DDR 1989/90 Brandenburger Tor

Schwarzarbeit auf schwarzer Liste

Fragen an BERTHOLD KELLER, Vorsitzender der Gewerkschaft Textil-Bekleidung im DGB

• Kontakte zwischen der IG TeBeLe und der Gewerkschaft TeBe im DGB bestehen seit langem. Bekommen sie jetzt einen neuen Inhalt?

Sicher. Die Gewerkschaft in der DDR formiert sich im Moment frei und unabhängig von Partei und Regierung, eben als Interessenvertreter der Arbeitnehmer und ihrer Familien. Wie das geschieht, muss hier im Land entschieden werden, da mischen wir uns nicht ein. Aber auf Anfragen geben wir unsere positiven und negativen Erfahrungen gern weiter. Übrigens glaube ich nicht, dass man hier alles Erreichte einfach über Bord werfen sollte.

• Um Rat gebeten werden die Gewerkschaften im DGB dieser Tage oft in Fragen der Tarifautonomie . . .

Da können wir aus unserer Sicht nur sagen, dass größter Wert darauf gelegt werden muss. Wir, die Gewerkschaft Textil-Bekleidung, sind bereit, Experten auf diesem Gebiet zur Verfügung zu stellen. Ob eure Gewerkschaft unsere Arbeitsweisen übernehmen, sich daran ausrichten oder völlig neue Formen finden wird, muss ihr überlassen bleiben.

• Eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit und Verflechtung von Betrieben der DDR und Unternehmen der BRD zeichnet sich ab. Wag bedeutet du für die Gewerkschaften?

In den wirtschaftlichen Beziehungen spielen Produktion, Warenaustausch, Produktionskosten usw. eine Rolle. Davon werden die Arbeitnehmer beider Staaten betroffen sein. Logisch folgt daraus, dass die Gewerkschaften enger zusammenarbeiten müssen. Es darf nicht passieren, dass Arbeitnehmer beider Selten gegeneinander ausgespielt werden. Nur ein Beispiel. Schiesser, der größte Trikotagenproduzent in Europa, oder Triumph, gleichbedeutend auf dem Gebiet der Miederwaren, produzieren ja auch in der DDR. Die Leistungsnormen, die diese Firmen exportierten, stießen auf großen Widerstand der Kollegen hier, waren aber niedriger als in der BRD. Das hatte bei uns Auswirkungen. Hier müssen die Gewerkschaften gemeinsam gegenhalten.

• In einigen Betrieben bilden sich bei uns Betriebsräte. Was spricht dafür oder dagegen?

Die Frage der Betriebsräte sollte man der gesellschaftlich-politischen Diskussion überlassen. Nach den Wahlen am 6. Mai wird die dann existierende Regierung der DDR die gesellschaftlichen Strukturen in die Formen gießen, die das Wahlergebnis gebracht hat. Ich könnte mir vorstellen, dass dann über die Betriebe geregelt wird, wie die gewerkschaftliche Vertretung aussieht. Außerdem muss man das Thema Betriebsräte ja nicht nur durch die bundesdeutsche Brille betrachten.

• Stichwort Schwarzarbeit, Angst vor dem Ausverkauf der DDR - wie steht Ihr dazu?

Ganz eindeutig. Schwarzarbeit, die ja auch bei uns verboten ist, muss aufs schärfste bekämpft werden. Hier muss die DDR Maßnahmen ergreifen, solche wie Pass- beziehungsweise Visaentzug halte Ich für nützlich.

• Haben Lohndrücker aus der DDR in der Textilbranche eine Chance?

Nein, wir haben eigentlich überall gut funktionierende Betriebsräte, die dafür sorgen, dass das nicht passiert. Überhaupt sind die Berichte unserer Betriebsräte zu übergesiedelten DDR-Bürgern, die in der Textilbranche arbeiten, durchweg positiv. Sie werden vorbehaltlos eingestellt. Allerdings macht natürlich mancher die Erfahrung, dass die vollen Schaufenster ihren Preis haben - Leistung.

Ilona Möser

Tribüne, Di. 09.01.1990

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