Manifest
zur Gründung des "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands"

Der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" will die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wiedererwecken und ein neues deutsches Geistesleben begründen.

Der Nazismus hat die wahren deutschen Kulturwerte, wie sie mit den Namen von Goethe, Schiller, Lessing und zahlreicher Philosophen, Künstler und Wissenschaftler verbunden sind, verschüttet oder durch seine menschenfeindlichen Zweck- und Nutzlehren aufs schändlichste verfälscht. Die deutsche Kultur wurde Werkzeug des verbrecherischen Raubkrieges Hitlers.

Der Geist der Wahrheit, der jedes hohe deutsche Kulturschaffen kennzeichnet, wurde ersetzt durch den Lug und Trug der Nazipropaganda. Ehrliche Freiheitsstreiter, aufrechte Wahrheitsbekenner wurden verfolgt, außer Landes getrieben, in Konzentrationslager geworfen oder ermordet. Repräsentanten deutschen Geistes wie Thomas Mann, Heinrich Mann, Albert Einstein, Leo Blech, Arnold Zweig, Anna Seghers, Otto Klemperer, Albert Bassermann und viele andere mussten zwölf Jahre fern ihrer Heimat in der Verbannung wirken.

Charakterlosigkeit, geistige Verarmung, moralische Abgestumpftheit und Verwahrlosung zeugen von der Verderblichkeit des Hitlersystems. Freie deutsche Literatur und Kunst waren in Ht1erdeutsch1and verfemt. An Stelle echten Kunstschaffens wurde mit. allen staatlichen Zwangsmitteln der nazistische Schund und Schmutz gefördert. Rassenwahn, Geschichtsfälschungen, chauvinistische Hetzliteratur, Kitsch in Wort und Bild vergifteten deutsches Fühlen und Denken.

Die wissenschaftliche Forschung wurde von Beginn der Naziherrschaft an militaristischen Zielen unterworfen. Die Kulturwerte anderer Völker wurden verächtlich gemacht oder dem deutschen Volke vorenthalten. In schamloser Selbstüberheblichkeit wurde dem deutschen Volke eingeredet, dass es das einzige wahre Kulturvolk der Welt sei, um daraus den Weltherrschaftsanspruch Hitlerdeutschlands abzuleiten. Eine nationale Totalkatastrophe ist das Ergebnis zwölfjähriger Naziherrschaft. In diese nationale Totalkatastrophe ist auch die deutsche Kultur mit einbezogen. Unersetzbare Kulturwerte der Welt sind vernichtet. Die Grundlage jeder Kultur, das geordnete Leben unseres Volkes, ist aufs tiefste erschüttert. Die Liebe und Hochachtung, deren vor allem die deutschen Kulturleistungen bei allen Völkern sich erfreuten, sind verloren angesichts der ungeheuerlichen Kriegsverbrechen des Hitlerfaschismus in den von ihm überfallenen Ländern. Kulturdenkmäler wurden zerstört, verschleppt, geraubt. Nationale Heiligtümer der überfallenen Länder, geweihte Stätten der ganzen Menschheit wurden aufs frevelhafteste entehrt.

Angesichts dieser für unser Vaterland, für unsere Kultur tief beschämenden Tatsachen ist zu erkennen: Die deutsche Intelligenz, die zur Führung unseres Volkes berufen gewesen wäre, hat die geschichtliche Prüfung nicht bestanden, als es galt, das Verderben von Deutschland abzuwehren, den Krieg zu verhindern oder ihn wenigstens rechtzeitig zu beenden. Wir müssen uns Rechenschaft darüber ablegen, dass die Wehrlosigkeit des deutschen Geistes gegenüber den reaktionären Mächten sich schon seit langem - vor Hitler - angebahnt hat: durch die barbarische Umwertung aller Werte, durch die Zerstörung von Wirklichkeitssinn und Vernunft und durch die Abspaltung des geistigen deutschen Menschen von allen öffentlichen gesellschaftlichen Angelegenheiten.

Wir müssen gestehen, dass das große deutsche klassische humanistische Erbe auch in der deutschen Intelligenz nicht mehr so lebendig war, um eine unerschütterliche Widerstandskraft gegenüber dem Naziregime zu verleihen. Wohl bewiesen hervorragende Einzelne Widerstandskraft und Standhaftigkeit, die Intelligenz in ihrer Gesamtheit ist Verführung und Terror unterlegen.

Diese Erkenntnis, so bitter sie auch sein mag, tut not, damit eine neue deutsche Intelligenz sich herausbildet, die sich berufen fühlt, dem deutschen Volke auf neuen Wegen führend voranzugehen. Ein grundsätzlicher Umbruch tut not, damit Deutschland wiedererstehen kann. Diese deutsche Auferstehung kann nur im Zeichen der Wahrheit, im Zeichen eines freiheitlich-demokratischen Geistes erfolgen. Wir müssen der Wahrheit wieder die Ehre geben, um unsere nationale Ehre wiederzugewinnen. Wir anerkennen die Kriegsschuld Deutschlands. Wir haben Unsägliches wiedergutzumachen. Wir bekennen uns zur Wiedergutmachung.

Der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" setzt sich die Aufgabe, die heute eine der höchsten nationalen Aufgaben der Intelligenz ist: alle deutschen Männer und Frauen zu vereinen, die des ehrlichen, unbeugsamen Willens sind, zur geistigen, kulturellen Erneuerung Deutschlands mit Einsatz ihrer ganzen Kraft beizutragen. Die besten Deutschen aller Berufe und Schichten gilt es, in dieser schweren Notzeit deutscher Geschichte zu sammeln, um eine deutsche Erneuerungsbewegung zu schaffen, die auf allen Lebens- und Wissensgebieten die Überreste des Faschismus und der Reaktion zu vernichten gewillt ist und dadurch auch auf geistig kulturellem Gebiet ein neues, sauberes, anständiges Leben aufbaut. Es wäre verhängnisvoll für das Schicksal unseres Vaterlandes und würde Deutschland den Weg in die Zukunft versperren, wenn wir nicht rückblickend alle diejenigen Fehler und Schwächen aufdecken und überwinden würden, welche die Naziherrschaft ermöglicht und die größte Tragödie der Nation heraufbeschworen haben.

Das Ende der Kriegshandlung bedeutet die Fortsetzung des Kampfes gegen Nazismus und Reaktion, die Steigerung und Intensivierung dieses Kampfes mit geistigen Mitteln. Die politische und militärische Totalniederlage der Hitlerherrschaft eröffnet uns erst die volle Möglichkeit, den Nazismus auch dort tödlich zu treffen, wo er sich mit seinen Irrlehren in dem Denken und Fühlen des deutschen Menschen festgesetzt hat. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass mit dem militärisch-politischen Zusammenbruch der Hitlerherrschaft auch die Naziideologie von selbst verschwindet.

Ein Nationalhass von einer Leidenschaft, wie sie in Deutschland noch niemals entfacht wurde, muss alle diejenigen treffen, welche sich nach wie vor als unbelehrbar zeigen und eine Verlängerung und Verewigung der Hitlerschmach betreiben. Liebe zu Deutschland; nationale Gesinnung müssen danach bemessen werden, inwieweit ein Deutscher bereit ist, ein neuer deutscher Mensch, ein freiheitlicher Mensch zu werden, inwieweit er aktiv selbstkritisch teilnimmt an der Vernichtung der Naziideologie, der imperialistischen und militaristischen Ideologie und inwieweit er Initiative zeigt zur Wiedergutmachung.

Der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" betrachtet sich als ein Instrument der Erweckung wahrhaft freiheitlichen Fühlens und Denkens, als ein Instrument der Erweckung des Gewissens der Nation. Wir fordern, in Deutschlands Namen, die restlose Klarstellung der Ursachen der größten Niederlage unserer Geschichte. Wir fordern, dass die Kriegsverbrecher als Deutschlandfeinde, Vaterlandsverräter und Volksverderber zur Verantwortung gezogen und abgeurteilt werden, auch diejenigen, welche als ideologische Trommler und Führer des Kriegsverbrechertums anzuklagen sind. Wir fordern eine grundsätzliche Wende und Wandlung auf allen Lebens- und Wissensgebieten. Wir erstreben eine neue, freiheitliche, demokratische Weltanschauung. Wir fordern die Erziehung unseres deutschen Volkes im Geist der Wahrheit, im Geist eines streitbaren Demokratismus. Es handelt sich dabei um ein nationales Befreiungs- und Aufbauwerk größten Stils auf ideologisch-moralischem Gebiet.

Es geht darum, das deutsche Volk zu befreien von allem reaktionären Unrat seiner Geschichte, wie er sich am schmachvollsten in der Hitlerherrschaft konzentriert hat, und es geht darum, dem deutschen Volke aus seiner eigenen Geschichte und aus der Geschichte anderer Völker alle die positiven Kräfte zuzuführen, die unser Volk als solches lebensfähig erhalten und es ein für allemal vor neuen imperialistischen Abenteuern zu bewahren imstande sind, und ihm so wieder die Möglichkeit zu geben, in die Gemeinschaft der Völker zurückzukehren. In diesem Sinne fühlt sich der ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" berufen als eine geistige Instanz, die mit Rat und Tat einem neu erstehenden Deutschland zur Verfügung steht. Wir werden aufs dringlichste bestrebt sein, zu erreichen, dass durch unsere freiheitlichen Leistungen die Beziehungen zu den Kulturträgern anderer Völker wieder aufgenommen werden. Wir wollen das deutsche Volk mit den kulturellen Errungenschaften aller Nationen, vor allem auch mit denen der Sowjetunion, bekanntmachen.

Wir glauben an die Aufgeschlossenheit und Aufnahmebereitschaft unseres Volkes für diejenigen Ideale und Ideen, die zu unserem wertvollsten Kulturgut gehören und die, in die Wirklichkeit umgesetzt, eine geschichtliche Kraft darstellen. Wir glauben an das Gute des wahren deutschen Geistes. Wir sind überzeugt, dass die besten Kräfte Deutschlands und vor allem die deutsche Jugend unserem Rufe folgen werden und sich zusammenscharen unter der Losung der Wandlung und des demokratischen Aufbruchs der Nation. Durchdrungen vom heiligen Wissen, dass wir in diesem Ringen um die deutsche Seele eine hohe, wahrhaft nationale Pflicht zu erfüllen haben, werden wir uns in harter gemeinsamer Arbeit diejenigen Einrichtungen und Mittel schaffen, deren wir zu unserer hohen Aufgabe benötigen; Licht bringen müssen wir in die furchtbare Finsternis, die uns Hitler hinterlassen hat. Wir dürfen die Millionen Verzweifelter nicht ihrer Verzweiflung überantworten, sondern müssen sie hochreißen und ihnen ein neues, großes, leuchtendes Ziel zeigen und eines geben, worauf es in dieser Katastrophe vor allem ankommt: Vertrauen in die Lebensfähigkeit des von all seinen reaktionären Übeln befreiten Volkes und Mut, und Mut!

Die Männer und Frauen, die den "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" ins Leben rufen, wollen beispielgebend vorangehen, da es gilt, aus Ruinen und Schutthaufen ein neues deutsches Leben emporsteigen zu lassen und die erste feste geistige Grundlage zu schaffen für die Neugeburt unseres Volkes.

Johannes R. Becher, Dichter
Bernhard Bennedik, Beauftragter des Magistrats der Stadt Berlin bei der Hochschule für Musik
Gustav Dahrendorf, Redakteur, Mitglied des Zentralvorstandes der SPD
Lic. Otto Dilschneider, evangelischer Pfarrer
Fritz Erpenbeck, Schriftsteller
Ernst Legal, Intendant des Staatstheaters
Kai Moeller, Schauspieler
Dr. rer. pol. Neye
Leo Skrzypczynski, Betriebsleiter
Dr. Eduard Spranger, Rektor der Universität Berlin
Wolfgang Stratmann, Betriebsleiter
Gustav von Wangenheim, Bühnenleiter
Paul Wegener, Präsident der Kammer der Kunstschaffenden
Heinz Willmann, Journalist
Dr. Ferdinand Friedensburg, Regierungspräsident a. D.
Martin Gericke, Generalsekretär der Kammer der Kunstschaffenden
Wolfgang Harich, stud. phil.
Dr. Werner Hoepner, Schriftsteller und Journalist
Herbert Ihering, Dramaturg
Otto Winzer, Leiter der Abteilung Volksbildung beim Magistrat der Stadt Berlin
Dr. Dr. Werner Wittgenstein, Bezirksbürgermeister von Zehlendorf

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