UZ Gespräch mit einem der neuen DDR-Minister

Wir sind keine Kolonie ...

Wenige Tage vor der Begegnung Kohl - Modrow sprach Werner Finkemeier mit Minister Gerd Poppe, Sprecher der Initiative Frieden und Menschenrechte.

UZ: Herr Poppe, Sie sind neuer Minister im Kabinett Modrow. Ist die DDR-Regierung durch die Mitwirkung von Vertretern der Opposition stabiler, legitimierter geworden?

Gerd Poppe: Legitimiert durch Wahlen sind wir alle nicht. Wir haben die Veränderungen angestoßen und frühzeitig auf Probleme hingewiesen, die zu diesem Desaster führten, und haben deshalb eine moralische Legitimation. Unsere Mitwirkung ist die gegenwärtig beste Lösung bis zur Wahl am 18. März.

UZ: Was erwarten Sie von der Begegnung Modrow-Kohl, den Verhandlungsführern beider Regierungen?

Gerd Poppe: Wir erwarten natürlich wirtschaftliche Hilfe und dass sie uneigennützig gegeben wird. Wir wollen nicht als Kolonie angesehen werden.

UZ: Stichwort Wirtschaftshilfe - ist die DDR nur Bittsteller oder bringt sie was ein?

Gerd Poppe: Im Laufe der Entwicklung hat sich in der DDR eine andere Struktur herausgebildet, wirtschaftlich, sozial, kulturell. Einiges davon würden wir sehr gern bewahren und einbringen in ein mögliches einiges Deutschland. Wir sind der Meinung, dass Reformen auf beiden Seiten notwendig sind. Das sage ich für die Initiative Frieden und Menschenrechte und im Konsens mit anderen Gruppen.

Wir haben ein ganz besonderes Interesse an der sozialen Sicherstellung der arbeitenden Menschen im Falle von Wirtschaftsreformen, an der Verbesserung der Stellung von Minderheiten sowohl in der DDR als auch im Westen; an der Verbesserung der Lage der Ausländer. Da haben beide Staaten einen erheblichen Nachholbedarf. Beiderseitige Reformen sind nötig, um zu einer weiteren Annäherung zu kommen.

In diesem Sinne werden wir Herrn Modrow auf der Reise nach Bonn begleiten.

UZ: Wie stehen Sie zum vorgeschlagenen Lastenausgleich?

Gerd Poppe: Den Vorschlag von Frau Minister Luft, zu einem Lastenausgleich zu kommen, unterstütze ich ausdrücklich. Die Folgen des zweiten Weltkrieges wurden sehr einseitig von der DDR getragen. Daraus ergibt sich, dass wir nicht nur Bittsteller sind. Wir haben durchaus auch Ansprüche zu stellen.

UZ: Wie bewerten Sie Hans Modrows Initiative "Deutschland einig Vaterland"?

Gerd Poppe: Ich trage Herrn Modrows Neutralitätsgedanken nicht mit; aus einem ganz anderen Grund als Kohl und Genscher ihn ablehnen. Die ganze Entwicklung kann nur über eine weitgehende Abrüstung, Entmilitarisierung bis hin zur Blockauflösung vor sich gehen. In diesem Falle wäre eine Neutralität überflüssig. Durch die - wenn auch ungewollte – de-fakto-Auflösung des Warschauer Paktes hat die NATO auf dem Wege zu einem einigen Europa ohne Grenzen und Konfrontation Handlungsbedarf.

unsere zeit, Fr. 09.02.1990

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