"Ein schwieriger Weg"

Interview mit dem Spitzenkandidat der DDR-Sozialdemokraten, Ibrahim Böhme

taz: Herr Böhme, Sie versprechenden Wählern der DDR, dass Sie als Ministerpräsident selbstbewusster in die Verhandlungen mit Bonn gehen werden als Modrow das konnte. Ist das angesichts der Machtverhältnisse zwischen Bonn und Ost-Berlin nicht ein uneinlösbares Versprechen?

Ibrahim Böhme: Die Verantwortlichen der Bundesregierung haben mehrfach erklärt, dass sie erst mit einer demokratisch legitimierten Regierung ernsthaft und zügig verhandeln werden. Zum anderen und das will ich betonen, vertraue ich in diesem Zusammenhang nicht nur auf die demokratische Öffentlichkeit in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik. Ich bin ganz sicher, dass wir mit größerer Konsequenz verhandeln werden als die Regierung Modrow. Hinzukommt, dass die Regierung nach dem 18. März schon deshalb stabiler und damit auch handlungsfähiger sein wird, weil in ihr nicht Parteien vertreten sind, die gegeneinander Wahlkampf führen, das ja momentan der Fall ist. Natürlich glaube ich, dass die derzeitige Bundesregierung lieber mit einer Regierung verhandeln würde, die von der "Allianz für Deutschland" getragen wird.

Eine Übereinstimmung gibt es ja schon zwischen dem zukünftigen Ministerpräsidenten und der Bundesregierung: Beide fordern die "Währungsunion jetzt". Dabei scheint gerade die Aussicht auf die rasche Währungsunion im Land einen Stimmungsumschwung auszulösen. Der drohende Konkurrenzschock der DDR-Wirtschaft beflügelt auch soziale Ängste in der Bevölkerung geweckt.

Ich würde das nicht einen Stimmungsumschwung nennen. Wichtig aber ist, dass die ungeduldigen Forderungen nach Einheit in der Bevölkerung zurückgehen und die sozialen Ängste wachsen. Ich glaube aber, dass alles was jetzt halbherzig geleistet wird, im Grunde genommen nicht nur den Einigungsprozess, sondern auch die soziale Stabilität beschädigt.

Ich glaube, man muss den Währungsverbund als Einführung der DM umgehend durchführen. Um die Stabilität der DM zu erhalten, wird die Bundesregierung dann natürlich auch ein Eigeninteresse an der Prosperität der DDR-Wirtschaft haben. Was die Sozialunion betrifft, also die soziale Flankierung der Wirtschafts- und Währungsunion, sind wir natürlich auf die Hilfe der Bundesrepublik angewiesen. Ich denke hieran eine sofortige Erhöhung der Mindestrenten und die soziale Absicherung der Arbeitslosen. Die Einheit ist nur mit massiver sozialer Flankierung möglich. Allerdings wäre ich unredlich, wenn ich jetzt alles versprechen würde, ohne zu sagen, dass es ein schwieriger Weg werden wird.

Bedeutet die Währungsunion nicht weit über die Preisgabe der Währungshoheit hinaus auch die Aufgabe politischer Souveränität und Handlungsfähigkeit?

Ich glaube gerade, dass es in der speziellen deutsch-deutschen Situation notwendig ist, die politisch-strukturellen Momente der Einigung erst am Ende des Prozesses zu gestalten. Hier geht es um die Berücksichtigung der Interessen der Anrainerstaaten und der Siegermächte. Gerade dies garantiert aber auch, dass die Währungsunion nicht zwangsläufig die Preisgabe der Souveränität bedeutet.

Momentan werden zwei Wege zur Einheit diskutiert. Der gemäß Artikel 23 GrundgesetzParagraph 23 des Grundgesetzes und der nach Artikel 146 GrundgesetzParagraph 146. Der erste sieht auch den Anschluss einzelner Länder an des Bundesrepublik vor. Der zweite sieht eine gesamtdeutsche verfassungsgebende Versammlung vor. Die Bundesregierung scheint in dieser Frage gespalten. Ich nehme an, einer möglichen Regierung Böhme schwebt die zweite Version vor.

Ich glaube nicht, dass man mit dem Paragraphen 23 Absatz 2 den Einheitsprozess gestalten kann. Das wäre verheerend, nicht nur wegen der Destabilisierung der mitteleuropäischen, ja gesamteuropäischen Situation. Es wäre auch ökonomisch verheerend. Eine Einheit kann doch nur über den Weg einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung gehen.

Womit kann die zukünftige Regierung verhindern, dass einzelne Länder nicht doch gemäß Paragraph 23 den Anschluss beantragen, den die Bundesrepublik ja dann nicht ablehnen darf.

Bereits nach dem 18. März wird ein entsprechender Passus in der DDR-Verfassung festgeschrieben werden. Außerdem wird es eindeutige vertragliche Vereinbarungen mit der Bundesregierung geben. Im übrigen glaube ich nicht, dass Menschen, die politisch und ökonomisch klug sind, ein solches Aufschlußverfahren ernsthaft erwägen. Das gilt, glaube ich auch, für die Regierungskoalition in Bonn.

Heißt breite Koalition auch die Beteiligung der "Allianz für Deutschland" an einer SPD-geführten Regierung?

Die Allianz machten uns im Moment sehr schwer, an eine solche Koalition zu denken. Ich will nicht grundsätzlich ausschließen, dass die eine oder andere Partei, wenn sie die Allianz verlässt und die Kampagnen, die derzeit gegen uns geführt werden, nicht mehr mitträgt, für uns koalitionsfähig wäre.

Ist eine Koalition zwischen SPD und dem Bündnis 90 denkbar.

Denkbar ist für mich auf jeden Fall, dass eine Reihe von Persönlichkeiten aus diesen Bündnissen in die Regierung mit eintreten könnten, vielleicht sogar werden.

Aber für eine Koalition mit dem Bündnis wollen sie sich vor der Wahl nicht aussprechen?

Soweit will ich jetzt noch nicht gehen.

Sie haben gestern eindringlich für die gesellschaftliche Versöhnung plädiert. Wird das in der Partei, vor allem in der Bevölkerung mitgetragen, oder schafft nicht gerade die labile soziale Situation eine Atmosphäre, in der Abrechnungslüste weiter keimen.

Ich stehe grundsätzlich für Recht vor Rache. Der Versöhnungsprozess muss geleistet werden, egal wie schwierig die sozialen Probleme sein werden. Wenn wir die gesellschaftliche Versöhnung nicht vor dem Ausheilungsprozeß beginnen, werden wir ihn niemals leisten können. Wir setzen einige der Gefahr der Radikalisierung aus, anderen verweigern wir, möglicherweise bis zum Ende ihres Lebens, ein neues Selbstverständnis zu finden. Das heißt weiter, dass viele, die an nicht so exponierter Stelle das System mitgetragen haben, letztlich auch ihre Identität wegdrängen können und damit in einer anderen Art und Weise beschädigt werden.

Das Gespräch führte Matthias Geis.

Die Tageszeitung, DDR-Ausgabe, Di. 27.02.1990

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