Notizen von der Frauen-KSZE in Berlin
Perspektiven, Forderungen und Empfehlungen für ein gemeinsames Haus Europa
Die Furcht, vergessen und wieder einmal draußen gelassen zu werden, wenn es um die eigenen Belange geht, haben viele Frauen. Wir erleben zur Zeit, in welchem Maße die Umstrukturierungsprozesse in unserem Land und in den übrigen Ländern Osteuropas zu Lasten der Frauen gehen.
Die Einführung eines § 218 z. B. droht nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in dem von der katholischen Kirche stark beeinflussten Polen. Diese Fakten einfach hinzunehmen, ohne ein Mitspracherecht einzuklagen, sind viele Frauen nicht mehr bereit. Darum fand im Vorfeld der Pariser KSZE-Verhandlungen eine KSZE der Frauen in Berlin statt.
Eingeladen hatten die Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie und die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung Frauen aus den 34 KSZE-Mitgliedsländern und einige Vertreterinnen aus Afrika und Lateinamerika. Ziel dieser Veranstaltung sollte sein, unter frauenpolitischen Aspekten Perspektiven, Forderungen und Empfehlungen für das gemeinsame "Haus Europa zu entwickeln.
Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und in den Medien nur am Rande erwähnt, arbeitete die Konferenz drei Tage an einer gemeinsamen Proklamation zu den KSZE-"Körben",
- Menschenrechte, Frauenrechte, Bürgerrechte
- Sicherheit, Abrüstung, Zusammenarbeit
- Ökonomie, Ökologie
Da die Interessen von Frauen in diesen Bereichen in den Arbeitsprogrammen der KSZE-Konferenzen weder aufgenommen noch durch Frauen angemessen vertreten werden, waren die Teilnehmerinnen sich einig. Ihre Regierungen aufzufordern, Frauen paritätisch am KSZE-Prozess zu beteiligen. Ebenso dringend wurde die Forderung erhoben, nicht profitorientierte Nichtregierungsorganisationen paritätisch zu beteiligen.
"Bislang bauen ausschließlich Männer an dem, was sie ein 'gemeinsames Haus' nennen. Frauen sind weder in der Bauleitung noch in der Bauaufsicht noch als zukünftige Bewohnerinnen präsent. Sie ahnen zu Recht, dass sie wie der einmal für Küche und Besenkammer vorgesehen sind", stellte Anne Klein fest. Darum braucht der KSZE-Ministerrat einen KSZE-Frauenrat!
Neben der Erarbeitung eines Forderungskatalogs diente die Zusammenkunft auch einem Erfahrungsaustausch. Es zeigten sich gewisse Unterschiede in der Zielsetzung frauenpolitischer Arbeit zwischen den Frauen aus West-und Osteuropa. So entsprechen die Hoffnungen, die in Osteuropa mit der Marktwirtschaft verbunden werden, um die immer größer werdenden Versorgungsprobleme zu bewältigen, nicht den Erfahrungen, die Frauen in Westeuropa damit gemacht haben. Vera Katsarkova aus Sofia formulierte die unterschiedlichen Standpunkte und Zielvorstellungen: "Wenn das Ziel der Frauenbewegung in Westeuropa auf die Erweiterung der 'weiblichen' Arbeitsbeschäftigung hinausläuft, so ist die Aufgabe bei uns, und ich meine in Osteuropa überhaupt, die Überbeschäftigung der Frauen quantitativ zu mindern, sie von den schweren und gesundheitsschädlichen Produktionszweigen fernzuhalten, das Recht der Frau, eine Mutter zu werden und eine Frau zu sein, zu garantieren. . . . Mehr als eine Generation Frauen ist dem Aufbau des Sozialismus geopfert worden, jetzt besteht eine wirkliche Gefahr, dass Frauen erneut zum Sühnewesen im Übergang zur neuen Gesellschaft werden."
Um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, ist es notwendig, dass Frauen selbst Strategien entwickeln, eine gesellschaftlich wirksame Kraft zu werden. Ein Schritt auf diesem Wege ist der Austausch von Erfahrungen und das Knüpfen eines Netzwerkes über die noch vorhandenen Grenzen in Europa hinweg - "Europa und die Rollen der Frauen zu verändern, sich in den patriarchal geprägten KSZE-Prozess einzumischen", wie Anne Klein formulierte, "und nicht locker zu lassen".
Dorrit Flischer
DEMOKRATIE JETZT
Podium – die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, Nr. 284, 46. Jahrgang, Mi. 05.12.1990