Verpasste das Jugendradio seine Chance?

Antworten des amtierenden Intendanten im "Funkhaus Berlin", Christoph Singeinstein

• Nach nur vierzehn Tagen Amtszeit handelten Sie sich im Zusammenhang mit dem Gerangel um die geplante und widerrufene Vergabe von Sendefrequenzen des Jugendradios an RIAS Berlin harsche Kritik und den Vorwurf ein, den Ost-Rundfunk meistbietend zu verramschen. Wie stehen Sie heute zu diesem Vorgang?

Die dahinterstehende Idee bejahe ich auch jetzt noch, da sich insgesamt abzeichnet, dass neue Strukturen für die bestehenden Sender unausweichlich sind. Ich gebe zu, dass die damalige Aktion bedingt durch viele Zwänge, über die ich hier nicht sprechen will - weder nach "innen" noch nach "außen angemessen diskutiert und vorbereitet worden war. In der Sache selbst hingegen hat leider Jugendradio die Chance verpasst, vor allen anderen den "Einstieg" ins unumgänglich notwendige föderale Rundfunksystem der deutschen Länder zu proben. Im übrigen bin ich gegen jede Form des "Plattwalzens". Aber ich bin auch dagegen, Überlebtes künstlich am Leben zu halten.

• Wie empfinden Sie den inzwischen - nicht nur von Linken - häufig erhobenen Vorwurf, "das frische Blut aus der früheren DDR (habe) sich als nicht besonders aufmüpfig erwiesen"‚ wie es Dagobert Lindlau in seiner gesamtdeutschen Medien-Satire "Rakket" formuliert?

Genau so sehe ich das auch. Doch sei nicht vergessen, dass die meisten Menschen in der ehemaligen DDR vor allem gelernt haben, sich anzupassen, um möglichst unbehelligt zu leben. Auch deshalb sind mir viele Möglichkeiten der praktischen, redaktionellen Zusammenarbeit von ost- und westdeutschen Journalisten wichtig, um dadurch gegenseitige Vorurteile abzubauen und zugleich unterschiedliche Erfahrungshorizonte einander anzunähern.

• "Unbelastete" Mitarbeiter des ehemaligen DDR-Rundfunks sollten nach westdeutscher Ansicht weiterbeschäftigt werden. Wie sehen Sie das?

Genauso. Deshalb arbeite ich ja darauf hin, soviel wie möglich und soviel wie vertretbar an Personal, Ideen und Programmleistungen in die neuen Strukturen hinüberzunehmen. Ich bin überzeugt, es wird künftig so etwas wie ein "nationales" Hörfunk Programm geben; was allerdings - außer den hierzu hoffentlich bald getroffenen Entscheidungen in den Länderparlamenten - voraussetzt, dass Programmkapazität und -leistung aus den Gebühren und dem zu erwartenden Werbe aufkommen mehr als nur "schlecht und recht" finanziert werden können.

• Zuweilen scheint es mehr als nur vorübergehende Verstimmungen zwischen Rudolf Mühlfenzl und seinen Gesprächspartnern in den ostdeutschen Ländern zu geben. Kommen Sie zurecht?

Auch, wenn Herr Mühlfenzl kraft seines Amtes letztlich das Weisungsrecht hat und die Entscheidungen trifft, die er für richtig hält, dominiert in unseren Beziehungen doch das offene Gespräch in einem von Professionalität bestimmten Klima. Ich kann nicht sagen, dass wir schlecht miteinander auskämen. Um ein Beispiel zu geben: Zu Beginn unserer Kontakte musste ich oft hören, es "menschelt" zu sehr in unseren Programmen. Inzwischen wird das nicht mehr nur amüsiert zur Kenntnis genommen, sondern als unsere Form eines bürgernahen Rundfunk begriffen. Also: Solange das Gespräch funktioniert, ist das immer fruchtbar. Sähe sich Herr Mühlfenzl dagegen - aus welchen Gründen auch immer - künftig gezwungen, nur noch "per Weisung" zu arbeiten, müsste ich sicher darüber nachdenken, ob ich das akzeptieren kann.

• Wie ist es um die innerbetriebliche Demokratie bestellt? Manch einer im Rundfunk sagt, es würde zu viel "geflüstert".

An jedem Dienstag sitzen die Leitungsgremien und die Künstlerischen Räte "Wort" und "Musik" sowie der Personalrat wegen der Probleme der Neustrukturierung und ihrer Folgen für Sender und Mitarbeiter zusammen. Leider fehlt hierbei, was ich sehr bedauere, seit Wochen der ehemals produktive Zentrale Redakteursrat. Und ich kann nur hoffen, dass sich das bald ändert. Denn dann musste im Hause wohl kaum noch, wie Sie sagen, "geflüstert" werden.


Als die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer im Potsdamer Schloss Cecilienhof zu ihrer ersten Arbeitssitzung zusammenkamen, standen auch die Probleme der ehemaligen DDR-Hörfunk und -Fernsehmedien auf ihrer Tagesordnung. Endlich scheinen auch in diesem mehr als sensiblen Politik-, Wirtschafts- und Kulturbereich die Dinge "in Fluss" zu kommen. Dass dies dringlich ist, beweisen nicht nur die zahlreichen Aktionen von Mitarbeitern, Hörern und Zuschauern für den Erhalt von Arbeitsplätzen und Programmen oder die Debatten um Frequenzvergaben, sondern auch der am Wahl-Wochenende bekanntgewordene "Maulkorb"-Erlass von Rudolf Mühlfenzl, dem Rundfunkbeauftragten der Bundesregierung, für widerborstige Angestellte des Deutschen Fernsehfunks. Unser Autor Michael Hinze sprach mit Christoph Singeinstein, dem amtierenden Intendanten des "Funkhauses Berlin".

Tribüne, Do. 06.12.1990

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