Initiative Frieden und Menschrechte
Die Initiative Frieden und Menschenrechte wurde zu Beginn des Jahres 1986 gegründet. Der Gründung vorangegangen war ein langer Streit innerhalb der Vorbereitungsgruppe eines Menschenrechtsseminars. Grimm, Hirsch, Templin und des Friedrichsfelder und Pankower Friedenskreises, Vera Lengsfeld, Sylvia Müller, Thomas Klein, Reinhard Schult, Mario Wetzky, Wolfgang Wolf, Knud Wollenberger u. a. Einige von ihnen bildeten 1986 die "Gegenstimmen" und die Initiative Frieden und Menschenrechte.
Die Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit arbeiteten aktiv daran, eine mögliche Vereinigung der beiden Gruppen zu verhindern. So lautete der Auftrag, die bestehende inhaltliche Kluft zu vertiefen; die Arbeit an gemeinsamen Projekten zu hintertreiben.
Es gab zwar Querverbindungen zwischen den Aktivisten der beiden Gruppen, aber prinzipiell unterschiedliche Arbeitsansätze. Ein Zusammengehen wäre auch ohne das MfS nicht zustande gekommen. Zu Grundlegend waren ihre unterschiedlichen politischen Ansätze.
Am 23./24.11.1985 sollte in der Evangelischen Kirchgemeinde Treptow ein Menschenrechtsseminar stattfinden. Von staatlicher Seite wurde Druck aufgebaut das Seminar zu verhindern. Am 14.11. wurde das Seminar vom Gemeindekirchenrat abgesagt.
In einer Stellungnahme der Vorbereitungsgruppe heißt es es sei nicht geplant gewesen eine Menschenrechtsgruppe "Charta 85" zu gründen. "Die mögliche Teilnahme von Vertretern der westlichen Friedensbewegung wurde ausschließlich im Rahmen des Sachanliegens des Seminars diskutiert, gedacht war dabei an eine Form der Einladung bzw. Teilnahme, die in der Praxis der kirchlichen Friedensarbeit längst üblich ist."
Vera Lengsfeld schreibt in ihrem Buch "Virus der Heuchler": "... die Begrenzung der Teilnehmerzahlen auf 100, keine Beteiligung von Personen aus dem westlichen Ausland und der Ausschluss der Medien.
Auch die Vorbereitungsgruppe um Wolfgang Templin akzeptierte diese Bedingungen, beschloss aber gleichzeitig, sie zu unterlaufen. Sie luden sowohl Presse als auch Mitglieder der Bundestagsfraktion der GRÜNEN ein, ohne uns davon zu unterrichten."
Und: "Leider gaben die Vorbereitungsgruppen eine öffentliche Erklärung ab, dass sie die Bedingungen des Gemeindekirchenrates nicht verletzt hätten, was allerdings nicht der Wahrheit entsprach."
Die IFM hatte keine feste Organisationsstruktur und keine formale Mitgliedschaft. Aktionsschwerpunkt der IFM war Berlin. Organisatorisch wurde darauf geachtet, sich nicht zu sehr in kirchliche Kreise einbinden zu lassen. Nach einer Aussage von Markus Meckel war der Kontakt der IFM zur Kirchenleitung Berlin-Brandenburg so groß wie kaum bei einer kirchlichen Gruppe. (1)
Mitglieder waren u.a. Marianne Birthler, Ibrahim Böhme, Bärbel Bohley, Frank Bogisch, Antje und Martin Böttger Werner Fischer, Peter Grimm, Ralf Hirsch, Lothar Pawliczak, Gerd und Ulrike Poppe, Lotte und Wolfgang Templin und Reinhard Weißhuhn.
Sprecher waren zunächst Peter Grimm, Ralf Hirsch und Wolfgang Templin.
Nach Bärbel Bohleys Angaben hatte die IFM in der Anfangszeit rund 20 Mitglieder. (2) Laut Werner Fischer bestand die IFM zu zwei Dritteln aus Intellektuellen, zum Teil ehemalige SED-Mitglieder. (3)
Anlässlich des 30. Jahrestages des Aufstandes in Ungarn im Oktober 1986 unterschrieben Mitglieder der IFM zusammen mit Bürgern aus der ČSSR, Polen und Ungarn eine Erklärung, in der es heißt:
"(...) Bei diesem Anlass möchten wir gemeinsam unsere Entschlossenheit bekräftigen, in unseren Ländern für politische Demokratie und für einen auf den Prinzipien der Selbstbestimmung gegründeten Pluralismus einzutreten sowie für eine friedliche Überwindung der Teilung Europas und für eine demokratische Integration auf diesem Kontinent, die die Rechte aller Minderheiten einschließt. (...) Dabei bilden die Erfahrungen der ungarischen Revolution von 1956 für uns ein bleibendes Erbe und eine Quelle der Inspiration." (4)
In ihrer Vorstellung zum Tag der Menschenrechte am 10.12.1987 in der Berliner Gethsemanekirche nannte sie zwei große Aufgabenkomplexe in der Gesellschaft.
"1. Herstellung von Rechtstaatlichkeit
2. Demokratisierung"
Und weiter:
"Es entspricht dem Selbstverständnis der Initiative 'Frieden und Menschenrechte', neben Forderungen an Regierungen in Form von Eingaben und Appellen, noch nicht zugestandene Rechte so wahrzunehmen, als seien sie bereits zugestanden. Dazu gehören die Herausgabe unabhängiger Publikationen, eigene Ausstellungen und Veranstaltungen. Unser Bestreben geht dahin, in dieser Gesellschaft unabhängige Informationen und Kommunikation und eine zweite Ebene der Kultur zu befördern.
Ein wesentlicher Aspekt unserer Arbeit ist die Gleichzeitigkeit von Autonomie und Solidarität. Wir wehren uns gegen jede Art von Vereinnahmung, gleich welche, solidarisieren uns aber mit allen Personen und Gruppen in Ost und West, die gewaltfrei für Frieden, Erhaltung der Natur und für die Menschenrechte in der Welt und in unserem Land eintreten. Dabei ist es für uns unwichtig, welcher Konfession jemand angehört. So solidarisieren wir uns mit Freya Klier und Stephan Krawczyk wie auch mit den Freunden der Umweltbibliothek. Wir fühlen uns der Charta 77 ebenso solidarisch verbunden wie der Gruppe 'Freiheit und Frieden' in Polen und den ca. 400 Verhafteten in Rumänien."
Die IFM verzichtete in ihren Aussagen bewusst auf den Sozialismus als Zielvorstellung.
Im April 1986 beklagte sie in einer offenen Eingabe an die SED die Kumpanei zwischen der SED und Westpolitikern. In ihrer Eingabe zum XI. Parteitag der SED machte sie auf den Widerspruch zwischen der im Statut verankerten Diskussionsfreiheit und in der Realität praktizierten Kadavergehorsam hin. Da die Eingabe nicht beantwortet wurde, beschwerte sich die IFM im Mai beim ZK darüber. Am 27.05.1987 schrieb die IFM einen Brief an Michael Sergejewitsch Gorbatschow in dem versichert wurde, dass es ihnen nicht darum geht bürgerliche Verhältnisse nach westlichem Muster zu übernehmen, sondern ein Gesellschaftssystem zu befördern, das die Einheit von Demokratie uns Sozialismus ermöglicht. In der Schrift "Sozialismus, was sonst", veröffentlicht 1987, forderte die IFM eine nationale Aussöhnung, sowie einen schöpferischen Dialog zwischen Herrschenden und kritischen Bürgern, um gegen die gemeinsamen Feinde vorgehen zu können. Themen könnten die nukleare Bedrohung, der Verfall der menschlichen und kulturellen Werte, die ökologische Krise und die Nord-Süd-Ungerechtigkeit sein.
"Die Demokratisierung unserer Gesellschaften wird ein Weg des gemeinsamen Suchens und Lernens sein, für die es keine Modelle und Rezepturen gibt", schrieb die IFM im Februar 1987 in einem Brief an die Charta 77. In einem Brief zum zehnten Jahrestag der Charta 77 schrieb die IFM u. a.:
"Für uns war und ist die Existenz der Charta und anderer Menschenrechtsbewegungen in Osteuropa eine Ermutigung und eine "Quelle der Inspiration"! Am Anfang selbständiger Menschenrechtsarbeit in der DDR stand oft der Vorwurf, die Charta 77 kopieren zu wollen. Dies war aufgrund unserer Voraussetzungen weder möglich, noch wollten wir es. In der DDR ist die Menschenrechtsarbeit als eigener Bestandteil einer breiten unabhängigen Friedensbewegung gewachsen."
Über den Tellerrand hinauszuschauen war für die IFM wichtig. In einem Bericht über die Internationale Arbeiterkonferenz gegen die Zerstörungspläne des IWF und der EG in Caracas ist im Grenzfall 3/1987 zu lesen: "Die Politik der Möglichkeiten, die die SED-Bürokratie verfolgt, heißt für die Kollegen in der DDR: Unsere Produktion, unsere Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen sollen sich unter das direkte Kommando westlicher Banken und Konzerne stellen - das ist es nämlich, was die 'Gläubigerländer akzeptieren'." Und zum Schluss des Artikels: "Die Arbeiter und Völker in Ost und West müssen zusammenfinden, gegen die Quelle der Angriffe, gegen die Herren in den Chefetagen des IWF, des GATT und der EG".
Mit der Solidarność aus Polen und der Charta 77 aus der Tschechoslowakei wurde 1987 darüber diskutiert, eine gemeinsame Charta der Menschenrechte für sozialistische Länder auszuarbeiten.
Die Aufnahme der Gruppe "Staatsbürgerschaftsrecht der DDR" (Ausreisergruppe), die sich im September 1987 gründete, wurde abgelehnt. Sie durfte aber in der IFM-Gruppe Strafrechtsfragen mitarbeiten. "Der Wunsch nach dem Verlassen des Landes - für Reisen, für eine gewisse Dauer oder auch endgültig - ist ein legitimer Anspruch für jeden Bürger eines jeden Landes." Gleichzeitig wurde aber betont, dass es darauf ankommt im Land zu bleiben und zu Veränderungen beizutragen. So in einer Erklärung im Frühjahr 1988.
Nicht alle in der IFM waren dafür Ausreisebetreibende aufzunehmen, die sich Kirchen- und Friedensgruppen anschlossen, um eine schneller Ausreise zu erreichen, so Bärbel Bohley und Katja Havemann.
In einer Nachlese zu den Ereignissen im Zusammenhang mit der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 1988 in Berlin heißt es: "Dass die Gefahren sowohl der politischen Zusammenarbeit mit den Ausreisewilligen wie auch deren Ausnutzbarkeit durch die Propaganda nicht rechtzeitig erkannt wurden, ist einer der entscheidenden Gründe für das Desaster im Januar und Februar und ein Vorwurf, der Lotte und Wolfgang Templin nicht erspart werden kann".
Durch Zersetzung durch die Staatssicherheit und Abschiebung eines Teil ihrer Mitglieder in den Westen kam die Tätigkeit der IFM fast völlig zum erliegen. Die Auflösung der Gruppe, auf die das Ministerium für Staatssicherheit gehofft hatte, trat aber nicht ein.
Das Verhältnis Stasileute zu Nichtstasileute gab Ralf Hirsch mit 1:1 an.
Einen kleinen Aufschwung erlebte die IFM im Verlaufe des Herbstes 1989. Ganz erholen konnte sich die Gruppe aber nicht mehr. Zumal sich eine Vielzahl von neuen Gruppen bildeten bei den auch IFM-Mitglieder mitmischten. Letztlich wurde die IFM, als Gruppe des Vorherbstes, von der Entwicklung in der DDR überrollt. Spielten einzelne Mitglieder von Basisgruppen republikweit wichtige Rollen im Herbst 1989 in der DDR, Basisgruppen des Vorherbstes nicht.
Am 11. März 1989 veröffentlichte sie einen Aufruf in dem es heißt: "dass die unabhängigen Friedens-, Ökologie-, Menschenrechts- und 'Dritte Welt'-Gruppen ihre Isolierung überwinden, sich selbst öffnen und neue Argumente und Angebote für eine gesamtgesellschaftliche Öffnung entwickeln".
Wolfgang Templin schreibt später zu dem Aufruf: "Im Grunde nahm der Öffnungsaufruf im März den Gründungsaufruf des Neuen Forum vom September vorweg". (5)
Im August 1989 wurde zu einem Treffen Ende Oktober in Berlin eingeladen.
Am 28. Oktober 1989 findet im Christlichen Hospiz in Berlin das erste landesweites Treffen statt auf der sich die IFM landesweit konstituiert. Auf ihm wird eine Gruppe beauftragt ein Wahlprogramm und Vorschläge für eine Wahlrechtsreform auszuarbeiten. Nach einer Aussage von Gerd Poppe, wurde damit gerechnet, dass es von staatlicher Seite ein Versuch geben wird, die Begegnung zu verhindern. Was aber unterblieb.
Als Sprecher wurden gewählt Werner Fischer, Gerd Poppe und Thomas Rudolph.
Bereits zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, die IFM trabt der Entwicklung hinterher. Anstatt zu versuchen, sich republikweit auszudehnen, wäre die Auflösung der IFM angemessen gewesen.
Die Abschaffung des Ausreisevisums und die Möglichkeit Entscheidungen in Reiseangelegenheiten verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen, fordert die IFM am 06.11.1989. Ein Vorschlag der Leipziger Regionalgruppe Ende November 1989 zu sofortigen Neuwahlen in ganz Deutschland kann sich in der Gesamtorganisation nicht durchsetzen. Am 15.02.1990 wird die Auflösung der Militärblöcke gefordert.
Zur Volkskammerwahlen bildeten die IFM, das NF und DJ eine gemeinsame Liste mit dem Namen "Bündnis 90: Bürger für Bürger".
Gründungsmitglied des "Interforum für Demokratie und Menschenrechte", am 22.04.1990 in Berlin, während einer Konferenz, zu der die Föderation für ein Demokratisches China, eingeladen hatte.
Zu den gesamtdeutschen Wahlen ging die Initiative Frieden und Menschenrechte mit dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt, Grüner Liga, Die Grünen (DDR), Unabhängiger Frauenverband, Vereinigte Linke und Die Grünen (BRD) eine Listenverbindung unter dem Namen "Die Grünen/Bündnis 90-BürgerInnenbewegungen" ein.
Seit Oktober 1989 gab Demokratie Jetzt ein eigenes Informationsblatt mit dem Namen "DEMOKRATIE JETZT Zeitung der Bürgerbewegung" heraus. Am dem 03.10.1990 war es das Blatt von Demokratie Jetzt und der Initiative für Menschenrechte. Im Dezember 1990 wurde es in "BÜNDNIS 2000" umbenannt.
Anfang Februar 1991 beschließen IFM und DJ ihre Vereinigung bis Oktober 1991 unter dem Namen "Bündnis 90". Auf einer Konferenz am 28.-29.06.1991 in Berlin werden weitere Weichen, z. B. Bildung von Arbeitsgruppen, zur Gründung des Bündnis 90 gestellt. Über einen ersten Satzungsentwurf und über Thesen für eine gemeinsame Bürgerbewegung Bündnis 90 wurde diskutiert. Bis zum Hebst 1991 sollte die organisatorische Gründungsvorbereitung abgeschlossen sein. Das Neue Forum wurde zur Mitarbeit eingeladen.
Am 21.-22. September 1991 wurde dann das Bündnis 90 in Potsdam aus der Taufe gehoben. Ihm schließen sich auch Teile des Neuen Forum an. Die IFM soll zu diesem Zeitpunkt rund 150, DJ ca. 600 und das NF etwa 5 000 Mitglieder gehabt haben. Das NF blieb aber im Gegensatz zu der IFM und DJ als eigenständige Organisation bestehen.
Der IFM schloss sich der "Arbeitskreis Gerechtigkeit" aus Leipzig an.
Ulrike Poppe bezeichnet die IFM als die wohl radikalste Oppositionsgruppe in den 1980er Jahren. (6)
In den neuen Gruppen des Herbstes 1989 fanden sich viele Mitglieder der IFM wieder. Ibrahim Böhme und Frank Bogisch waren Gründungsmitglieder der SDP. Bärbel Bohley und Martin Böttger des Neuen Forum. Ulrike Poppe von Demokratie Jetzt.
Die Initiative Frieden und Menschenrechte hatte Kontakte zu Gruppen zu verschieden Gruppen z. B. in der ČSSR, Polen, Finnland und der Sowjetunion.
Die erste Ausgabe der Zeitschrift der IFM, "Grenzfall", auf Fotopapier im A6-Format, erschien zur Berliner Friedenswerkstatt am 29.06.1986. Dort wurde erklärt:
"Die Gruppe 'Grenzfall' versteht sich als ein unabhängiger, selbständiger Arbeitskreis innerhalb der Friedensbewegung.
Sie will versuchen, ein DDR-weites Informationsnetz auf- und auszubauen, um den einzelnen Friedens-, Ökologie-, Menschenrechts-, 2./3. Welt- und sonstigen Gruppen, die über staatliche Medien keine Möglichkeit zur Informationsweitergabe bzw. -verbreitung besitzen, den Weg zur Verständigung untereinander zu ebnen.
Außerdem will sie selbst thematisch arbeiten und hat sich dazu die Aufgabe gestellt, den Strukturaufbau und die Strukturveränderungen des gesellschaftlichen Überbaus in der DDR von ihrem Beginn an zu untersuchen.
'Grenzfall' beabsichtigt, regelmäßig ein Informationsblatt herauszugeben, in dem Beiträge verschiedener Arbeitskreise, Berichte über die eigene thematische Arbeit sowie Stellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen veröffentlicht werden sollen."
Im Grenzfall 4/1987 wird betont, dass der Grenzfall nicht das Organ der Initiative Frieden und Menschenrechte ist.
Auf Veranlassung von Generalsuperintendenten Günter Krusche musste die IFM die Schrift von ihrem Stand entfernen. (7)
Nach Angaben von Ralf Hirsch hatte der Grenzfall, der 1987 monatlich erschien eine Auflage von 800 bis 1 000 Exemplaren. (8) Die Anzahl der Leser war um ein vielfaches höher. Unter den Bedingungen die in der DDR herrschten war das eine außerordentliche Leistung. Durch den massiven Hinauswurf von IFM-Mitgliedern aus der DDR 1988 konnte in diesem Jahr nur noch vier Ausgaben erscheinen. Die letzte Nummer erschien im Oktober 1989.
In der Nacht vom 25.11. zum 26.11.1987 lief die "Aktion Falle" an. Beabsichtigt war Drucker der IFM in der Umweltbibliothek (UB) Berlin beim Druck der Zeitschrift "Grenzfall" zu überraschen und dadurch auch die UB als Ort an dem illegale Druckerzeugnisse erstellt werden für die Kirche unhaltbar zu machen. Gedruckt wurde aber nicht der "Grenzfall" sondern die "Umweltblätter" der UB. Der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele von den Grünen bot den Druck des "Grenzfall" in Westberlin an. Von dort sollte er in die DDR verschickt werden.
Die Zeitschrift Grenzfall erfolgte bewusst ohne den Zusatz nur für den innerkirchlichen Gebrauch und war nach dem damals in der DDR praktizierten Recht illegal. Nach dem Verständnis der IFM sollten nicht zugestandene Rechte so wahrgenommen werden, als wären sie bereits zugestanden.
Ralf Hirsch und Lew Kopelew haben einen vollständigen Nachdruck aller in der DDR erschienen Ausgaben des "Grenzfall" herausgebracht.
In Suhl wurde 1989 ebenfalls von einer unabhängigen Gruppe ein Grenzfall herausgegeben.
In einer Diplomarbeit aus dem Jahre 1988 rühmt sich der Verfasser, dass Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit die Auseinandersetzung in den Basisgruppen, die der Gründung der Initiative Frieden und Menschenrechte und der Gruppe Gegenstimmen vorausgingen verstärkt haben. Auch sei es gelungen ein Zusammenführen der beiden Gruppen zu verhindern.
Die Initiative Frieden und Menschenrechte war die bekannteste, aber nicht die einzige Gruppe außerhalb der Kirche. Zu ihnen zählen die Frauen für den Frieden, die Jenaer Friedensgemeinschaft und die Gruppe Wolfspelz. Die Gruppe Wolfspelz war aber Mitglied des "Arbeitskreis Frieden der drei Dresdner Kirchenbezirke".
Der Freundeskreis homosexueller Bürger begab sich bewusst nicht unter die Fittiche der Kirche. Gegenüber der SED argumentierten sie u.a. mit der DKP Broschüre "Grundsätze und Forderungen der DKP gegen die Diskriminierung der Homosexualität".
Die "Kirche von Unten" verließ das Dach der Kirche zum Jahreswechsel 1988/89. Die Kirchenbürokratie wurde als Hemmschuh empfunden. Die Kirche von Unten wollte ihre Themen in öffentlichen Diskussionen einbringen. Dazu wurde beispielsweise im März 1989 eine Filmvorführung der URANIA im Berliner Kino "Toni" genutzt.
In der Sitzung der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", am 15.12.1993 sagte Markus Meckel: "Es wird immer wieder von der Bedeutung der nichtkirchlichen Gruppen gesprochen, hier insbesondere von der 'Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)'. Gewiss waren diese nicht-kirchlichen Gruppen wichtig. Andererseits muss man natürlich auch sagen, dass es kaum eine kirchliche Gruppe gab, die wie die IFM und die 'Frauen für den Frieden' in so engem und ständigem Kontakt mit Kirchenleitungen gestanden hat. So manche kirchliche Gruppe hätte es gewünscht, mit dem Bischof einmal so intensiv diskutieren zu können, wie es die außerkirchlichen Gruppen ständig taten." (9)
Der Begriff der "Wende" wurde von Egon Krenz eingeführt. Auch wenn der Begriff "Wende" unzulänglich ist, wurde er schnell von vielen Menschen übernommen. Auch von Menschen, die mit Egon Krenz nichts am Hut haben wollten. Unter manchen Historikern gibt es Bestrebungen "Wende" im Zusammenhang mit den Ereignissen 1989/90 in der DDR aus dem Sprachgebrauch zu verbannen und eigene Sprachstandards zu setzen.
Finster wird es dann, wenn denen, die andere Beschreibungen der damaligen Ereignisse verwenden als die geforderte, deswegen eine demokratische Gesinnung abgesprochen wird.
Egon Krenz schreibt in seinem Buch "Herbst `89", über sein Telefonat mit Bundeskanzler Helmut Kohl am 26.10.1989: "Ich teile dem Bundeskanzler mit, dass ich bewusst von einer 'Wende' und nicht von einem 'Umbruch' gesprochen habe".
Der Vorsitzende der LDPD, Manfred Gerlach, bezeichnet die Ereignisse Anfang November 1989 in der DDR in einem Spiegel-Interview als Revolution.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, nannte in seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus am 10.11.1989, die Ereignisse in der der DDR eine "friedliche, demokratische Revolution". Im Deutschen Bundestag spricht er am 16.11.1989 von der friedlichen Revolution in der DDR.
Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel nannte die Veränderungen in der DDR im Deutschen Bundestag am 08.11.1989 einen "revolutionären Prozess".
Antje Vollmer von den Grünen nannte die Ereignisse im Deutschen Bundestag am 08.11.1989 eine "gewaltfreie demokratische Revolution".
(1) Markus Meckel, Martin Gutzeit: Opposition in der DDR, bund Verlag 1994, S. 53
(2) Bärbel Bohley in einem Interview in "Die Entzauberung des Politischen", Ev. Verlagsanstalt 1994
(3) ebenda S. 100
(4) Grenzfall 3/86
(5) Wolfgang Templin in Ilko-Sascha Kowalczuk, Arno Polzin (Hg.): Fasse dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2014, S. 265
(6) Ulrike Poppe in Klaus Bästlein (Hg.) Die Einheit Juristische Hintergründe und Probleme. Deutschland im Jahr 1990, Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Berlin 2011, Band 31 S. 66
(7) Ralf Hirsch in: Hans-Joachim Veen (Hrsg.): Lexikon, Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur, Propyläen, S. 163
(8) Ralf Hirsch machte die Zahlenangabe im Nachdruck des Grenzfalls
(9) Ingrund Drechsler, Bernd Faulenbach, Martin Gutzeit, Markus Meckel, Hermann Weber (Hrsg.): getrennte Vergangenheit, gemeinsame Zukunft, Band II, Opfer, Opposition und Widerstand, dtv, S. 85