Politik ohne Ökologie nicht mehr machbar

Gespräch mit Vertretern der Grünen Partei
Soziale Verantwortung und Zukunftsentwürfe

Im Westberliner Reichstag tagten vom 5. bis 9. März "Die Grünen im Europäischen Parlament" - die mit 29 Abgeordneten fünftgrößte Fraktion dieses Gremiums mit Sitz in Brüssel. Erstmals nahmen daran auch Vertreter der Grünen Partei in der DDR, des Unabhängigen Frauenverbandes und der Grünen Liga teil. Wir hatten nach einer Pressekonferenz Gelegenheit, uns mit Vertretern der Grünen Partei der DDR zu unterhalten dem 2. Pressesprecher Andreas Schulze, von Beruf Mechaniker, und dem Diplomjournalisten Uli Wetzel.

BA: Welche Chance sehen Sie derzeit für globales, zukunftsorientiertes, ökologisches Denken, wo dieses doch angesichts einer weitgreifenden DM- und Konsumeuphorie auf verlorenem Posten scheint?

Andreas Schulze: Man darf die Entwicklung unseres Landes nicht in 14-Tage-Zeiträumen betrachten. Leben wird es hier auch in 50 Jahren noch geben, und dafür müssen wir Visionen anbieten können. Natürlich drohen die aktuelle Tagespolitik, die Ängste und sozialen Sorgen, die westlichen Konsumverlockungen zunächst ökologische Überlegungen an den Rand zu drängen. Aber trotzdem bleiben die ökologischen Aufgaben bestehen.

BA: Wie können die Grünen das ins Bewusstsein tragen?

Uli Wetzel: Durch Öffentlichkeitsarbeit. Unser Problem ist aber, dass die Grünen oft von vornherein mit Schablonen belegt werden wie Politikunfähigkeit, Einseitigkeit und dergleichen. Dabei haben wir durchaus nicht nur ökologische Themen in unserem Programm. Soziale Verantwortung ist uns genauso wichtig und die verbietet zum Beispiel, in der DDR die Hälfte der Industrie stillzulegen, nur damit sich die Umwelt erholen kann. Wir bieten realistische Varianten an, die natürlich auch ein maßvolles Konsumverhalten beinhalten, der Verschwendung von Ressourcen ein Ende setzen wollen.

BA: Durch ein gewachsenes Umweltbewusstsein der Bürger sind auch andere Parteien genötigt, "grüne" Akzente zu setzen. Wie ernst kann man das nehmen?

Andreas Schulze: Man muss bloß genau hingucken. Wenn der "DA" bei einer Wahlveranstaltung Bier- und Coladosen verteilt...

Andererseits ist es ein Erfolg der Umweltarbeit, dass heute jede Partei Ökologie in ihr Programm aufnimmt, weil ohne sie keine mehr zu machen ist.

BA: Andererseits könnte es dadurch so scheinen, als hätten die Grünen ihre historische Aufgabe bereits erfüllt...

Andreas Schulze: Letztendlich kommt es immer darauf an, dass gute Politik gemacht wird. Wer sie letztlich trägt, ist egal. Was steht, ist jedoch die Frage des Herangehens an Ökologie. Im Gegensatz zu den anderen Parteien verstehen wir Ökologie nicht als Nach-, sondern als Vorsorge. Frieden und Umwelt sind für uns die Überlebensthemen.

BA: Spielen die Grünen in der Bundesrepublik für Sie eine ähnliche Vorbildrolle wie SPD und CDU für ihre Partner beziehungsweise Ziehkinder in unserem Land?

Uli Wetzel: Der Erfahrungsaustausch ist uns schon wichtig, allerdings meinen wir, dass jeder seine Fehler selbst machen und daraus lernen sollte.

Andreas Schulze: In den Reihen der europäischen Grünen wird derzeit teilweise heiß debattiert, ob grün gleichzeitig links sein muss. Für uns ist diese Frage bereits entschieden. Wir sind links. In dieser Hinsicht haben wir also durchaus auch etwas einzudringen in die internationale Bewegung. Außerdem kann es von Vorteil sein, dass wir nicht in Machtstrukturen eingepasst sind und nicht mit Wahlkampftaktiererei im Hinterkopf arbeiten. Dann kann man nämlich schnell die Vision aus dem Blick verlieren.

BA: Wie sehen Sie die Kombination von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit rückt man mit der Notwendigkeit, die parlamentarische Existenz zu sichern, nicht schnell in die Nähe „fauler Kompromisse, droht da Anpassung, der Griff zum Nadelstreif?

Andreas Schulze: Ich wüsste gar nicht, wer bei uns in einen reinpassen würde... Die grüne Bewegung muss auf beide Standbeine bauen, das parlamentarische und das außerparlamentarische. Für letzteres stehen die vielen Basisgruppen im Lande.

Uli Wetzel: Es ist auf jeden Fall wichtig, die Bewegung lebendig zu halten. Und jeder, der parlamentarisch arbeitet, sollt auch weiter an der Basis aktiv bleiben.

BA: In bestimmten Fragen und Situationen kann es hart, ernüchternd werden, zu einem umfassenden Demokratieverständnis zu stehen...

Uli Wetzel: Demokratie ist eben auch Risiko. Der Platz der Macht muss frei bleiben für den, der mit seinen Argumenten das Volk überzeugen kann. Man darf nicht aus Angst neue diktatorische Elemente einführen, sondern muss endlich die Basis regieren lassen. Die Grüne Partei hat sich daher auch am Runden Tisch mit für entsprechende Verfassungskonzepte eingesetzt, wie das Gesetzgebungsinitiativrecht für jeden Bürger. Volksentscheid auf allen Ebenen, Anerkennung des zivilen Ungehorsams als eine Form der politischen Auseinandersetzung. Alle Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung sollten ausgeschöpft werden.

BA: Wie würden Sie Ihre Rolle im Parlament sehen, wenn Sie am 18. März das Vertrauen einer entsprechenden Wählerzahl finden?

Andreas Schulze: Wir möchten eine konstruktive Opposition bieten, mit unserer Kompetenz gegenhalten, haben also nicht vor, Kasperle-Theater zu spielen. Eine realistische Sicht macht uns klar, dass die Vereinigung ein historischer, nicht mehr zu stoppender Prozess ist. Nun kommt es darauf an, ihn zu gestalten. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört dabei eine Entmilitarisierung Deutschlands, die Grenzgarantie für die Nachbarstaaten, eine Beseitigung des ökonomischen Gefälles unter ökologischen Prämissen. Dann kann man den Vereinigungsprozess der beiden deutschen Staaten als Initialzündung für den gesamteuropäischen Einigungsprozess betrachten.

Das Gespräch führte
Beate Lemcke

Berliner Allgemeine, Nr. 38, Fr. 16. März 1990

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