DDR 1989/90 Brandenburger Tor


ND-Exklusivinterview mit Dr. Detlef Rohwedder, Vorsitzender der DDR-Treuhandanstalt

Die Aufgaben: Privatisierung - Sanierung - Stilllegung

Bis Ende 1979 - fast 11 Jahre waren Sie als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium tätig, und in Ihr Ressort fiel auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR. Sehen Sie sich durch die in dieser Zeit erworbenen Kenntnisse über die Volkswirtschaft der DDR und die in ihr agierenden Personen bevorteilt als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt?

Ich glaube, dass ich durch die Intensive Beschäftigung mit der DDR, ihrer Politik und ihrer Wirtschaft neben allerlei Kenntnissen, Erfahrungen und Einsichten vor allem eine Sensibilität für die Chancen und Risiken der jetzt beginnenden Umwandlung der DDR-Wirtschaft, für ihr mögliches Tempo und die erforderliche Orientierung erworben habe. Ich möchte dazu beitragen, den Bürgern der DDR den zentralen Platz zu verschaffen, der ihnen in der Marktwirtschaft zukommt: den des umworbenen Kunden und zufriedenzustellenden Verbrauchers. Der Bürger ist in der Marktwirtschaft die Hauptperson, um die sich alles zu drehen hat. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in erster Linie Privateigentum und Wettbewerb, betrachte ich als meine Hauptaufgabe.

Wie schätzen Sie den Zustand der DDR-Wirtschaft ein? Mit welchem Konzept wollen Sie diese in die Marktwirtschaft führen? Genügt dafür der jüngst geschaffene gesetzliche Rahmen?

Der Staatskapitalismus der DDR ist am Ende: In ihm kann sich die Bevölkerung keinen angemessenen Lebensstandard erarbeiten, die Zerstörung der Umwelt, also der unersetzlichen Lebensgrundlage, ist ihm immanent. Wettbewerbskraft im freien Spiel der Kräfte entfaltet er nur ausnahmsweise. Die Staatsfinanzen finden in ihm kein tragfähiges und belastbares Fundament mehr. Hoffnung machen allein die Menschen, die nach Tüchtigkeit, Ausbildung und Fleiß den Westdeutschen nicht nachstehen.

Die DDR-Wirtschaft braucht schnellstens eine dichte Vernetzung auf breiter Front mit den Industrien und Volkswirtschaften der OECD-Länder, insbesondere der Bundesrepublik. Es kommt darauf an, dass die DDR Produktionsweisen und Managementtechniken von dort übernimmt. Und die DDR-Bürger müssen positiv darauf reagieren, dass ihr Staat den Rückzug aus der Wirtschaft begonnen hat und sie die Chance und die Aufgabe haben, für sich selbst verantwortlich zu sein. Die Volkskammer vervollkommnet den dafür erforderlichen Rahmen mehr und mehr.

Welchen zeitlichen Rahmen sehen Sie für die Entflechtung und Privatisierung der volkseigenen Wirtschaft? Welchen Zielen geben Sie Vorrang?

Ich glaube, dass die Transformation der DDR-Wirtschaft mit Hilfe der Treuhandanstalt jetzt rasch beginnt und sich zügig ausbreiten wird. Die Reihenfolge der Aufgaben ist vom Treuhandgesetz vorgegeben: Privatisierung - Sanierung - Stilllegung.

Manche Theoretiker werfen den Leitlinien zur Privatisierung vor, letztlich eine Enteignung des eigentlichen, wenn auch anonymen Eigentümers "Volk der DDR" zu betreiben. Wie Ist Ihre Meinung ans juristischer Sicht dazu? Schätzen Sie die eingeräumte Möglichkeit als real ein, eine Anteilsübertragung an Bürger als Ersatz für verlorengegangene Spareinlagen bei der Währungsumstellung vorzunehmen?

Die Formel vom Volkseigentum sollte in der DDR wie in allen sozialistischen Ländern euphemistisch verdecken, dass das Eigentum als Individualrecht weitestgehend abgeschafft war. Die behauptete Enteignung des einzelnen durch Privatisierung findet also gar nicht statt; dem einzelnen wird dadurch nichts genommen, was er vorher gehabt hätte.

Im übrigen: Die Kapitalbedürfnisse für die Strukturanpassung der Wirtschaft und die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen der DDR sind so groß, dass nach meiner Meinung die Bürger der DDR nicht so bald mit dem Ersatz umgewerteter Spareinlagen rechnen können.

Wer sich mit der Sanierung der DDR-Wirtschaft befasst, muss sich auch automatisch der Frage nach sozialen Begleitumständen und Folgen stellen. Wie lässt sich Massenarbeitslosigkeit verhindern? Wie schnell können die privaten Einkommen steigen, um den jetzt höheren finanziellen Belastungen im Verbrauchsbereich ausgleichend zu begegnen?

Das wirksamste Mittel gegen Arbeitslosigkeit sind Investitionen der privaten Wirtschaft. Sie werden um so rascher und tatkräftiger einsetzen, je eindeutiger die DDR dafür marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen setzt. Von den Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Politikern muss eine Einkommenspolitik verfolgt werden, die in einem möglichst spannungsfreien Verhältnis zum Tempo der gesundenden DDR-Wirtschaft steht. Überforderungen des jetzt völlig entkräfteten Wirtschaftsorganismus würden zu Krisen führen und zu verbreiteter Arbeitslosigkeit beitragen.

Für ND fragte
OTTO LUCK

Neues Deutschland, Di. 17.07.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 164

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