Gewerkschaft oder Berufsverband?

Militärreform fordert breite Mitbestimmung

Die Prozesse der radikalen Demokratisierung der Gesellschaft machen um die Nationale Volksarmee keinen Bogen. Ausdruck dessen ist die eingeleitete Militärreform. Dabei liegt die Betonung auf dem Attribut eingeleitet, denn was Dynamik und Effektivität angeht, gibt es Unzufriedenheit bei allen Dienstgradgruppen und auch Zivilbeschäftigten.

Eine mögliche Form demokratischer Interessenvertretung in den Streitkräften ist nach Meinung vieler Armeeangehöriger eine Gewerkschaft, sie wird von ihnen als unverzichtbarer Bestandteil der Militärreform betrachtet. Folgende Überlegungen führten zu diesem Standpunkt:

• Sicherung demokratischer Mitbestimmung in, und demokratischer Kontrolle über die Armee (Verhinderung jedes missbräuchlichen Einsatzes);

• die Mehrzahl der Berufskader ist bereits "ruhendes" Mitglied, viele Soldaten im Grundwehrdienst bzw. Soldaten auf Zeit sind Mitglied einer Gewerkschaftsorganisation;

• Wiederherstellung der Einheit von Volk und Armee könnte durch arbeitsrechtlich analoge Organisationsformen der Werktätigen in allen gesellschaftlichen Bereichen gefördert werden;

• nutzen der reichen Erfahrungen der Arbeit der Gewerkschaften, einschließlich der Inanspruchnahme bereits existierender gesetzlicher Grundlagen für ihre Tätigkeit;

• nicht zuletzt sind Forderungen der Gewerkschaften, wie sie auf dem Außerordentlichen FDGB-Kongress erhoben wurden, auch berechtigte Forderungen der Armeeangehörigen.

Welche Argumente hält man den Gewerkschaftern in Uniform entgegen?

Ich möchte hier nur auf die zwei wichtigsten eingehen.

Ein erstes, sind militärische Einzelleitung und gewerkschaftliche Interessenvertretung miteinander zu vereinbaren? Wir meinen ja. Zu überlegen ist in diesem Zusammenhang, ob sich nicht auch Krieg-Frieden-Streitkräfte, mit der Erkenntnis, dass Kriege nicht mehr führbar sind, Fragen stellen nach dem "wie" der Einzelleitung. Bisher war sie ausschließlich aus den Erfordernissen der Kriegsführung abgeleitet.

Zu beachten ist hier auch ein psychologischer Aspekt - Armee und Gewerkschaft haben in der Vergangenheit noch nie zusammengepasst, nicht selten wurden Diskussionen mangels besserer Argumente mit dem Schlusswort "wir sind doch nicht bei der Gewerkschaft" beendet. Also auch hier ist neues Denken gefragt!

Ein zweites Argument - Gewerkschaft steht in Verbindung mit Streikrecht, dies gehe in einer Armee schon überhaupt nicht. Dazu Auszüge aus dem Entwurf unserer Satzung, dort heißt es:

"Die Gewerkschaftsorganisation der Armeeangehörigen (GOAA) ist für die demokratische Ausgestaltung der Einzelleitung im Garnisonsdienst und stellt im Verteidigungszustand die gewerkschaftliche Interessenvertretung ein." Und an anderer Stelle: "Auf Grund der Verantwortung der Streitkräfte für die Bewahrung der äußeren Sicherheit nur anzuwenden, um einen verfassungswidrigen und gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Einsatz der Streitkrähe zu verhindern.

Kennzeichnend für die Gewerkschaftsbewegung in der Armee ist zur Zeit, dass sie vor allem bei jüngeren Berufskadern, aber auch einem Teil der älteren, auf großen Zuspruch trifft und von ihnen getragen wird, bei dem anderen Teil dominieren eine abwartende bzw. ablehnende Haltung.

Insgesamt veranlasst uns die derzeitige Entwicklung, die Perspektive der GOAA mit Optimismus zu betrachten.

Demokratische Mitbestimmung und Interessenvertretung in der Armee lassen sich am effektivsten über die GOAA realisieren. Gleichzeitig erkennen wir die Notwendigkeit eines Verbandes der Berufssoldaten (VHS) an, da es eine ganze Reihe von Interessensphären gibt, die die GOAA, da sie keine politische Organisation ist, nicht wahrnehmen kann.

Wir sind also für beide Interessenvertretungen und ihr konstruktives Miteinander.

Oberst Friedemann Munkelt,
Mitglied des Zentralen Koordinierungsbüros der Gewerkschaft der Armeeangehörigen

Berliner Allgemeine, Mi. 21.02.1990

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