Vorbereitungskomitee für außerordentlichen Kongress

Kämpft um Erhalt eurer Rechte!

von WERNER PEPLOWSKI, Vorsitzender des Vorbereitungskomitees

Kolleginnen und Kollegen! In einer äußerst ernsten Bewährungsprobe für die Gewerkschaften wende ich mich an Euch, an jeden einzelnen Gewerkschafter. In unserem Land wird es marktwirtschaftliche Bedingungen geben. Die Gewerkschaften werden sich auf ganz neue Art und Weiser bewähren müssen, um die Interessen der Werktätigen zu schützen. Neue Bedingungen, Anforderungen und Vertrauensverlust des FDGB erfordern schnellstmögliche Erneuerung des Bundes der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften. Gerade zu dieser Zeit kann man, wenn auch vereinzelt. Rufe nach Auflösung des FDGB hören.

Kollegen, die Ihr das fordert, seid Ihr Euch dessen bewusst, was das für Konsequenzen hätte, den Bund der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften aufzulösen? Wenn wir jetzt alles auflösen würden, wie sollte dann Interessenschutz unter den komplizierten Bedingungen gewährleistet werden?

Den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund aufzulösen, das hieße, eine Errungenschaft des über hundertjährigen Kampfes der deutschen Gewerkschaftsbewegung aufzugeben. In allen Ländern, in denen der gewerkschaftliche Kampf Traditionen hat, haben sich Industriegewerkschaften und Gewerkschaften zu festen Bünden zusammengeschlossen - selbst die starken Industriegewerkschaften und Gewerkschaften in der BRD.

Wir dulden keinen Ausverkauf

Jetzt, wo sich die Bedingungen in unserem Land so verändert haben, dass wir die reale Chance haben, uns wirklich frei und unabhängig wie es der Name Freier Deutscher Gewerkschaftsbund besagt - zu entwickeln, ausgerechnet jetzt sollen wir das aufgeben? Gewerkschafter! Sagt nein dazu! Unterstützt uns dabei, die Gewerkschaften von unten zu erneuern! Wir müssen schneller sein als das einfließende Kapital. In zwei Wochen wird der außerordentliche FDGB-Kongress stattfinden. Dort werden die von Euch mit Vertrauen ausgestatteten Delegierten Grundsatzentscheidungen zur Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit treffen.

Aber mehr noch. Den im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund vereinigten Industriegewerkschaften und Gewerkschaften, den gewerkschaftlichen Leitungen in den Betrieben und Einrichtungen sind in der Verfassung und im Arbeitsgesetzbuch Rechte eingeräumt, um die uns Gewerkschafter aus vielen Ländern beneiden. Wir werden mit allen Mittel darum kämpfen, dass sie uns bei den bevorstehenden Veränderungen der Verfassung und der Gesetzgebung nicht genommen, sondern dass sie ausgebaut werden Das Gewerkschaftsgesetz und ein Antrag zur Änderung des Arbeitsgesetzbuches sind in Arbeit und in den Gesetzgebungsplan der Volkskammer aufgenommen. Damit stellen neue Rechte für die Gewerkschaften fixiert werden. Dazu gehört nicht nur Tarifautonomie, sondern auch Sicherung des traditionell bewährten gewerkschaftlichen Kampfmittels - das Streikrecht.

Preispolitik nur mit uns

In der Verfassung der DDR Artikel 45Verfassung der DDR, Artikel 45, wird den Gewerkschaften umfassende Mitbestimmung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingeräumt. Jetzt sind alle Bedingungen geschaffen, um sie ohne Bevormundung wahrzunehmen. Deshalb haben wir als Komitee dagegen protestiert, dass Preispolitik weiter hinter verschlossenen Türen gemacht wird. Wir wollen vorher wissen, wie aus Subventionsabbau freigesetzte Mittel eingesetzt werden, damit nicht Bürger und Familien mit ohnehin niedrigen Einkommen an den Rand des Existenzminimums geraten. Wir werden keine weiteren Preiserhöhungen zulassen, ehe nicht zumindest Grundaussagen zum Gesamtpaket der Veränderungen der Preis- und Subventionspolitik vorgelegt werden. Die stellvertretende Ministerratsvorsitzende, Frau Prof. Luft, hat am 22. 12. 1989 auf Anfrage des FDGB zugesagt, dass solch ein Konzept vorgelegt werde. Preise sind verändert worden, weitere Veränderungen sind angekündigt, ohne dass die Zusage eingelöst wurde.

Ihr seht, Kollegen, Zeiten des harten gesellschaftlichen Kampfes sind angebrochen. In diesem Zusammenhang erfüllen uns Forderungen nach Betriebsräten mit großer Sorge. Unternehmer, die in unserem Land investieren werden, Direktoren, die sich schon heute fieberhaft in der BRD über Betriebsräte informieren, werden den Druck weiter erhöhen. Kollegen, tretet entschieden dagegen auf, dass in den Betrieben und Einrichtungen Betriebsräte und Gewerkschaften existieren. Lasst eine Zersplitterung der Interessenvertretung, die eindeutig die Positionen der Gewerkschaften schwächt, nicht zu, Selbst Gewerkschafter aus der BRD warnen uns davor, unsere Rechte aufzugeben. Wolfgang Berger, Rechtsexperte der IG Metall aus der BRD, nennt Betriebsräte im Verhältnis zu unseren Rechten Samariter mit Pflaster.

Informiert Euch selbst. Schlagt in der "Tribüne" vom 12. 12. 1989 nach. Schaut auch noch einmal in die "Tribüne" vom 2. und 3. Januar. Gewerkschafter aus dem Werkzeugmaschinenkombinat "Fritz Heckert" in Karl-Marx-Stadt nannten das, was hier angestrebt wird, schlichtweg "Kuhhandel". Also kämpft um den Erhalt Eurer Rechte. Ihr werdet sie gerade jetzt dringend brauchen, um Eure Interessen zu schützen.

Schweres Erbe und Ungeduld

Kollegen, wo seid Ihr, von Eurem Komitee kommt an der Basis nichts an - so begann am 6. 1. 90 die Diskussion am Runden Tisch, zu dem das Komitee zur Vorbereitung des außerordentlichen FDGB-Kongresses eingeladen hatte. Deshalb kurz einiges zum Komitee. Wir wissen, es gibt noch Skepsis, vielen geht es zu langsam. Aber wir haben erst am 9. 12. 89, also vor rund fünf Wochen, das schwere Erbe angetreten. Die Mitglieder des 33köpfigen Komitees sind nicht vorn alten Bundesvorstand "ausgesucht". Wer im Komitee ist, hat die Zustimmung der Zentralvorstände der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften. Als Vorsitzender der IG Druck und Papier wurde ich zum Vorsitzenden des Komitees gewählt. Diese Wahl anzunehmen war kein leichter Entschluss für mich. Hartwig Bugiel Vorsitzender der IG Metall - ist ebenfalls Komiteemitglied. Basisleute wie Peter Pischner aus dem KWO, Renate Szezepanek, BGL-Vorsitzende im VEB Schiffselektronik Rostock, bieten die Gewähr, dass die Fragen der Basis bei uns auf dem Tisch sind.

Na, und Rainer Schramm, BGL-Vorsitzender im VEB Elektrokohle, als Leiter des Untersuchungsausschusses dürfte Euch sicher kein Unbekannter mehr sein. Sein Ausschuss kämpft darum, Licht in das Dunkel zu bringen. Ich kann Euch bestätigen, wie kompliziert das ist. Vieles ist unheimlich verworren. Kein Wunder. Man hat eben dafür gesorgt, dass niemand so schnell in die Karten gucken kann.

Aber das ist nur eine Seite des schweren Erbes. Ich nenne nur das Stichwort "50 Millionen Soligelder für die FDJ". Wir werden nicht darüber entscheiden, wie sie genutzt werden sollen. Das werden die Delegierten des Kongresses tun. Es gibt aber auch eine Reihe von Problemen, die aus vorschnellen Entscheidungen des vorigen Arbeitssekretariats entstanden sind. Außerordentlicher Kongress mitten in der Woche, wo in unserer Wirtschaft jede Hand gebraucht wird. Wir haben versucht, einen Tagungsort am Wochenende zu finden. Aber für 2 600 Delegierte, da kommen nur wenige Objekte in Frage. Es war zu spät, etwas zu verändern, alle Objekte waren gebunden.

Noch ein Problem. Die jetzt geltende Beitragsordnung ein Schnellschuss des alten Arbeitssekretariats, ohne genau die Konsequenzen zu durchdenken. Interessenvertretung und gewerkschaftliche Leistungen kosten Geld. Streikrecht - ohne Geld? Alles Fragen, die uns und sicher auch Euch beschäftigen. Um den Schnellschuss zu korrigieren, haben wir Euch eine neue Beitragsordnung vorgeschlagen. Seht in die "Tribüne" vom 15. 1. 90.

Es geht um uns alle

Noch gibt es tiefes Misstrauen, dass ein neuer Bundesvorstand wieder nicht genügend sichern kann, dass ein neuer Vorsitzender wieder zum Alleinherrscher wird und selbstherrlich über finanzielle Mittel entscheiden kann. Kollegen, wenn Eure Delegierten nach Einarbeitung Eurer Vorschläge, die täglich bei uns eingehen, über die Annahme der neuen Satzung entschieden haben, dann wird so etwas nicht mehr möglich sein. Der Satzungsentwurf - in der "Tribüne“ vom 5. 1. 90 veröffentlicht - geht von der Eigenständigkeit der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften aus. Beiträge werden über die Industriegewerkschaften und Gewerkschaften kassiert. Es wird also keine Konzentration der Mittel mehr geben. Der FDGB wird die gemeinsamen politischen, ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Interessen seiner Mitgliedsorganisationen, wie es im Satzungsentwurf heißt, vertreten und entsprechend finanziert.

Gewerkschafter an der Basis! Wir brauchen als Komitee dringend Eure Hilfe. Wir haben die Monatszeitschrift „Gewerkschaftsleben" eingestellt, das Papier für die Erhöhung der Auflage der "Tribüne" genommen. Ihr wisst selbst, für Millionen von Mitgliedern reicht das trotzdem nicht. Deshalb macht Wandzeitungen, zieht wichtige Dinge ab, soweit Euch das möglich ist. Legt Mappen an mit wichtigen Dokumenten, die in Vorbereitung des Kongresses erscheinen. Zeigt sie den Mitgliedern, damit sie den von ihnen gewählten Delegierten ihre Meinung sagen können. Seht noch einmal die "Tribune“ aus den letzten Tagen durch . Am 10. Januar waren zum Beispiel die Vorschläge für den Kongress zur Wiedereinführung abgeschaffter Feiertage, für die Erhöhung des Grundurlaubs usw. abgedruckt. Kollegen der Massenmedien, helft auch Ihr uns! In zwei Wochen soll der außerordentliche Kongress sein. Davon ist in den Medien wenig zu spüren. Es geht doch auch um den Schutz Eurer Interessen. Es geht um uns alle Es geht um unser aller Zukunft.

Kollegen, schließt Euch zusammen. Stärkt die Leitungen in den Grundorganisationen und nehmt Eure Rechte wahr! Lasst sie Euch nicht nehmen!

Abschließend - meinen Dank an die Millionen Gewerkschafter, vor allem an die Gewerkschafter in den Grundorganisationen, die dafür gesorgt haben, dass es noch einen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund gibt. Das war die Voraussetzung dafür, dass wir als Komitee beginnen konnten, diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren, bevor Kapital in unser Land kommt. Ich verspreche Euch im Namen des ganzen Komitees, dass wir all unsere Kraft einsetzen, um unsere Aufgabe - den außerordentlichen FDGB-Kongress vorzubereiten - zu erfüllen.

Tribüne, Nr. 13, 18.01.1990

Δ nach oben