Forderung nach einer neuen deutschen Verfassung
Ullmann: Erfahrungen aus der DDR berücksichtigen
Das Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder veranstaltet am Wochenende in Weimar einen Kongress, auf dem es seine Forderung nach Ausarbeitung einer neuen deutschen Verfassung und deren Vorlage zum Volksentscheid untermauern will. BZ stellte dazu einem der Sprecher des Kuratoriums, dem Volkskammerabgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann (Bündnis 90), einige Fragen.
BZ: Das Grundgesetz ist eine anerkannt demokratische Verfassung. Warum braucht Deutschland eine neue?
W. Ullmann: Weil es nur die Verfassung eines Teils des deutschen Landes ist. Der ostdeutsche Teil hat daran weder mitgewirkt noch mitwirken können. Auch die historischen und politischen Erfahrungen, die in 40 Jahren DDR gesammelt wurden, finden im Grundgesetz keinen Niederschlag.
BZ: Was müsste die neue Verfassung denn beinhalten?
W. Ullmann: Sie müsste einen qualifizierten Katalog der Menschen- und Bürgerrechte beinhalten, in ihr müssten sich die Erfahrungen widerspiegeln, die das deutsche Volk aus Auschwitz, Birkenau und Dachau ableitete wie sie auch verfassungsrechtliche Schlussfolgerungen aus der Stasi-Zeit zu umfassen hätte. Die sozialen Rechte müssten anders als im Grundgesetz gefasst werden. Und aus der Verfassung hätte hervorzugehen, dass der neue deutsche Staat nicht identisch mit der alten BRD, sondern ein demokratisch verfasster Bund deutscher Länder ist.
BZ: Ist mit dem Beitritt nach Artikel 23 die Diskussion über eine neue Verfassung gemäß Artikel 146 nicht faktisch beendet?
W. Ullmann: Keineswegs. Es hat niemals zwei Wege zur deutschen Einheit gegeben. Der Weg über Artikel 146 und damit über die Annahme einer neuen deutschen Verfassung ist der einzig gebotene. Im Artikel 23 wird lediglich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Bonner Anschlusspolitik gesucht.
BZ: Welche Resonanz hat Ihr Kuratorium bisher in diesen Bemühungen erfahren?
W. Ullmann: Wir haben ein weitgehend positives Echo registriert. Ausdrückliche Zustimmung kam aus der SPD, so von Frau Däubler-Gmelin. Auch in der CDU gibt es nicht wenige, die unserem Vorhaben gewogen sind.
Das Gespräch führte
Klaus Bischoff
Berliner Zeitung, Nr. 213, Mi. 12.09.1990