Was ist los mit den Löhnen?

Gewerkschaftliche Grundprinzipien zum sozialistischen Leistungsprinzip

1. Die Gewerkschaften treten konsequent dafür ein, das sozialistische Prinzip "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" uneingeschränkt durchzusetzen

In der umfassenden Verwirklichung des sozialistischen Leistungsprinzips sehen die Gewerkschaften ein wichtiges Feld der Interessenvertretung der Werktätigen. Sie verstehen das sozialistische Leistungsprinzip als ein unverzichtbares Handlungs- und Verteilungsprinzip, das für alle Bereiche und Ebenen der Gesellschaft gilt und sowohl die individuellen als auch die Interessen der Arbeitskollektive, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen beeinflusst.

In seinem Mittelpunkt soll nach dem Willen der Gewerkschaftsmitglieder stehen, dass die Verteilung und damit die materiellen Lebensbedingungen aller arbeitenden Menschen durch das gleiche Maß bestimmt werden: durch die von ihnen geleistete Arbeit.

Es entspricht sozialer Gerechtigkeit, dass Lohn und Prämie sich durch unterschiedliche Leistungen differenziert entwickeln. Das erfordert, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten durch eine ökonomisch ergiebige, produktive Arbeit voll zu entfalten und seine Individualität zu entwickeln.

Steigende Leistungen sollen zu steigenden Einkommen führen. Es wird aber auch nicht verschwiegen, dass bei mangelhafter eigener Leistung auch nur Anspruch auf ein entsprechend niedrigeres Einkommen besteht.

So wird die von der Leistung abhängige Entwicklung der Einkommen zur starken Triebkraft für den ökonomischen und sozialen Fortschritt.

Das sozialistische Leistungsprinzip, das Leistungsstreben kann nur in einer offenen, ehrlichen Atmosphäre gedeihen und dazu beitragen, ein starkes ökonomisches und moralisches Interesse an guter Arbeit zu schaffen. Vor allem auf diesem Wege wird das Wachstumsziel einer reformierten Wirtschaft, eine höhere Lebensqualität, erreicht. Durchsetzung des sozialistischen Leistungsprinzips ist für die Gewerkschaften zugleich lebendige sozialistische Demokratie, keine Entscheidung darf getroffen und keine Vereinbarung abgeschlossen werden, die nicht zuvor öffentlich zur Diskussion gestellt wurde.

Es bleibt eine unbestreitbare Wahrheit, dass vor der Verteilung die Arbeit, die Leistung steht.

Das erreichte hohe Niveau sozialer Sicherheit, das Recht auf Arbeit, die Möglichkeiten ungehinderter Qualifizierung, die Sicherung im Krankheitsfall - all das schafft günstige Bedingungen für die konsequente Verteilung nach der Leistung.

Nach wie vor treten die Gewerkschaften dafür ein, dass jeder gleichen Lohn für gleiche Arbeit - unabhängig von Alter, Religion, Nationalität und Geschlecht - erhält und das persönliche Einkommen das Ergebnis der eigener. Leistung ist.

Die Gewerkschaften treten für eine dynamische Einkommensentwicklung und begründete Einkommensrelationen zwischen den Werktätigen In allen Bereichen der Volkswirtschaft ein.

Die Einkommen der Werktätigen sind im Zusammenhang mit der Entwicklung der Leistungskraft der Wirtschaft sowie in Übereinstimmung mit der Preis- und Subventionspolitik festzulegen. Die Gewerkschaften treten für begründete Proportionen von Einkommen (Kauffonds) und verfügbaren Warenfonds ein. Die Gewerkschaften setzen sich dafür ein, dass in zunehmendem Maße die Mittel für die Entwicklung der Einkommen in den Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen mit wirtschaftlicher Rechnungsführung selbst erwirtschaftet werden. Steigende Produktivität und Effektivität, die im Gewinn ihren Ausdruck finden, sollen das Verhältnis Leistung und Lohn bestimmen und die Basis für die Lohnfondsbildung und -verwendung sein.

Es wird vorgeschlagen

• Die Erfahrungen der Kombinate und Betriebe, die die Mittel für die erweiterte Reproduktion selbst umfassend erarbeiten, sind zu analysieren und die Ergebnisse sind zu verallgemeinern. Mit der gebotenen Sorgfalt sind schrittweise alle Kombinate, Betriebe und Einrichtungen mit wirtschaftlicher Rechnungsführung in die Erwirtschaftung ihrer Stimulierungsfonds einzubeziehen. Auf der Grundlage der selbst erwirtschafteten Fonds und durch eine von den Ergebnissen abhängige Gestaltung der Arbeitseinkommen sollen die Werktätigen deutlicher spüren, dass sie die Eigentümer ihrer Betriebe sind.

In den haushaltgeplanten und anderen, nicht nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitenden Betrieben und Einrichtungen muss die Einkommensentwicklung in festzulegenden Proportionen zur Volkswirtschaft insgesamt bestimmt werden. Ein Zurückbleiben in der Lohnentwicklung gegenüber anderen Bereichen ist zu verhindern.

• In den privaten Handwerks- und Gewerbebetrieben sollen sich die Einkommen der dort Beschäftigten ebenfalls entsprechend der Leistung entwickeln. In der Höhe sollen sie denen der sozialistischen Wirtschaft entsprechen.

Die Gewerkschaften werden darüber wachen, dass Veränderungen der Subventions- und Preispolitik gründlich vorbereitet und auf ihre Wirkungen hinsichtlich der Entwicklung der Realeinkommen sorgfältig abgewogen werden. Sie drücken die Erwartungen der Gewerkschaftsmitglieder aus, wenn sie verlangen, dass mit der Veränderung von Subventionen und Preisen sowie von Steuern kein erreichtes Lebensniveau preisgegeben werden darf.

Veränderungen von Strukturen in allen Bereichen der Volkswirtschaft dürfen nicht zu materiellen Nachteilen der davon betroffenen Werktätigen führen. Dazu sind die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Es wird der Regierung empfohlen, im Interesse der Vermeidung von Härtefällen bzw. der sozialen Sicherung der Werktätigen einen dementsprechenden sozialen Ausgleidsfonds einzurichten, der durch die Betriebe finanziert wird

Die Gewerkschaften wissen, dass nicht alles von heute auf morgen zu verwirklichen ist. Sie werden neben ihrer konstruktiven Mitwirkung aber auch die Kontrolle darüber verstärken, dass nichts aus dem Auge verloren wird.

2. Die Gewerkschaften erwarten von der Regierung, dass alle notwendigen Bedingungen für die uneingeschränkte Wirksamkeit des sozialistischen Leistungsprinzips gewährleistet werden

Ausgehend von der Bereitschaft der Werktätigen, hohe Leistungen in allen Bereichen der Volkswirtschaft zu vollbringen, ist es unumgänglich, durch eine wissenschaftliche Organisation und Leitung der Arbeit, die Beherrschung der Kooperation, die Bereitstellung von Material, Zulieferungen, Ersatzteilen u. a. einen stabilen kontinuierlichen Ablaut der Produktion zu sichern.

Auf diese Weise sind die Bedingungen für eine gute Arbeitsmoral und -disziplin, für die Gewährleistung des Grundsatzes "Arbeitszeit ist Leistungszeit", für die Erschließung von Wachstumsreserven zu schaffen.

Die Mitglieder der Gewerkschaften - vertreten von ihren Leitungen - sehen es als eine unerlässliche Voraussetzung für die Wirksamkeit des Leistungsprinzips an, dass durch die angekündigte Wirtschaftsreform Bedingungen geschaffen werden, die zu realen, anspruchsvollen Plänen führen, die erfüllbar sind, und die auf einer realistischen Analyse der vorhandenen Mittel und Kräfte, einer ausgewogenen Bilanzierung den Erfordernissen des Marktes entsprechen sowie der breiten demokratischen Mitwirkung der Werktätigen beruhen.

Die Gewerkschaften erwarten von den Leitern der Betriebe, dass sie im Interesse der Durchsetzung des Leistungsprinzips gemeinsam mit den Werktätigen entsprechend den konkreten Bedingungen der Arbeit und den Leistungszielen der Betriebe begründete Leistungsmaßstäbe ausarbeiten und ständig aktuell halten.

Es ist unumgänglich, den Lohn konsequent entsprechend der nachgewiesenen Leistung zu gewähren. Für jeden Werktätiger müssen die Beziehungen zwischen Leistung und Lohn durchschaubar sein.

Die Leistungsbewertung ist von jeder Geheimniskrämerei zu befreien, sie muss öffentlich in den Arbeitskollektiven sein. Die Ursachen hoher und weniger guter Leistungen sind offen darzulegen und entsprechende Veränderungen herbeizuführen.

Formalistische Entlohnungs- und Prämiensysteme, die dem Leistungsprinzip und dem Nachweis der persönlichen Leistung widersprechen, sind zu beseitigen.

Zu den notwendigen Bedingungen für das Wirken des Leistungsprinzips gehören nach Auffassungen der Gewerkschaften auch ein aktives, jederzeit verfügbares Angebot an Lebensmitteln, Konsumgütern und Dienstleistungen in verschiedenen Preisklassen sowie vielfältige Möglichkeiten für eine interessante Kulturbetätigung und Freizeitgestaltung.

Von der Regierung wird erwartet, dass auch andere das Leistungsprinzip in seiner Wirkung einschränkende Maßnahmen verändert bzw. überwunden werden.

3. Die Gewerkschaften treten dafür ein, dass schrittweise grundlegende Reformen des Lohn-, Tarif-und Steuersystems durchgeführt werden und damit zum frühstmögIichen Zeitpunkt begonnen wird

Im engsten Zusammenhang mit einer Wirtschaftsreform sind nach Auffassung der Gewerkschaften das Lohn- und Tarifsystem zu erneuern und Entscheidungen über die Besteuerung des Lohnes zu treffen. Die Gewerkschaften werden dazu ihre eigenen Vorschläge einbringen.

Für ein neues Tarifsystem werden folgende Gesichtspunkte unterbreitet:

- Die Anzahl der Tarifbereiche und -tabellen ist weiter zu verringern, um noch besser dem gestiegenen Bildungsniveau der Werktätigen und den konkreten Produktions- und Arbeitsbedingungen zu entsprechen, noch vorhandene Ortsklassen sind zu beseitigen;

- die Tante sind stärker nach Qualifikation und Verantwortung zu differenzieren, damit die Übernahme und Wahrnehmung höherer Verantwortung und der Erwerb höherer Qualifikation wirksamer gefördert werden;

- die unteren Einkommen sollten weiter angehoben werden, die Festlegung eines neuen Mindestlohnes ist zu prüfen;

- für artgleiche Tätigkeiten wie das Fahren von LKW, für Küchenkräfte, Sekretärinnen usw. sind Querschnittstarte auszuarbeiten;

- die Vielzahl von Zuschlägen ist zu reduzieren, für gleiche Erschwernisse sind gleiche Zuschläge zu gewähren. Das gilt ebenfalls für Vergütungen wie Werkzeuggeld, Arbeitsbereitschaft u. a.;

- die Lohnzuschläge für Auswärtsarbeit auf Montagebaustellen sind zu vereinheitlichen, es ist ein neues Montageabkommen zu vereinbaren;

- die Eingruppierungsunterlagen sind neu zu erarbeiten, sie sind handhabbarer zu gestalten und zu vereinfachen:

- die Regelungen für Dienstreisen (Reisekosten) sind dem gestiegenen Preisniveau anzugleichen.

Zu den Zielen dieses neuen Tarifsystems muss es gehören, die Arbeitseinkommen, vor allem die Löhne und Gehälter, wieder für jeden Werktätigen verständlich und überschaubar zu machen.

Bestandteil des Tarifwerkes müssen neue Tarife für Beschäftigte in den privaten Handwerks- und Gewerbetrieben sein.

Die Gewerkschaften schlagen vor, die Reform der Lohnsteuer durch die Regierung so zu konzipieren, dass für alle Beschäftigten gleiche Besteuerungsprinzipien gelten. Es sollten darüber hinaus Sofortmaßnahmen geprüft werden, die unverzüglich die von der Lohnsteuer ausgehenden Hemmnisse auf das Leistungsprinzip beseitigen, mindestens jedoch einschränken.

Vorgesehene Lohnmaßnahmen bzw. Tarifveränderungen sind vor der Beschlussfassung grundsätzlich öffentlich bekanntzugeben, ihr Inhalt und ihre Auswirkungen sind den Werktätigen zu erläutern.

4. Die Gewerkschaften beanspruchen einen bestimmenden Einfluss auf die Einkommenspolitik, vor allem auf die Lohn- und Prämienpolitik.

Die Gewerkschaften als eigenständige, unabhängige Organisationen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sichern ihren Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und die Lebenslage der arbeitenden Menschen durch ihre konstruktive Mitbestimmung an allen die Einkommen berührenden Entscheidungen.

Sie schlagen hierzu folgendes Arbeitsprinzip vor:

Der Bundesvorstand des FDGB und die Regierung der DDR vereinbaren nach Beratung mit den Zentralvorständen der IG/Gew. die Grundlinie und die Grundproportionen der Einkommenspolitik sowie die dazu notwendigen rechtlichen Regelungen. Für die Verwirklichung einer flexiblen Tarifpolitik wird ein Tarifrahmen vorgeschlagen, innerhalb dessen von den Tarifpartnern die konkreten, ihren Zweig betreffenden Tarifsätze abgeleitet werden. Dieser Tarifrahmen wird entsprechend gegebenen Erfordernissen verändert bzw. neu vereinbart.

Der FDGB-Bundesvorstand verstärkt dazu seine analytische Arbeit auf dem Gebiet des Arbeitseinkommens. Er erwartet dazu eine entsprechende Offenlegung von Angaben, z. B. zum Lebens-Index, durch die Regierung.

Die Zentralvorstände vereinbaren mit den zuständigen Ministern die den spezifischen Bedingungen entsprechende Lohn- und Tarifpolitik in ihrem Verantwortungsbereich. Sie entscheiden in voller Verantwortung im Rahmen der zwischen Regierung und Bundesvorstand des FDGB vereinbarten Grundlinie der Lohnpolitik.

Sie vereinbaren mit den zuständigen Ministern die für ihren Zweig/Bereich erforderlichen Tarifsätze und treffen die rechtsverbindlichen Regelungen in ihren Rahmenkollektivverträgen (RKV).

Die Rolle und Autorität der RKV als Rechtsgrundlage für die Gestaltung der Arbeits-, Lohn- und Urlaubsbedingungen als Ausdruck gewerkschaftlicher Mitbestimmung ist entschieden zu erhöhen.

Das gleiche gilt für die Tarifverträge für die Beschäftigten des privaten Handwerks und der Gewerbebetriebe.

Die RKV und Tarifverträge sind übersichtlich zu gestalten und zu erhalten Sie sind Arbeits- und Rechtsinstrument jeder Gewerkschaftsleitung. Die Tarifpartner entscheiden in eigener Verantwortung über Ergänzungen und Neufassungen.

Sie geben Orientierungen für die Ausgestaltung der Lohn- und Prämienformen in ihrem Verantwortungsbereich heraus.

Die Rolle und Aufgaben der territorialen Organe des Staates und der Gewerkschaften bei der Gestaltung der Lohn-und Tarifbedingungen in kommunalen Betrieben und Einrichtungen sind herauszuarbeiten.

• In den Betrieben, Kombinaten und Einrichtungen ist das Hauptfeld für die konkrete Durchsetzung der Einkommenspolitik im Rahmen der für den Zweig geltenden tarifrechtlichen Regelungen.

Sie gestalten in voller eigener Verantwortung unter den spezifischen betrieblichen Bedingungen ihre leistungsorientierten Lohn-, Prämien- und anderen Stimulierungssysteme.

Die für den Betrieb bzw. die Einrichtung zu treffenden Regelungen und Vereinbarungen sind in gewerkschaftlichen Mitgliederversammlungen und den Vertrauensleutevollversammlungen gründlich zu beraten und auf ihre Verwirklichung zu kontrollieren.

Die für den Betrieb bzw. die Einrichtung zu treffenden Regelungen und Vereinbarungen sind in gewerkschaftlichen Mitgliederversammlungen und den Vertrauensleutevollversammlungen gründlich zu beraten und auf ihre Verwirklichung zu kontrollieren.

Betriebsleiter und Gewerkschaftsleitung vereinbaren für jedes Planjahr die leistungsorientierte Verwendung der zur Verfügung stehenden Stimulierungsmittel.

Den Betriebskollektiven ist das Recht zu gewähren, Umfang, Art und Zeitpunkt der Verwendung der erarbeiteten Mittel innerhalb eines vorgegebenen Rahmens auf demokratischer Grundlage selbst zu bestimmen. Vereinbarungen dazu werden in den Betriebskollektivverträgen getroffen.

Die Autorität und Befugnisse der Leiter von Arbeitskollektiven sowie der gewerkschaftlichen Vertrauensleute kann dadurch erhöht werden, dass sie künftig über einen Teil der Lohnmittel, die zusätzlich vom Kollektiv erwirtschaftet worden sind, verfügen und für die Leistungsanerkennung einsetzen können.

Der Bundesvorstand fordert die Regierung auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um Kader auf dm Gebiet des Arbeitsrechts, der Lohnpolitik und der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (einschließlich der Leistungsbewertung) zu qualifizieren.

In diese Qualifizierung sind die Leiter der Arbeitskollektive, vor allem die Meister, einzubeziehen.

Die Gewerkschaften werden entsprechend ihrer Verantwortung der Ausbildung von Gewerkschaftskadern auf diesem Gebiet breiten kaum geben.

Tribüne, Nr. 240, Mi. 06.12.1969

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