Abschlussbericht des Ausschusses der Volkskammer gegen Amtsmissbrauch

Der Zeitweilige Ausschuss der Volkskammer zur Überprüfung von Fällen des Amtsmissbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderer Handlungen, bei denen der Verdacht der Gesetzesverletzung besteht, hat jetzt der Volkskammer seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin heißt es:

Der Untersuchungsausschuss hat in 3monatiger intensiver Arbeit bei allen ihm bekannt gewordenen Tatsachen bzw. vorgelegten Eingaben und Hinweisen versucht, die Wahrheit festzustellen, ungerechtfertigte Beschuldigungen zurückzuweisen, und dafür gesorgt, dass Schuldige der zentralen Ebene - ohne Ansehen der Person zur Verantwortung gezogen werden.

Die Aufhellung der Umstände und Machtstrukturen, die zu Amtsmissbrauch, Korruption und Aneignung von Privilegien geführt haben, wurden dadurch erschwert, dass es den Beschuldigten teilweise an Schuld- und Unrechtsbewusstsein mangelte. Eigene Einflussmöglichkeiten wurden vielfach verneint.

Kommandosystem sicherte führende Rolle

Im Ergebnis einiger Anhörungen empfahl der Ausschuss, Ermittlungsverfahren einzuleiten. Auch bei vier der insgesamt 25 angehörten Zeugen zeigten sich strafrechtlich zu prüfende Tatbestände, die zu Ermittlungsverfahren führten.

Der Zeitweilige Ausschuss betrachtet seine Untersuchungen nicht nur als eine Aufarbeitung von Machtmissbrauch und Korruption in der Vergangenheit. Seine Erkenntnisse sollen auch für die Zukunft vorbeugend wirken, um vergleichbare Erscheinungen unmöglich zu machen. Deshalb stellen wir fest:

1. Die ehemalige Partei- und Staatsführung verwirklichte ihr Herrschaftssystem auf der Grundlage der These von der "führenden Rolle" der SED im gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Aufbau des Landes. Das erfolgte durch ein Kommandosystem der Parteiorgane der SED gegenüber den staatlichen Institutionen. Nicht die Volkskammer und die Regierung trafen die politischen und ökonomischen Entscheidungen, sondern das Politbüro und das Sekretariat des Zentralkomitees der SED und die dort bestehende Wirtschaftskommission unter Leitung von Günter Mittag.

Parasitärer Lebensstil wurde schöne Gewohnheit

Ein wichtiger Bestandteil dieses Systems war die gesteuerte Medienpolitik, die eine öffentliche Auseinandersetzung und Diskussion über Mängel und Fehler der Entwicklung in der DDR verhinderte. Sie arbeitete mit Schönfärberei und bewusster Fehlinformation der Bevölkerung über die Innenpolitik, vor allem die fehlende Demokratie, die wirtschaftliche Entwicklung und die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung, aber auch über außenpolitische Fragen, insbesondere über die Entwicklung in der UdSSR seit 1985.

Besonderen Schaden verursachte die zentralistische Wirtschaftspolitik, für die Günter Mittag Hauptverantwortung trug. Unter dem Schlagwort der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden soziale Maßnahmen durchgeführt, für die teilweise die ökonomischen Grundlagen fehlten. Durch den beschleunigten Wohnungsneubau und das übertriebene Berlin-Programm setzte sich der Verfall der Altbausubstanz in vielen Städten und Dörfern fort. Die Infrastruktur des Landes - Verkehrs- und Straßenwesen, Post- und Fernmeldewesen - wurde völlig vernachlässigt.

2. Eine kleine Gruppe - das ehemalige Politbüro des Zentralkomitees der SED - traf die Entscheidungen und verfügte über die materiellen Ressourcen, ohne Kontrollen zu unterliegen oder rechenschaftspflichtig zu sein. Hierher gehören die hohen Valuta-Aufwendungen für die Bewohner der Waldsiedlung Wandlitz und ihre umfangreichen Einkäufe, der Millionenaufwand für die persönlichen Jagdgebiete, Urlaubsflüge mit Sondermaschinen, die bevorzugte Zuweisung von Privat-Pkw und die Errichtung von Einfamilien- und Landhäusern für Familienangehörige. Die Anhörungen einiger ehemaliger Politbüromitglieder vor dem Untersuchungsausschuss machten deutlich, dass diesem Personenkreis jedes Gefühl für seinen parasitären Lebensstil abhanden gekommen war.

Außen Entspannung, innen Überwachung

3. Eine wichtige Stütze zur Aufrechterhaltung des zentralistisch-stalinistischen Kommandosystems in der DDR stellte das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit dar. Während sich bedeutende außenpolitische Fortschritte vollzogen, entwickelte die Parteiführung der SED im Gegensatz dazu eine verschärfte Sicherheitsdoktrin nach innen. Die Organe des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit wurden personell erheblich verstärkt. Neben den notwendigen Aufgaben eines Nachrichtendienstes und der Abwehr gegen Rechtsradikalismus und Terrorismus wurde eine umfangreiche Überwachung Andersdenkender, die als potentielle Konterrevolutionäre qualifiziert wurden, unter Einschluss von Post- und Telefonkontrolle organisiert.

Dieses Überwachungssystem wurde ab 1985 im Zusammenhang mit den Veränderungen in der UdSSR und ihrer Resonanz bei den Bürgern der DDR noch verstärkt.

Berliner Zeitung, Do. 8. März 1990, Jahrgang 46, Ausgabe 57

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