Gleichheit vor dem Gesetz?

Zur Ungleichbehandlung von DDR-Umsiedlern Von Peter Conradi MdB

Die BürgerInnen der DDR sind, wenn sie die Grenze zu uns überschreiten, so zu behandeln wie BürgerInnen der Bundesrepublik Deutschland. So will es des Grundgesetz. Dieses Gleichbehandlungsprinzip wird jedoch ständig gröblichst verletzt:

- Wer in der Bundesrepublik sein Arbeitsverhältnis kündigt, bekommt eine Sperrzeit von acht Wochen, bevor er/sie Arbeitslosengeld erhält. Wieso erhalten ArbeitnehmerInnen, die ihren Arbeitsplatz In der DDR aufgeben, hier sofort Arbeitslosengeld beziehungsweise entsprechende Leistungen?

- ArbeitnehmerInnen, in der Bundesrepublik, die während ihres Arbeitsleben keine Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, bekommen keine Renten. Wieso bekommen Arbeiter und Angestellte aus der DDR, die in ihrem Arbeitsleben nie Versicherungsbeiträge in unsere Rentenversicherung eingezahlt haben, hier eine Rente, als hätten sie ihr Arbeitsleben lang Beiträge bei uns eingezahlt?

- Wer in der Bundesrepublik seine Wohnung aufgibt, und in eine andere Stadt zieht, bekommt keine besondere Hilfe für die Wohnungseinrichtung. Wieso bekommen BürgerInnen aus der DDR, die ihre Wohnung in Dresden aufgeben, hier Geld für eine neue Einrichtung einer Wohnung in Stuttgart?

Solange in der DDR Unfreiheit und politische Verfolgung herrschten, waren besondere Leistungen für DDR-Flüchtlinge gerechtfertigt. Inzwischen wird in der DDR niemand mehr verfolgt. Es gibt keine Flüchtlinge in der DDR mehr.

Kein Zweifel: Wir in der Bundesrepublik haben den Deutschen in der DDR gegenüber eine große soziale Verpflichtung. Ihnen zu Wohlstand und sozialer Sicherheit zu verhelfen, ist auch ein Gebot der Solidarität und der Gerechtigkeit, schließlich haben nicht die Deutschen in der DDR allein, sondern wir alle die Folgen des Zweiten Weltkriegs zu tragen.

Statt mit ungerechtfertigter Sozialleistungen, die gegen den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung verstoßen, immer mehr DDR-BürgerInnen zu veranlassen, ihrer Wohnung und ihren Arbeitsplatz in der DDR zu verlassen, sollte die Bundesregierung der DDR wirtschaftliche Hilfe gewähren. Das kostet vier Geld. Wenn der Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister ihre Forderung nach Solidarität ernst meinen, sollen sie die nächste Stufe der Steuerreform für die Großverdiener aussetzen und diesen Betrag der DDR-Wirtschaft zinsgünstig zur Verfügung stellen. Dazu aber sind sie nicht bereit. Statt dessen ziehen sie die "kleinen Leute" heran: die Wohnungssuchenden bei uns, die Arbeitslosen, die Mieter und die Beitragszahler für für die Renten und Arbeitslosenversicherung werden für die Umsiedler aus der DDR zur Kasse gebeten. Die Freunde von Kohl und Blüm werden bei dieser Aktion ausgespart.

Sozialdemokratischer Pressedienst, Nr. 6, 45 Jahrgang, 09.01.1990

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