UZ-Interview mit dem Vorsitzenden der IG-Metall der DDR, Hartwig Bugiel

Die Gewerkschaften brauchen ein gemeinsames Dach

Vor welchen Aufgaben stehen die Gewerkschaften in der DDR? Die UZ sprach mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Hartwig Bugiel. Die größte Einzelgewerkschaft der DDR hat rund 1,5 Millionen Mitglieder. Sie will zum 1. 7. Löhne durchsetzen, die bei 70 Prozent des Lohnniveaus in der Bundesrepublik liegen.

UZ: Was halten die DDR-Gewerkschaften vom Staatsvertrag?

Hartwig Bugiel: Wir haben zum Staatsvertrag mehrere Verhandlungen geführt, unter anderem mit Ministerpräsident de Maizière und Staatssekretär Dr. Krause. Wir haben unsere Bedenken zu einer ganzen Reihe von Fragen angemeldet. Ich glaube, uns ist es gelungen, eine entscheidende Frage zu verändern - die Tarifautonomie für die Gewerkschaften. Im Entwurf war noch davon die Rede, dass, solange keine tariffähigen Gewerkschaften und noch keine tariffähigen Unternehmerverbände existierten den Betriebsräten und Unternehmern die Tarifautonomie übertragen werden sollte. Das wäre für die Gewerkschaften das Aus gewesen. Nachdem wir dem Ministerpräsidenten erläutert haben, wie weit wir in der Demokratisierung innerhalb der IG Metall sind, hat er für die Regierung die Übergabe der Tarifautonomie an die Gewerkschaften zugestimmt. Mit diesem Pfund müssen wir nun auch wuchern.

Bei uns im Metallbereich sieht das so aus, dass wir fünf Tarifbezirke analog der zukünftigen Länderstrukturen gebildet haben Das gilt auch für die Unternehmensverbände und ihre Dachorganisationen. Am 18. 5. haben wir zum ersten Mal mit dem Unternehmensverband verhandelt. Unser Hauptziel dabei war zunächst einmal die wechselseitige Anerkennung als Verhandlungspartner.

Das war das Positive. Wo wir nicht mit einverstanden sind, das ist der 2:1-Umtausch beispielsweise für Lebensversicherungen. Da ist die Mark plötzlich nur noch 50 Pfennig wert. Wir sind deshalb damit nicht einverstanden, weil viel Arbeitnehmer mühsam Monat für Monat 50 oder 100 Mark an Leistungen erbracht haben mit dem Ziel, sich damit in zehn Jahren einen Trabant oder Wartburg kaufen zu können. Und nun ist das Ersparte nur noch die Hälfte wert. Ebenso haben wir unsere Bedenken zur Problematik Zusatzrentenversicherung angemeldet. Da muss mehr Klarheit geschaffen werden. Womit wir überhaupt nicht einverstanden sind, ist der Wegfall der Subventionen. Dieser Wegfall mit den zu erwartenden Teuerungen bedeutet, dass das Realeinkommen unserer Einschätzung nach sich um 25 bis 30 Prozent verringern wird. Einige Betriebe sind, wie man hört, auf den Trick gekommen, dass man im Juni zwei Mal Lohn oder Gehalt zahlen will, also im voraus für den Juli mit, um mit der Zahlung von D-Mark-Gehältern erst im August beginnen zu müssen. Das können wir nicht hinnehmen.

UZ: Der Vertreter des neugebildeten Sprecherrates der DDR-Gewerkschaften, Peter Rothe, hat auf dem DGB-Kongress in Hamburg bemängelt, dass DDR-Errungenschaften wie das Recht auf Arbeit oder das Aussperrungsverbot unter den Tisch gefallen sind.

Hartwig Bugiel: Peter Rothe und ich haben da keine unterschiedliche Auffassung. Wir haben die Linie abgestimmt. Die Abschaffung des Aussperrungsverbots und auch die Einschränkung des Streikrechts für Gewerkschaften sind beabsichtigt. Die Regierung hat die Absicht, darüber in der Volkskammer befinden zu lassen. Dadurch sieht der Staatsvertrag optisch annehmbar aus, doch man muss klar erkennen, wo hier die Fallen für uns sind. Auch die Frage des Lohn- und Gehaltsstopp per 1. 5. ist festgeschrieben. Wir können jetzt aushandeln was wir wollen - es wird nicht mehr wirksam hin zum 1. 7.

Zum Aussperrungsverbot ist uns von Regierungsseite das alte Argument, das bei Ihnen ja schon lange bekannt ist präsentiert worden, wonach zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Chancengleichheit herrschen müsse. Die aber hat es noch nie gegeben und wird es auch nie geben. Es wird jetzt darauf ankommen, was in dieser Frage in der Volkskammer bezüglich der Veränderung der DDR-Verfassung dann zur Verhandlung ansteht.

UZ: Ein ganz dringendes Problem wird die zu erwartende Massenarbeitslosigkeit in der DDR werden. Welche gewerkschaftlichen Gegenstrategien gib es?

Hartwig Bugiel: Wir verlangen in erster Linie, dass die jetzigen Leitungen die Situation schonungslos offenlegen. Noch einmal zurück zum Staatsvertrag. Wir waren als IG Metall nie der Auffassung, dass die Währungsunion zum 1. 7. der richtige Zeitpunkt ist. Wir sind der Meinung, dass die Wirtschaft der DDR, die meisten Betriebe diesen gnadenlosen Konkurrenzkampf nicht aufnehmen können. Es wird jetzt eine Vielzahl von Betrieben geschlossen werden, weil sie nicht konkurrenzfähig sind. Zweitens verlangen wir von den Betriebsleitungen eine Lagebeurteilung, damit wir beizeiten anfangen können, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das wird uns sicher nicht immer sofort gelingen. Aber es ist zugleich auch unbestritten, dass auf dem Dienstleistungssektor noch ein großer Bedarf bei uns existiert. Das gilt auch für den Bereich der Versicherungen. Es wird aber schwierig sein, einen Kollegen, der an der Maschine gearbeitet hat für eine solche Tätigkeit zu gewinnen. Vor den Problemen der Älteren ganz zu schweigen.

UZ: Was bleibt für die?

Hartwig Bugiel: Noch mit den alten Ministerien haben wir versucht, in die Zukunft zu blicken. Aber das ist unter den heutigen Bedingungen schwierig. Wer heute in der DDR acht Wochen überblickt, ist schon fast ein Genie. Dennoch haben wir mit den alten Industrieministerien Rationalisierungsschutzabkommen vereinbart, wo es uns gelungen ist, diese Kollegen zumindest sozial abzusichern. Sei es durch Abfindungen, sei es durch Überleitungsverträge. Das aber setzt eins immer voraus - dass nämlich die Gewerkschaften in den Betrieben das mit ihren Betrieben auch umsetzen. Das gilt auch für notwendige Umschulungen. Aber auch hier liegen noch keine klaren Konzeptionen vor.

UZ: Sie sind gerade auf dem Weg zum DGB-Kongress nach Hamburg. Wie soll die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in der Bundesrepublik aussehen?

Hartwig Bugiel: Wir haben uns wie Sie wissen, uns vom alten FDGB politisch getrennt. Er gilt nur noch als juristische Person, um nicht alle Rechte, die in den DDR-Gesetzen, in der DDR Verfassung verankert sind, automatisch hinfällig werden zu lassen, weil dort immer vom FDGB die Rede ist. Auch die Vermögensfragen spielen natürlich noch eine Rolle. Wir wollen ja das Vermögen vom FDGB auf die Industriegewerkschaften aufteilen.

Wir haben uns dazu bekannt, auch in Hamburg, dass wir uns mit den Industriegewerkschaften unter dem Dach des DGB vereinigen wollen. Unsere Konzeption steht so aus, dass das noch in diesem Jahr passieren soll weil wo einfach ein vernünftiges Dach brauchen. Kollege Breit hat das sehr schön gesagt als er davon sprach, wenn das Dach nicht dicht ist, dann regnet es rein. Und das darf nicht passieren. Das ist auch unsere Meinung.

Zur Zusammenarbeit mit den Industriegewerkschaften. Auch dort laufen die Vorbereitungen zur Einleitung von Schritten, dir dazu führen sollen, dass die Vereinigung der beiden Industriegewerkschaften Metall noch vor der staatlichen Einigung erfolgt. Ich glaube, das ist eine zwingende Notwendigkeit. Wir sind selbstbewusst als IG Metall der DDR, aber wir sehen auch, dass die IG Metall der Bundesrepublik eine der erfahrensten und stärksten Gewerkschaftern in Westeuropa ist, die viele Erfolge gegen das Kapital errungen hat. Es wäre töricht und politisch falsch und dumm, wenn wir nicht in einem vereinten Deutschland auch eine vereinte IG Metall haben würden. Durch eine Vereinigung würde unsere Schlagkraft insgesamt nur erhöht werden können.

Das Gespräch führte Helmut Weinand

unsere zeit Fr. 01.06.1990

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