Über Kultur und Ökologie

Verantwortung für die Zukunft / Fragen nach unserer Art und Weise zu leben

Was hat Kultur mit Ökologie zu tun? Das erscheint auf den ersten Blick vielleicht nicht so deutlich. Zwar könnte man zu Recht sagen Ökologie ist Kultur. Aber damit sind die komplizierten einzelnen Zusammenhänge natürlich noch nicht benannt.

Was Ökologie ist, haben wir schnell gelernt, zumindest dass es um die Erhaltung unserer natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage geht. Und was Kultur ist, das weiß man ja - meint zumindest jeder. Wenn auch die individuellen Vorstellungen von Kultur auseinandergehen, kann man doch ein gemeinsames Grundverständnis voraussetzen, das mit der Formel "Wie der ganze Mensch lebt" umschrieben und eindeutig auf die qualitative Bewertung bezogen ist. In dem Wort "kultivieren" kommt das schon zum Ausdruck.

Mit "Erhaltung der Lebensgrundlagen" ist schon der allgemeinste Zusammenhang angesprochen: Sind diese Grundlagen gefährdet, ist es die Kultur erst recht.

Schon wenn es um die nackte Existenz geht, dafür gibt es genügend Beispiele, bleibt die Kultur zuerst auf der Strecke. Das wäre der Fall bei einem ökologischen Zusammenbruch in der Zukunft, das betrifft aber schon heute einen sehr großen Teil der Erdbevölkerung. Eine Frage, die weitergedacht werden müsste.

Schönheit der Natur ist auch ein Kulturwert

Im täglichen Leben begegnet man auf Schritt und Tritt der engen Verwobenheit von kulturellen und ökologischen Fragen von denen einige hier benannt, nicht unbedingt beantwortet werden sollen.

Die Schönheit der Natur, der Landschaft fällt einem da gleich ein, als Kulturwert allgemein anerkannt - auch von denen, die ihn, mehr oder weniger wissen^ zerstören. Messbar ist dieser Kulturwert zum Beispiel in der Erholungslandschaft. Das reicht von guter Luft bis zum Problem der Motorboote: Ist es kulturell vertretbar, dass einige wenige ihren Gelüsten, ihrem Geschwindigkeitsrausch frönen auf Kosten der Erholungsmöglichkeiten vieler Menschen? Was sieht und erlebt der Mensch eigentlich in der Urlaubslandschaft, der heimischen und der fremden? Ist es viel mehr als die Gastronomie und ein paar "Besichtigungsziele"?

Beziehungen zwischen Wohlstand und Natur

Überhaupt unser Verhältnis zur Natur: Der Mensch der heutigen Wohlstandszivilisation versteht wenig von der Natur. Er kennt kaum die Namen der Bäume oder Vögel in seiner Umgebung, geschweige denn das komplizierte Wechselspiel der Kräfte, das für die Erhaltung der Natur als Ganzes nötig ist. Er halt geschorene Rasenflächen für Natur und weiß nicht, dass sie gerade dieses Wechselspiel verhindern. Da wir selbst kaum ein Verhältnis zur Natur haben, können wir es auch an unsere Kinder nicht weitergeben. Dabei wäre es so wichtig. Und ganz sicher gibt es da auch solche Zusammenhänge, dass junge Menschen, die in einer Atmosphäre der Achtung, ja der Ehrfurcht vor der Natur aufgewachsen sind, bestimmt kein Potential für Gewalt sein werden.

Die heikelsten Fragen im Zusammenhang von Kultur und Ökologie sind sicher die des Konsums, unserer Beziehung zur Warenwelt, zu Wohlstand und Bequemlichkeit. Allein das Problem Verpackung. Ist es ein Zeichen von Kultur, wenn das Schnitzel in Folie eingeschweißt ist, wenn für jede kleine Portion Nachtisch extra ein Becher hergestellt und nachher weggeworfen wird? Und wenn die Erde mit Müllhalden überzogen wird, möglichst noch in den Ländern, auf deren Kosten wir die Waren genießen? Auch der geistige Konsum ist des Nachfragens bedürftig: Unmengen von Papier zum Beispiel - für welche Mitteilung?

Die Industriegesellschaft produziert eine riesige und ständig wachsende Menge von Waren braucht sie sie wirklich alle? Brauchen wir industriell hergestellte Puddings, können die Frauen (und Männer) nicht mehr kochen, verlernen sie es jetzt? Sicher, es ist eine Erleichterung, sie haben keine Zeit, 'weil die Arbeit sie auffrisst. Sie müssen Geld verdienen - um den Pudding kaufen zu können. Ähnlich ist es mit dem "zeitsparenden" Auto usw.

Ist das Kultur? Was ist der Sinn des Ganzen? Wir stehen vor der Frage, ob ein glückliches Leben durch Kaufen und Besitzen zu erlangen ist. Der Mensch braucht doch noch ganz anderes, um wirklich als Mensch zu leben. Er braucht Selbstbestätigung, Möglichkeiten, kreativ zu sein, Phantasie zu entwickeln. Ebenso emotionale Beziehungen zu seinen Mitmenschen, eine Gemeinschaft, in der er sich ehrlich und offen so geben kann, wie er ist, in der er auch mit seinen Schwächen anerkannt wird. Er braucht Muße, unabhängiges Nachdenken über sich und über die Welt. Und Harmonie. Wer nicht in Harmonie mit sich selbst lebt, wird auch kaum eine Harmonie mit der Natur finden können.

Das alles sind menschliche Bedürfnisse, die nicht zur Naturzerstörung beitragen, sondern im Gegenteil wieder zur Natur hinführen können. Das Problem der Bedürfnisse geht an den Lebensnerv: Soll die Weiter- oder Höherentwicklung der Kultur vor allem eine Bedürfnisentwicklung, eine Spirale der materiellen Bedürfnisse sein?

Kultur kann nicht für uns allein da sein

Kultur hat immer auch mit Ethik zu tun. Dazu gehört Verantwortung. Verantwortung für unsere Kinder und Kindeskinder. Wir hinterlassen ihnen ja nicht nur die katastrophalen Folgen unserer Industriezivilisation. Wir übergeben ihnen auch dieses immer mehr perfektionierte System, aus dem auszusteigen dann noch schwerer sein wird. Verantwortung auch uns selbst gegenüber. Wir sollten sie nicht geringschätzen. Im Grunde gehen wir leichtfertig mit uns selbst um.

Unsere Verantwortlichkeit schließt aber auch fremde Menschen ein, hier und in fernen Ländern. Das sollte uns nicht nur bei Benzin oder Kaffee einfallen oder beim Stichwort Tropenholz. Haben Afrikaner ein geringeres Recht auf ein Auto oder auf eine Waschmaschine?

Kann es eine egoistische Kultur geben, eine Kultur nur für mich und gegen alle anderen? Damit wäre wohl der Sinn der Kultur ins Perverse verkehrt. Verantwortung empfinden für alle, für das Weiterleben der Menschheit vielleicht ist erst das wirkliche Kultur. Sind wir dazu fähig?

Gudrun Müller
Grüne Liga

PODIUM – die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, Mi. 15.08.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 189

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