratungen mit der Bundesregierung in Bonn am 20. Februar 1990 vor der Volkskammer folgende Regierungserklärung ab:

Das Treffen war die erste offizielle Beratung der Regierungen beider Staaten über Grundfragen der Vereinigung von DDR und BRD. Damit ist diese Begegnung inhaltlich über das Arbeitstreffen in Dresden hinausgegangen. Sie hat gezeigt, dass die Lösung der Deutschen Frage auf die Tagesordnung gerückt ist. Sie hat in diesem Zusammenhang die teils unterschiedlichen, teils übereinstimmenden Standpunkte beider Regierungen deutlich gemacht.

Zugleich wurde ein Arbeitsprozess zur Klärung einer Hauptsache für das Zusammenführen der zwei Staaten eingeleitet. Heute beginnen Experten beider Seiten mit der Erörterung der Probleme, die speziell für eine Währungsunion zu lösen sind. Damit sollen bereits wichtige Vorarbeiten für die Zeit nach dem 18. März geleistet werden. So wird Erwartungen breiter Kreise der Bevölkerung in beiden Staaten entsprochen.

In Bonn war unsere Regierung der nationalen Verantwortung repräsentativ vertreten. Der Delegation der DDR gehörten Minister aus allen 13 Parteien an, die jetzt das Kabinett bilden. Sie alle haben zum Ergebnis dieses Arbeitstreffens beigetragen. Sie konnten eine solche konstruktive Arbeit leisten, weil es einen gemeinsamen Standpunkt gab. Das waren die Positionen, die der "Runde Tisch" am 12. Februar für das Bonner Treffen beschlossen hatte und dieser Grundhaltung der Regierung entsprach.

Ich habe diese Position bereits bei dem einleitenden Gespräch dem Bundeskanzler übergeben und dazu betont, es gibt eine bemerkenswerte, unbedingt zu beachtende Übereinstimmung der politischen Kräfte in der DDR zu Grundfragen der Vereinigung - was sich übrigens auch gestern am "Runden Tisch" erneut bestätigt hat.

Die Mitglieder der Regierungsdelegation haben ebenso wie ich in Bonn deutlich gemacht, dass Vorarbeiten für die Lösung der Deutschen Frage bereits jetzt geleistet werden können und geleistet werden sollten. Die eigentlichen Entscheidungen für die DDR können jedoch nur durch die neue Volkskammer getroffen werden, die am 18. März gewählt wird, und durch die von ihr zu wählende Regierung.

Übereinstimmung ergab sich in Bonn mit der Regierung der BRD, was das außenpolitische Umfeld betrifft, in dem Punkt: Der Prozess der Vereinigung darf gesamteuropäischen Interessen nicht zuwiderlaufen. Er muss vielmehr in nationaler und internationaler Verantwortung vollzogen werden. Er muss ein Weg in Europa und für Europa sein, muss dem Frieden dienen, darf niemanden bedrohen. Eben deshalb ist es zu bedauern, dass Bundeskanzler Kohl sich nicht zu einem klaren Wort der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze entschließen konnte, obwohl er in der Pressekonferenz faktisch dazu aufgefordert wurde. Im Namen der Regierung der DDR wiederhole ich, was ich dieser Tage auch in Warschau gesagt habe: Die Oder-Neiße-Grenze ist die völkerrechtlich festgeschriebene Westgrenze Polens. Sie ist die heutige Ostgrenze der DDR und muss die künftige Ostgrenze Deutschlands sein. Im Vertrag von Görlitz und Zgorzelec ist diese Grenze zwischen der DDR und Polen 1950 festgelegt worden, und sie ist im Warschauer Vertrag zwischen der BRD und Polen 1970 anerkannt worden.

Mit dem Wort, von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, verbinden unsere polnischen Nachbarn gerade die Anerkennung ihrer Westgrenze an Oder und Neiße. In Ottawa wurde in der vergangenen Woche der Plan einer Konferenz 4 plus 2, das heißt der vier Mächte und der beiden deutschen Staaten, vereinbart. Diese Konferenz hat das Mandat, über die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit einschließlich der Frage der Sicherheit der Nachbarstaaten zu beraten. So können Interessen und Verantwortung der vier Mächte wie der DDR und der BRD gegenüber dem europäischen Einigungsprozess berücksichtigt werden. Bundeskanzler Kohl hat mir ausdrücklich zugestimmt, dass man vernünftig aufeinander zugehen müsse. Die in Ottawa vereinbarte Konferenz kann das für den internationalen Rahmen auch wesentlich erleichtern.

Ausgehend von diesen Überlegungen schlage ich deshalb vor, und ich weiß, dass ich damit über den meiner Regierung gesetzten Zeithorizont hinausgehe:

1. Experten beider deutscher Staaten beginnen so schnell wie möglich mit der Vorbereitung der Konferenz 4 plus 2. Ebenfalls kurzfristig, eventuell sogar parallel zu den deutsch-deutschen Verhandlungen sollten die Vorbereitungen für das KSZE-Gipfeltreffen aufgenommen werden, um diese Prozesse möglichst frühzeitig zu synchronisieren. Die DDR und die BRD tragen gemeinsam dazu bei, dass von diesem Treffen politische Impulse für eine von Präsident Mitterrand vorgeschlagene europäische Konföderation ausgehen. Die beiden deutschen Staaten informieren die anderen KSZE-Staaten kontinuierlich über alle wichtigen Schritte weiterer deutsch-deutscher Annäherung.

2. Die Regierung der DDR und der BRD geben noch vor dem geplanten KSZE-Gipfel eine gemeinsame völkerrechtlich verbindliche Erklärung über die Unantastbarkeit der bestehenden Grenzen zu ihren Nachbarn ab, insbesondere der Westgrenze Polens. Es muss nicht besonders betont werden, dass die Grenzfrage von grundlegender Bedeutung für gegenseitiges Vertrauen, Berechenbarkeit und damit für Frieden und Sicherheit ist. Ich halte es für normal und berechtigt, wenn Nachbarstaaten wie Polen den Wunsch äußern, zu den sie betreffenden Grenzfragen am internationalen Verhandlungsprozess über die deutsche Vereinigung teilzunehmen.

3. Beide deutsche Staaten setzen sich dafür ein, dass die Überwindung der Teilung Deutschlands einhergeht mit dem Prozess einer radikalen Abrüstung. Die nächsten Schritte auf diesem Weg müssen Abkommen in Wien über konventionelle Abrüstung sowie über künftige Höchststärken der in Europa stationierten Truppen der UdSSR und der USA sein. Erforderlich sind dann ebenfalls weitreichende Reduzierungen der Streitkräfte beider deutscher Staaten wie auch weitere Verhandlungen der 25 KSZE-Staaten über ein europäisches Sicherheitssystem. Wie immer der künftige militärische Status eines vereinten Deutschlands aussehen mag, es muss gewährleistet sein, dass in keiner Weise irgend jemandes Sicherheit beeinträchtigt wird.

Ein Deutschland in der NATO darf es nicht geben. Vorstellbar ist deshalb auch, dass eine Entmilitarisierung des vereinten Deutschlands einhergeht mit einer schrittweisen Entmilitarisierung Europas.

Der Schwerpunkt des Arbeitstreffens lag bei dem, was die beiden deutschen Staaten selbst untereinander zu klären und auszumachen haben. Ich stimme mit dem Bundeskanzler darin überein, dass für die Vereinigung nicht Überschwang der Gefühle, sondern Nüchternheit und Augenmaß geboten sind. Dem ist im Vorfeld der Bonner Begegnung keineswegs immer entsprochen worden.

Es gab aus dem Bundeskanzleramt die unzutreffende Behauptung, die DDR werde in den nächsten Tagen zahlungsunfähig sein, und aus derselben Quelle das Gerücht, die Wahlen zur Volkskammer würden noch vor dem 18. März stattfinden. In dieser Art sollte man deutsch-deutsche Verhandlungen künftig nicht vorbereiten. Es war auch überraschend, dass vor dem Bonner Treffen ein neues Verhandlungsthema über die Medien mitgeteilt wurde, nämlich das Thema Währungsunion, noch dazu mit der Maßgabe, sie müsse gewissermaßen binnen weniger Tage vollzogen werden. Auch Wirtschaftsexperten der Bundesrepublik haben bestätigt, dass man eine Währungsumstellung, verbunden mit einer Währungsunion, sorgfältig vorbereiten und absichern muss. Schließlich geht es um die Interessen von über 16 Millionen DDR-Bürgern und doch wohl auch um die Interessen der Bundesbürger. Der Standpunkt meiner Regierung musste sein, dass es sich nicht um die Vereinnahme der DDR auf währungspolitischem Gebiet und nachfolgend in allen anderen Bereichen handeln könne. Das war auch die Position des "Runden Tisches". Zweifellos sind Wirtschafts- und Währungsunion unverzichtbar für das Zusammengehen der beiden Staaten, aber ich stimme durchaus mit dem Vorsitzenden der SPD in der BRD überein, das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit muss im Einigungsprozess auf beiden Seiten gewahrt werden. Es dürfe nicht sein, sagte er jüngst im Bundestag, dass die einen an der deutschen Vereinigung verdienen und andere dafür mit einer Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen aufzukommen hätten. Zu beachten ist also stets der Zusammenhang von Wirtschaftsunion, Währungsunion und sozialer Sicherung. Das gilt für die vorbereitenden Arbeiten der Experten, das ist die Haltung meiner Regierung, und ich hoffe, dass dies auch der Standpunkt von Volkskammer und Regierung nach dem 18. März sein wird.

Meine Regierung hat sich in den letzten Wochen intensiv damit befasst, die sozialen Belange der Bürger auch bei wirtschaftspolitischen Veränderungen zu wahren. Darauf zielen die in Kraft gesetzten Verordnungen zur Unterstützung und zum sozialen Ausgleich während Arbeitsvermittlung und Umschulung sowie die finanziell abgestimmten Möglichkeiten für Arbeiter und Angestellte, in den Vorruhestand zu treten. Die Vorbereitung einer Arbeitslosenversicherung wurde in Auftrag gegeben, denn wo bei Strukturwandel vorübergehend Arbeitslosigkeit nicht zu vermeiden ist, muss es eine soziale Sicherstellung geben. Ohne Einschränkung treten die bereits im Vorjahr für bestimmte Beschäftigungsgruppen beschlossenen Lohnerhöhungen in Kraft. Darüber hinaus wurden weitere Bereiche einbezogen, so dass alle derzeit verfügbaren Finanzquellen für Lohnerhöhungen - das muss hier deutlich ausgesprochen sein - nunmehr auch ausgeschöpft werden.

Ich halte es für eine bindende Verpflichtung jeder künftigen Regierung, auch unter den Bedingungen sozialer Marktwirtschaft, das Recht auf Arbeit zu verteidigen, soziale Absicherung für jung und alt sowie für die Familien zu erstreben, den Rentnern, Alleinstehenden mit Kindern, kranken und behinderten Bürgern soziale Unterstützung und Schutz zu gewähren. Wenn die Bundesregierung unter sozialer Flankierung einer Wirtschafts- und Währungsunion bisher nur konkrete Arbeitslosenversicherung und Anpassung des Rentensystems verstanden hat, so ist das zu wenig. Soll der Übergang zur sozialen Marktwirtschaft, wie es der Bundeskanzler sagte, kein Anlass für Befürchtungen bieten, so muss es um mehr gehen.

Braucht nicht auch das künftige Deutschland eine Sozialcharta, mit der unveräußerliche Werte gehalten und auch künftig festgeschrieben werden? Dabei geht es nicht zuletzt um die Erhaltung des sozialen Besitzstandes der Bürger, insbesondere des Rechts auf eigenen angemessenen Wohnraum sowie die Sicherung der Spareinlagen und andere Ergebnisse der persönlichen Arbeit. Interessante Überlegungen hierzu gibt es auch von Wissenschaftlern der BRD, die gestern zum Beispiel veröffentlicht wurden. So hält es das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln für möglich, eine Umstellung des gesamten Geldvermögens der DDR zum Kurs von 1:1 in D-Mark durchzuführen, und sieht darin die ökonomisch beste Lösung.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Bürger der DDR auf fordern, auf den Bestand ihrer Spareinlagen zu vertrauen. Ehrlich verdientes Geld soll auf dem Konto bleiben. Dort wird es seinen Wert behalten. Es hat auch keinen Sinn, mehrere Konten anzulegen. Eine künftige Umstellung der Währung wird zweifellos nach Personen erfolgen. Und da spielt es keine Rolle, ob jemand sein Geld auf einem Konto hat oder auf drei Konten.

Es gibt auch Fragen zum Grund und Boden, zum Bauernland und zu Grundstücken. Die Position der Regierung möchte ich wie folgt präzisieren: Es muss der bindende Grundsatz gelten, dass die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens und der Gesetze des Alliierten Kontrollrates durchgeführten Reformen an Eigentums- und Besitzverhältnissen geltendes Recht sind und bleiben. Eigentum an Grund und Boden sowie Hausbesitz darf nicht aus der Verpflichtung entlassen werden, den sozialen Bedürfnissen der Menschen zu dienen. Das heißt, Grund und Boden dürfen nicht Objekt von Spekulanten werden. Um einen Ausverkauf des Bodens zu verhindern, sollte in einer Übergangsperiode von fünf bis zehn Jahren ein Verkauf von Boden auf dem Gebiet der heutigen DDR strengen Regeln unterliegen.

Und ich sage das mit Nachdruck, der landwirtschaftlich genutzte Boden und das Eigentum der Bauern sind besonders zu schützen. Eingriffe in den Besitz und die Nutzung von Boden richten sich zwangsläufig gegen die Bauern. Die im Ergebnis des Krieges in der DDR durchgeführte Bodenreform darf nicht in Frage gestellt werden. Alle wirksam erworbenen Rechte an Boden, Haus, Grundstücken zur Erholung und ähnlicher Erwerb müssen als Rechtstitel voll anerkannt werden. Bauernland muss Bauernland bleiben. Und wer sich ein Wochenendgrundstück mit seinem erarbeiteten Geld gebaut hat, darf nicht um die Frucht seiner Arbeit gebracht werden.

Ich habe in Bonn in Übereinstimmung mit dem „Runden Tisch" erklärt, dass diese Regierung nicht legitimiert ist, eine Währungs- und Wirtschaftsunion zu vereinbaren. Jede überstürzte Regelung wäre zum Schaden beider Staaten. Es möge sich auch die nächste Regierung von diesem Anspruch leiten lassen. Gestern ist am "Runden Tisch" ein Antrag eingebracht worden, dafür zu sorgen, dass überall mit dem Volkseigentum sorgfältig umgegangen werden soll, damit es erhalten, besser genutzt und gemehrt wird. Diese Haltung ist voll zu unterstützen. Ich billige insbesondere die in dem Antrag erhobene Forderung nach demokratischer Kontrolle der aktuellen Vorgänge in der Wirtschaft durch Gewerkschaften und Betriebsräte, und ich betone ebenfalls, nur das ganze Volk der DDR kann sein Volkseigen-mm schützen.

Ebenfalls ist gestern am "Runden Tisch" gefordert worden, alle Subventionen für Lebensmittel und Gaststätten noch vor den Wahlen am 18. März zu beseitigen und in personengebundene Einkommenszuschläge umzuwandeln. Dieser Vorschlag hat, wie mir zu dieser Stunde berichtet wird, bereits zu Abkäufen von Lebensmitteln in bedeutendem Umfang geführt. Ich fordere die Bürger der DDR auf, sich dazu nicht weiter hinreißen zu lassen. Ich habe bereits in meiner ersten Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass es zu den Grundanliegen gehört, die mit dem Abbau von Subventionen verbundenen Auswirkungen voll durch personengebundene Zuschläge auszugleichen. Dabei soll und muss es bleiben. Es hat also niemand einen Vorteil davon, wenn er jetzt subventionierte Lebensmittel einkauft und hortet. Ganz abgesehen davon, dass sie verderben können. Beim Abbau dieser Subventionen wird in jedem Fall ein Ausgleich gezahlt, so dass dem Bürger kein Nachteil entsteht. Ein Nachteil kann jedoch für die gesamte Versorgung eintreten, wenn jetzt nicht Besonnenheit Platz greift. Gemeinsam wird zu prüfen sein, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt eine solche Aufgabe gelöst werden kann. Die Regierung durch vorschnelle Äußerungen in Zugzwang bringen zu wollen, kann, wie sich zeigt, nur negative Folgen haben.

Ich fordere also noch einmal ganz herzlich jeden Bürger unseres Landes auf, selber Besonnenheit zu zeigen. Es besteht keine Veranlassung zu Abkäufen über den normalen Bedarf hinaus. Aber zu große Abkäufe werden auch Schaden bringen, der schwer wieder auszugleichen geht.

Die Bundesregierung konnte sich nicht entschließen, den Solidarbeitrag, über den bereits in Dresden gesprochen wurde, für die DDR zuzusagen. Wir haben ihn in Bonn erneut angemahnt. Meine Regierungsdelegation und ich ließen uns dabei von der am "Runden Tisch" am 12. Februar ausgesprochenen Erwartung leiten, dass die BRD als ökonomisch und politisch stärkerer Partner des Einigungsprozesses jetzt alles unternehmen sollte, um einer weiteren Destabilisierung der Lage in der DDR entgegenzuwirken und zur Beruhigung beizutragen. Es geht dabei nicht zuletzt um einen Ausgleich für jene verschärften ökonomischen Schwierigkeiten und Verluste, die die Öffnung der Grenze der DDR verursacht. Nach Berechnung des Ministeriums für Handel und Versorgung haben allein die Abkäufe von Waren, einschließlich der billigen Gaststättenmahlzeiten, durch Bürger der BRD sowie Westberliner für ein Jahr gerechnet mindestens den Umfang von vier Milliarden Mark. Angesichts dieser Situation ging und geht es uns um die Möglichkeit, schnell Waren aus der BRD beziehen zu können, die unmittelbar den Bürgern der DDR zugute kommen, die Lebensbedingungen der Menschen in Städten und Gemeinden spürbar verbessern, dringensten Erfordernissen der Infrastruktur Rechnung tragen und Maßnahmen zur Stabilisierung der Industrie stützen.

Um es nochmal deutlich zu sagen, es geht uns nicht um 15 Milliarden D-Mark Bargeld, sondern um die Lieferung von Konsumgütern und Material, Maschinen, Stadttechnik und anderen in dem entsprechenden Umfang. Diese solidarische Hilfe für die DDR soll nach unserer Auffassung eine Einheit bilden mit Währungsunion, Wirtschaftsunion und sozialer Absicherung, soll also das Zusammenführen der beiden Staaten unterstützen. Eine solche Soforthilfe ist meines Erachtens auch notwendig, um weiteren Abwanderungen aus der DDR entgegenzuwirken. Eben dies muss doch ein gemeinsames Interesse von DDR und BRD sein.

Die DDR hat in die Vereinigung nicht wenig einzubringen, große geistige und kulturelle Werte, große materielle Werte, die in Jahrzehnten vom Volk erarbeitet worden sind. Das Nettonationalvermögen der DDR beträgt 1988 1,4 Billionen Mark, darunter in Staatseigentum 980 Milliarden, das in den gesamtdeutschen Staat eingehen wird. Das genossenschaftliche Vermögen beträgt 140 Milliarden Mark, im privaten Eigentum befinden sich 280 Milliarden. Die DDR wird 6,2 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche einbringen, und zwar - ganz im Gegensatz zu den bäuerlichen Wirtschaften in der Bundesrepublik - ohne jede finanzielle Belastung. Bei allen Schwierigkeiten, die wir gegenwärtig haben, dürfen diese Grundtatsachen nicht aus dem Auge verloren werden. Die DDR ist bei weitem nicht so reich wie die Bundesrepublik, aber sie tritt nicht als Bettler oder im Büßerhemd in das einheitliche Deutschland ein. Die DDR ist ein gutes Stück Deutschland, ein großartiges Stück Deutschland, wie Bundespräsident von Weizsäcker festgestellt hat, auf das man bauen kann und in Zukunft bauen muss. Und wie gesagt, es geht hier nicht allein um materielle Werte. Ja, ich warne nachdrücklich davor, die Lösung der nationalen Frage der Deutschen allein der D-Mark zu überlassen.

Bei allen Meinungsverschiedenheiten, die es bei den Gesprächen in Bonn gegeben hat und die wohl auch künftig nicht ausbleiben werden, möchte ich das Treffen mit dem Bundeskanzler und Ministern seines Kabinetts doch als konstruktiv bezeichnen. Es ist eine Ausgangsbasis für weitere sachbezogene Zusammenarbeit auf vielen Gebieten. Es hat Weichen gestellt für den Weg zum Deutschland einig Vaterland. Und diese drei Worte habe ich nicht von Demonstranten, sondern aus der Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik. Die weiteren Schritte des Zusammengehens der beiden Staaten sollten nicht von Wahlkampftaktik bestimmt sein, sondern von nationaler Verantwortung, so wie sich das für diesen historischen Prozess gehört. Die Politiker, ja alle Völker in Ost und West erwarten, dass die Einheit Deutschlands mit Vernunft und höchstem Verantwortungsbewusstsein vollzogen wird. In meiner Konzeption über den Weg zur deutschen Einheit habe ich auf diese Notwendigkeit ganz besonders hingewiesen.

Was wir in der DDR jetzt brauchen, sind Selbstbewusstsein, Besinnung auf die eigenen Werte und vor allem der Wille zur harten, rationellen, ergebnisreichen Arbeit. Wir sollten jetzt die Ärmel hochkrempeln, um überall die Leistung ins Spiel zu bringen, die mit Schwierigkeiten fertig wird und ein rasches Angleichen des Lebensniveaus ermöglicht. Wer in der DDR jetzt noch auf Koffern, die gepackt sind, sitzt, sollte sie wieder auspacken. Die nächste Volkskammer, die wir in knapp vier Wochen wählen, wird berufen sein, einen historischen Schritt zu tun, den gültigen Schritt zur Einheit Deutschlands. Möge unserem Volk, den Völkern Europas und vor allem unseren Nachbarn daraus nur Gutes erwachsen.

ADN, Berlin vom 20. Februar 1990

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