"Der Postminister übte Zensur aus"
Konrad Weiß von "Demokratie Jetzt" und Mitglied der DDR-Regierungskommission für ein neues Mediengesetz begründet den Beschluss gegen die "big four"
I N T E R V I E W
taz: Am Mittwoch hat die Kommission, der du und Mitglieder der Volkskammer und des Runden Tisches angehören, die Verhandlungen der DDR mit den "big four" gestoppt. Die Großverlage Springer, Bauer, Burda und Gruner & Jahr wollten die Werbezeiten des DDR-Fernsehens verkaufen und bundesdeutsche Printmedien in der DDR vertreiben. Habt ihr wegen eurer Entscheidung schon Druck gekriegt?
Weiß: Nein, ich habe noch keine Reaktionen verspürt.
Ihr habt argumentiert, das Verhandlungsergebnis sei rechtswidrig. Warum?
Die Verhandlungen sind zwischen dem CDU-Postminister, dem SED-Kulturminister, dem Presseamt und den vier bundesdeutschen Verlagen geführt worden. Die haben versucht, die Vertriebsrechte, die bisher der DDR-Post oblagen, zu bekommen - zu unwürdigen und lächerlichen Bedingungen. Die Tölpel der alten Parteien haben sich darauf eingelassen, für hundert gebrauchte LKWs die Marktrechte zu verscheuern, sage ich jetzt mal verkürzt. Die vier Großverlage wollten das Vertriebsmonopol der Post übernehmen und die Infrastruktur des Vertriebssystems so erweitern, dass in der Startphase 70 Zeitungen aus der Bundesrepublik vertrieben würden, später maximal 400. Das Skandalöse dabei ist, dass die Auswahl dieser Titel von den Vertretern der vier Großverlage getroffen wurde und von der DDR-Post. Das heißt, der Postminister hat sich angemaßt, auszuwählen, welche Titel in die DDR reinkommen sollen. Er hat also verfassungswidrig Zensur ausgeübt.
In welcher Auflage solltet ihr denn mit unseren Erzeugnissen beglückt werden?
'Bild' sollte mit 100 000 Exemplaren zu je 1,50 DDR-Mark in die DDR kommen, der 'Spiegel' sollte in einer Auflage von 50 000 für je 13,50 Mark geliefert werden, der 'Stern' mit 65 000 Stück zu je 11,40 Mark, die Bunte mit 50 000 und einige andere Boulevardblätter. Gleichzeitig sollte die gesamte Subventionierung der DDR-Presse bis zum 31. März aufgehoben werden. Das heißt, unsere Presse wäre dem Konkurrenzdruck der Großverlage unterlegen, denn sie ist nach Wegfall der Parteisubventionierung ohnehin unter ökonomischen Druck geraten.
Glaubt ihr ernsthaft, Springers Sprung über die Mauer längerfristig verhindern zu können?
Wir werden ihn sicher nicht verhindern können, aber wir wollen, dass es wenigstens keine Monopolisierung gibt. Im Beschluss der Volkskammer vom letzten Montag ist eine solche Monopolisierung ausdrücklich ausgeschlossen worden. Das Skandalöse ist, dass in Kenntnis dieses Gesetzentwurfes die Verhandlungen vom CDU-Postminister und vom SED-Kulturminister trotzdem weitergeführt worden sind.
Was ist denn euer Alternativvorschlag?
Es gibt die Vorstellung, ähnlich wie bei euch einen Presse-Grossovertrieb aufzubauen. Da gibt es erste Gespräche und Kontakte und ein massives Interesse von mittelständischen Betrieben.
Der Vertrieb ist die eine Geschichte, ein Einsteigen bundesdeutscher Großverlage über Joint-ventures in eure Presselandschaft die andere. Die Ost-'Berliner Zeitung’ beispielsweise jieperte in einem Kommentar geradezu auf BRD-Kapital. Wie stehst du dazu?
Ich denke nicht, dass jetzt alles bedingungslos verkauft werden sollte. Sicher, unsere Zeitungen stecken alle in den roten Zahlen. Aber es sollten auch Alternativmodelle angedacht werden. Ich habe zum Beispiel der 'Neuen Berliner Illustrierten' vorgeschlagen, ob sie nicht eine Genossenschaft oder eine GmbH gründen will, wo auch Leser mit einsteigen können. Das hätte auch den Vorteil, dass die hohen Sparguthaben durch solche Kapitalbeteiligungen mit abgebaut werden könnten. Hier muss noch viel mehr Phantasie her, statt immer nach Westgeld zu schreien und nach der Währungsunion, die in Rosstäuschermanier von Herrn Kohl angeboten worden ist.
Gibt es bei euch Vorstellungen, was mit den Journalisten passieren soll, die nun im Zuge der Ökonomisierung der Zeitungen wegrationalisiert werden?
Reine Parteijournalisten haben natürlich keine Chance mehr. Wer gut ist, wird sich momentan auch neue Märkte erschließen können. Aber es gibt natürlich viele, die das Format dazu nicht haben und die Marktmechanismen nicht kennen. Hier sollten Umschulungsprogramme angeboten werden können.
Das Fernsehen soll nun in eine öffentlich-rechtliche Anstalt umgewandelt werden. Ich habe gehört, dass einige Herren sich jetzt schnell noch schöne Auslandsposten sichern, bevor dort alles umgekrempelt wird. Stimmt das?
Wenn die Herren glauben, dass das irgendwas hilft, dann irren sie sich. Am nächsten Dienstag wird der Medienkontrollrat installiert, und da muss zunächst einmal der Intendant bestätigt werden. Und wenn der weiter die abgewrackten Abteilungsleiter und Parteibonzen in die Chefetagen lässt, dann wird er halt gehen müssen.
Interview: Ute Scheub
die tageszeitung, Sa. 10.02.1990